Schattenblick → INFOPOOL → UMWELT → ABFALL


ABWASSER/268: Bundesregierung sieht der "Feuchttuchplage" tatenlos zu (BBU WASSER-RUNDBRIEF)


BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1103, vom 18. März 2017 - 36. Jahrgang

regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU)

Bundesregierung sieht der "Feuchttuchplage" tatenlos zu


Immer mehr Menschen greifen an Stelle des altgewohnten Toilettenpapiers aus Komfort- und Hygienegründen zu Feuchttüchern. Parallel dazu boomt auch der Markt für Babypflegetücher und ähnliche Hygienetücher. Die Folge: Abwasserpumpwerke kapitulieren reihenweise vor der zunehmenden Flut von schlecht zersetzbaren Feuchttüchern. Für die Kanalarbeiter ist es eine üble Schinderei, die blockierten Pumpen von den aus Feuchttüchern gebildeten "Verzopfungen" per Hand zu befreien. In den zu schier unentwirrbaren Zöpfen aus aufgewickelten Feuchttüchern stecken nicht nur die pure Scheiße, sondern auch Rasierklingen, Spritzen und andere gefährliche Gegenstände. Und allzu oft kommt es vor, dass die Pumpen ausgerechnet an einem Samstagabend von der Feuchttuchschwemme blockiert werden. Dann ist für die Kanalarbeiter auch ein Gutteil des Wochenendes futsch. Der jährliche Schaden für die Kanalbetriebe geht inzwischen in die Millionen. Die Linksfraktion hat letzthin gefragt, welche Strategie die Bundesregierung gegen die sich ausbreitende "Feuchttuchplage" vorschlägt. In ihrer Antwort vom 21. Dez. 2016 schreibt die Bundesregierung in der BT-Drs. 18/10588, dass man gegen die "Feuchttuchplage" mit mehr Verbraucheraufklärung vorgehen müsse:

"Hier sind Aufklärungskampagnen der entsprechenden Entsorgungsunternehmen der Abwasser- und Abfallwirtschaft und der Kommunen sinnvoll. (...) Die Aufklärungsarbeit sollte weiter ausgebaut werden."

Die Regierung nimmt keine Stellung zu dem Vorwurf, dass die Produzenten der Feuchttücher das Verursacherprinzip auf den Kopf stellen: Der Markt für Feuchttücher zeigt enorme Zuwachsraten und die Produzenten sowie die Drogerie- und Supermärkte verdienen nicht schlecht an diesem Marktsegment. Die von der Bundesregierung als einzig sinnvolle Lösungsstrategie angesehene Verbraucheraufklärung müssen aber die Abwasserbetriebe finanzieren. Und ebenso wie die Kosten für die Pumpenreparatur wird die Finanzierung der Verbraucheraufklärung letztlich zu Lasten der Abwassergebühren gehen - und die müssen auch von den Menschen bezahlt werden, die gar keine Feuchttücher verwenden. Zudem ist fraglich, ob ein Mehr an Verbraucheraufklärung die KonsumentInnen tatsächlich davon zu überzeugