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EUROPA/036: EU will Deutschland trotz Verstoß gegen Vogelschutzrichtlinie schonen (NABU)


Naturschutzbund Deutschland (NABU) e.V. - Pressedienst, 30. Oktober 2009 - Umwelt/EU/Vogelschutz

NABU: EU will Deutschland trotz Verstoß gegen Vogelschutzrichtlinie schonen

Miller: Empfindliche Lücken im Schutzgebietsnetz | Kommission behandelt Mitgliedsstaaten ungleich


Neumünster, Berlin/Brüssel - Mit Unverständnis hat der NABU auf die Entscheidung der Europäischen Kommission reagiert, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland wegen der unzureichenden Meldung von Vogelschutzgebieten einzustellen. "Viele Bundesländer haben im Zuge dieses Verfahrens neue Vogelschutzgebiete ausgewiesen, dennoch bleiben bis heute empfindliche Lücken im Schutzgebietsnetz", sagte NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Während die Europäische Kommission noch im Sommer 2007 angekündigt hatte, gegen sieben Bundesländer den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen, gibt sie sich jetzt mit den zwischenzeitlichen Nachmeldungen zufrieden. Der NABU sieht dagegen in mindestens vier Bundesländern (Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz) immer noch teilweise erhebliche Defizite.

Mit der am 2. April 1979 in Kraft getretenen EG-Vogelschutzrichtlinie haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Schutz der wildlebenden Vogelarten und ihrer Lebensräume verpflichtet. Diese Schutzgebiete für europaweit gefährdete Vogelarten wie Weißstorch,Trauerseeschwalbe, Schwarzstorch, Kranich, Rotmilan, Uhu und Eisvogel sollten bis zum Jahr 1981 ausgewiesen werden. Da viele Bundesländer diese Verpflichtung mehr als zwanzig Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie nur unzureichend erfüllt hatten, strengte die Europäische Kommission nach einer Beschwerde des NABU im Jahr 2001 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland an.

Neben den unbestrittenen Fortschritten und Verbesserungen in vielen Bundesländern, die mit der NABU-Beschwerde erreicht werden konnten, bleiben offene Fragen bestehen. Miller: "Es ist nicht nachvollziehbar, dass Länder wie Nordrhein-Westfalen mit 4,7 und Niedersachsen mit 7,1 Prozent der Landesflächen ihre Verpflichtungen erfüllt haben sollen, während andere Länder wie Sachsen, Hessen oder Brandenburg zwischen 13,5 und 22 Prozent ihrer Landesfläche gemeldet haben."

Gegenüber anderen Staaten wie Österreich (Rechtssache C-209/04) oder Irland (Rechtssache C-418/04), bei denen selbst kleinere Abweichungen von der Meldenotwendigkeit von der Kommission strikt verfolgt und die vom EuGH in der Folge verurteilt wurden, zeigt sich eine deutliche Ungleichbehandlung der Mitgliedstaaten der EU. Die Kommission muss sich nun den Vorwurf gefallen lassen, bei der Beurteilung der mitgliedsstaatlichen Erfüllung der Pflichten aus Art. 4 Abs. 1, 2 der Vogelschutzrichtlinie nicht einmal mehr halbwegs einheitliche Maßstäbe anzulegen.

Die Kommission hatte allerdings im Vorfeld ihrer Entscheidung mehrfach betont, dass sie im Gegenzug zur Einstellung des Verfahrens von den Ländern eine bessere Pflege der ausgewiesenen Schutzgebiete verlangt. Rheinland-Pfalz hatte der Kommission statt der Meldung von weiteren Schutzgebieten die Erarbeitung eines "großangelegten Schutzprogramms" für den Rotmilan zugesagt, das aber bislang ebenso wenig vorliegt wie die Mehrzahl der Pflegepläne. "Die Kommission gibt sich hier mit ungedeckten Schecks zufrieden", so Leif Miller. Dies sei angesichts des fortschreitenden Artensterbens völlig unverständlich. Auf Eiderstedt kann die Landesregierung bis heute den Schutz der hoch bedrohten Trauerseeschwalbe nicht sicherstellen.

Hintergrund für das naturschutzfachlich kaum nachvollziehbare, dem bisherigen Vorgehen der Kommission in vergleichbaren Fällen diametral entgegenstehende Vorgehen sind Befürchtungen der Kommission, Deutschland könnte zukünftig durch Initiativen im Ministerrat oder im EU-Parlament versuchen, die Naturschutzrichtlinien der EU deutlich aufzuweichen, wenn die Kommission ihrerseits bei der Um- und Durchsetzung der Ziele kein Entgegenkommen zeigt. Unionsgeführte Bundesländer wie Hessen und NRW hatten zeitweise unter dem Deckmantel der "Vereinheitlichung und Zusammenführung" dies mehrfach gefordert. Bislang sind die Richtlinien der letzte rechtliche Garant für den Schutz des gemeinsamen europäischen Naturerbes. Der ehemalige Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte sich daher aus gutem Grunde geweigert, dem diesbezüglichen Ansinnen einiger Länder-Ministerpräsidenten nachzugeben.

"Die EU verfügt über Einrichtungen wie den Bürgerbeauftragten des EU-Parlaments, bei dem entsprechende Vorgänge, die Zweifel an der objektiven Beurteilung der EU-Gremien aufkommen lassen, angezeigt werden könnten. Die leicht zu dokumentierende Ungleichbehandlung der Mitgliedstaaten könnte vermutlich auf fruchtbaren Boden fallen, so dass die EU-Kommission das Verfahren auf diesem Wege erneut zu behandeln hätte," macht abschließend der NABU-Landesvorsitzende Hermann Schultz deutlich.

Im Internet unter www.NABU.de, http://eiderstedt.nabu-sh.de


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Quelle:
NABU Pressedienst Nr. 126/09, 30.10.2009
Herausgeber:
Naturschutzbund Deutschland e.V. (NABU)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. November 2009