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ATOM/1253: Greenpeace empfiehlt neue Zwischenlager anstatt falscher Endlagersuche (Strahlentelex)


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Nr. 726-727 / 31. Jahrgang, 6. April 2017 - ISSN 0931-4288

Atommüll
Greenpeace empfiehlt neue Zwischenlager anstatt falscher Endlagersuche
Rüge für ein untaugliches Endlagersuchgesetz

von Thomas Dersee


Bis heute verfügen wir und auch die Abgeordneten des Deutschen Bundestages nicht über eine wissenschaftlich belastbare und öffentlich gut vermittelte Ausarbeitung von verschiedenen Optionen im Umgang mit dem Jahrtausende strahlenden Abfall, zwischen denen im langfristigen Umgang mit hochradioaktivem Atommüll politisch eine Wahl getroffen werden kann. Solange dies nicht geleistet ist, ist jeder Versuch illusionär - an welchen Standorten auch immer -, Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern zu finden, die sich ihr Grundrecht auf eine gesellschaftliche politische Willensbildung nicht nehmen lassen werden. Das stellte Mathias Edler für die Umweltorganisation Greenpeace in seiner Stellungnahme zum Entwurf des Gesetzes "zur Fortentwicklung und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle" (StandAG-Fortentwicklungsgesetz) in der Anhörung des Umweltausschusses des Deutschen Bundestages am 13. Februar 2017 fest. [1,2] Inzwischen wurde das Gesetz am 23. März 2017 im Bundestag und am 31. März 2017 auch im Bundesrat verabschiedet.

Die Kommission "Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe" hat versucht, diesen Prozess der Entwicklung und Prüfung von Alternativen zu umgehen, kritisiert Edler. Kommissionsbericht und StandAG würden aber den Eindruck vermitteln, es sei alles getan worden, den besten Weg für eine langfristige Lagerung insbesondere der hochradioaktiven Abfälle ermittelt zu haben. Das wäre jedoch nur der Fall, so Edler, wenn andere Optionen der Lagerung mit der gleichen Intensität untersucht oder entwickelt worden wären wie die Tiefenlagerung. Schon jetzt sei deshalb erkennbar, daß hier über die Mitglieder der Kommission hinaus kein gesellschaftlicher Konsens erreicht wurde.

Seit 50 Jahren werde lediglich der Weg einer tiefengeologischen Lagerung in 500 bis 1000 Metern Tiefe verfolgt, rügt Edler den grundlegenden Konstruktionsfehler des Gesetzes. Kommission, Fachministerien und Behörden verdrängten systematisch Alternativen zum favorisierten Konzept der Tiefenlagerung. Stattdessen behaupteten ihnen zuarbeitende Wissenschaftler, dass es einen "weitgehenden Konsens" über die gewählte Methode der Tiefenlagerung gebe. Dieser bestehe darin, "dass ein Endlager benötigt wird, dass es bald möglichst benötigt wird, dass es ein nationales Endlager sein und dass es in tiefen geologischen Formationen liegen sollte." Wie kann es einen "weitgehenden Konsens" geben, fragt Edler, wenn es keine weitgehenden Kenntnisse über die komplexen Alternativen gibt? Ohne Kenntnisse könne es auch keine gesellschaftliche Interpretation unterschiedlicher Lagermethoden geben und damit habe bisher auch niemand zu einem "Konsens" kommen können.

Diesen Zusammenhang hatte Reinhard Ueberhorst in seinem Plädoyer für eine "Demokratische Atommüllpolitik" bereits kurz vor Beginn der Kommissionarbeit auf einer Tagung der Umweltverbände skizziert.[3] Die Kommission habe sich die erste und wichtigste Aufgabe, die gleichrangige Untersuchung von Alternativen und die Entwicklung von Fragestellungen, welche zu neuen Alternativen führen können, weder zu eigen gemacht, noch vorangetrieben. Dabei seien weltweit alle Tiefenlagerkonzepte entweder bereits gescheitert oder nach nur wenigen Jahren mit großen Problemen behaftet, welche erst in Tausenden von Jahren erwartet oder von vornherein gar nicht gesehen wurden.[4] Die praktische Umsetzung des Konzepts der geologischen Tiefenlagerung mit Option auf Rückholbarkeit erscheine in der heute verfolgten Art und Weise zunehmend fragwürdig."

Die Bezeichnung "Standortauswahlgesetz" beweise die Verengung des Vorhabens auf die sekundäre Standortfrage, so Edler weiter. Dabei ginge es bei einer wissenschaftlich begründeten Vorgehensweise zuerst um Entwicklung und Beurteilung von verschiedenen Lageroptionen, um dann im Sinne einer gesellschaftlichen Verständigung die relativ beste Option für die Lagerung der hochradioaktiven Abfälle herauszufinden. Erst im Anschluss gehe es auch um Standorte. Vor dem Hintergrund einer gescheiterten Endlagerpolitik in der Bundesrepublik, die jahrzehntelang nur auf die eine Karte "Tiefenlagerung in Gorleben" gesetzt hat, erscheine die Vorstellung geradezu naiv, daß Bürgerinnen und Bürger in potentiellen Standortregionen sagen: "Ein tiefengeologisches Endlager für diese radioaktiven Abfälle muss sein, zu klären ist nur noch, wie die Bürgerbeteiligung bei den entsprechenden Suchprozessen anzulegen ist", meint Edler. Stattdessen würden die Bürgerinnen und Bürger fragen: "Wie ist die Entscheidung für dieses Lagerkonzept und unseren Standort begründet und legitimiert? Was waren die anderen Optionen?". Wer diese Fragen nicht zufriedenstellend beantworten kann, werde abermals am Protest der Bürgerinnen und Bürger scheitern.

Edler kritisiert zudem die Kontamination des gesamten Verfahrens durch die Benennung nur eines Standortes, nämlich Gorleben, bei zeitgleich sachfremder Postulierung einer angeblich "weißen Landkarte" ohne Vorfestlegungen. Sämtliche Mindestanforderungen, Ausschlusskriterien und Abwägungskriterien seien an der Frontlinie der bereits vorhandenen geologischen Kenntnisse des Standortes Gorleben formuliert worden und zwar so, daß Gorleben bis zu einer endgültigen Standortentscheidung nicht ausscheiden könne.

Zwar spreche das Gesetz von "einem vergleichenden Verfahren" und "Standorten" in der Mehrzahl, so Edler weiter, es schließe am Ende aber nicht einmal aus, daß es eben zu keiner gleichrangigen Untersuchung anderer Standorte verschiedener Wirtsgesteine außer dem bereits erkundeten Salzstock in Gorleben kommt und der Müll zwangsläufig dort landet, wo die Datenbasis am größten ist, nämlich in Gorleben.

Öffentlichkeitsbeteiligung finde zudem nur im Stil der "Unterrichtung" statt, so ein weiterer Kritikpunkt. Die Nutzung moderner Medienformate wie Internet etc. ersetze keine Beteiligung von Bürgern in Entscheidungsprozessen im Sinne einer demokratischen Atommüllpolitik. Moderne Bürgerbeteiligung habe nicht zum Ziel, einmal getroffene Entscheidungen zu industriellen Großprojekten konfliktärmer durchsetzen zu können, sondern müsse frühzeitig stattfinden und damit Einfluss auf das Ergebnis haben können. Im StandAG-Konzept organisiere die verfahrensführende Behörde die Öffentlichkeitsbeteiligung, entscheide allein über die "Berücksichtigung" von Stellungnahmen der so genannten Öffentlichkeit und dieselbe Behörde solle als einzige Institution das Verfahren, dem sie selbst vorsteht, evaluieren dürfen.

Mit dem Argument eines sogenannten "lernenden Gesetzes", das sich während der Verfahrensdauer in der Entwicklung befände und immer wieder angepasst würde, haben Vertreter sämtlicher Fraktionen und der Kommission bisher auf Kritik reagiert und Korrekturen für die Zukunft versprochen. In der Fortentwicklung des StandAG finden sich nur in seiner Begründung schlichte Behauptungen, daß es sich um ein lernendes Verfahren handele und Möglichkeiten zur Fehlerkorrektur notwendig seien. Darüber hinaus gibt es aber keine wirkungsvollen Elemente, die ein lernendes Verfahren ermöglichen würden, stellt Edler fest. Im Gegenteil, das Gesetz zur Neuordnung der Organisationsstruktur im Bereich der Endlagerung vom 23. Juni 2016 habe zusammen mit dem Gesetz zur Neuordnung der kerntechnischen Entsorgung vom 16.12.2016 zu einer Konzentration sämtlicher Entscheidungskompetenzen beim Bundesumweltministerium (BMUB) und Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) und damit der jeweiligen Bundesregierung geführt. De facto sei der Bund Vorhabenträger, Aufsichtsbehörde und Gesetzgeber in einem Verfahren per Legalplanung. Die allgemeinen Sicherheitsanforderungen für ein Endlager können ohne Zustimmung der Länder, ohne Konsultation eines Begleitgremiums oder gar dialogorientierter gesellschaftlicher Beteiligung allein vom BMUB per Rechtsverordnung bestimmt werden. Damit habe die Exekutive wie in der Vergangenheit in Bezug auf Gorleben die Möglichkeit, die grundlegenden Sicherheitsanforderungen an ein Endlager an die örtlichen Gegebenheiten eines politisch gewollten Standortes anzupassen.

Das BfE entscheide zudem nicht nur über alle wichtigen Verfahrensschritte, sondern organisiere die Öffentlichkeitsbeteiligung über Regionalkonferenzen bzw. "Rat der Regionen" und entscheide danach über die Berücksichtigung der Ergebnisse. Das sogenannte Nationale Begleitgremium verfüge ebenso wie die Regionalkonferenzen über keinerlei Rechte, die eine wirksame Fehlerkorrektur, einen Rücksprung in dem angeblich lernenden Verfahren gegenüber der verfahrensbestimmenden Behörde erlauben würden.

Handlungsempfehlung: Längerfristige Zwischenlagerung

Die logische Konsequenz einer bereits 2013 von Greenpeace empfohlenen Rücknahme des gesamten StandAG zugunsten eines tatsächlichen Neustarts in der Atommüllfrage ist nach wie vor geboten, erklärt Edler. Für die Entscheidung zur Tiefenlagerung gebe es keine nachvollziehbare Begründung. Wenn eine Behörde mit den Kompetenzen des BfE innerhalb einer verabschiedeten, starren Verfahrensstruktur im Gesetzesrang einmal angefangen hat in nur eine Richtung zu arbeiten, entwickle sich unweigerlich eine Eigendynamik, die selbst vom Parlament nur schwer zu kontrollieren sei. Diese Art Fehlentscheidungen hätten in der Vergangenheit zu der Einlagerung von Atommüll in dem untauglichen Salzstock Asse und in die Sackgasse Gorleben geführt. Alle diese großen, später mit hohen Kosten korrigierten Entscheidungen seien Fehlern im Denken und in der Methodik der Politik geschuldet. Insbesondere dem Versäumnis, sich Alternativen bewusst zu machen und sie rational und demokratisch zu klären.

Anstelle der Wiederholung solcher Fehler komme der Entwicklung und dem Bau von neuen, längerfristigen Zwischenlagern die höchste Bedeutung zu, nicht zuletzt, um Zeit für Fehlerkorrekturen bei der Endlagersuche zu gewinnen, meint Edler. Die überwiegende Mehrheit aller Experten gehe inzwischen von wesentlich längeren Zeiträumen bei der Suche und Inbetriebnahme eines wie auch immer gearteten Endlagers aus, als sie der Zeitplan der Bundesregierung mit der geplanten Standortentscheidung im Jahr 2031 bzw. der Inbetriebnahme eines Endlagers im Jahr 2050 vorsieht.

Damit verlängerten sich, unabhängig von der Option, ob eine langfristige Zwischenlagerung nicht grundsätzlich eine Alternative zur tiefengeologischen Endlagerung sein könnte, die Zeiträume der Zwischenlagerung. Da niemand heute sagen könne, wie sich die Überschreitung des bisher geplanten und genehmigten Zwischenlager-Zeitraums von 40 Jahren auf Stabilität und Integrität der Atommüll-Behälter und der in ihnen enthaltenen Brennelemente oder HAW-Kokillen auswirkt, seien neue Zwischenlagerbauwerke mit entsprechenden Wartungs- und Umverpackungseinrichtungen nach aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik zu entwickeln und zu errichten. Gemeint sind damit "Heiße Zellen" mit der Möglichkeit zum Öffnen der Behälter zwecks Kontrolle, Instandhaltung und Reparatur. Die neuen Zwischenlager müssten so ausgelegt sein, so Edler weiter, daß sie für einen Zeitraum von mindestens 100 Jahren dafür sorgen, daß der sicherheitstechnische Zustand der Behälter sich nicht verändert. Sie müßten zudem ein Mehrbarrierensystem gegen mechanische und thermische Einwirkungen besitzen, die Behälter wirksam vor allen denkbaren Umwelteinflüssen wie Erdbeben, Überflutung, Feuer, Sturm und Starkregen schützen und wirksamen Schutz vor terroristischen und kriegerischen Aktivitäten bieten. Ob es sich dabei um stark verbunkerte Gebäude auf der Erdoberfläche wie in den Niederlanden oder um entsprechende Gebäude oberflächennah unter der Erde handle, hänge unter anderem jeweils von den regionalen Gegebenheiten ab und sollte Gegenstand von zügig zu initiierenden Forschungsprojekten sein, meint Edler. Um ein Transportrisiko zu minimieren, plädiere Greenpeace für die Entwicklung entsprechender Zwischenlagerbauwerke an jedem Standort, an dem heute hochradioaktive Abfälle lagern.

Da auch die sogenannte Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen bisher ungeklärt ist und sich die Probleme an nahezu allen Zwischenlagerstandorten häufen, seien diese Abfälle in diese Überlegungen mit einzubeziehen.


Anmerkungen

1. Mathias Edler: Stellungnahme von Greenpeace e.V. zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze (StandAG-Fortentwicklungsgesetz), Öffentliche Anhörung im Deutschen Bundestag, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit am 13. Februar 2017,
https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/2017-02-01_stellungnahme_umweltausschuss_me.pdf

2. Ulrich Wollenteit: Anlage zur Stellungnahme von Greenpeace, Rechtsanwälte Günther, Hamburg Februar 2017
https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/2017-02-02ra-gutachten.pdf

3. vergl. Reinhard Ueberhorst in: Atommüll ohne Ende, Tagungsbericht, Strahlentelex 684685 v. 2. Juli 2015,
www.strahlentelex.de/Stx_15_684-685_S01-06.pdf

4. Marcos Buser: Endlagerung radio- und chemotoxischer Abfälle im Tiefuntergrund. Wissenschaftlich-technische, planerisch-organisatorische und strukturelle Schwachstellen - eine Beurteilung vier ausgewählter Fallbeispiele. Studie für Greenpeace, INA GmbH Zürich, Juni 2016,
https://www.greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publications/gp_studie_endlager_20_06_16_2.pdf


Der Artikel ist auf der Website des Strahlentelex zu finden unter
www.strahlentelex.de/Stx_17_726-727_S02-04.pdf

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Quelle:
Strahlentelex mit ElektrosmogReport, April 2017, Seite 2 - 4
Herausgeber und Verlag:
Thomas Dersee, Strahlentelex
Waldstr. 49, 15566 Schöneiche bei Berlin
Tel.: 030/435 28 40, Fax: 030/64 32 91 67
E-Mail: Strahlentelex@t-online.de
Internet: www.strahlentelex.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2017

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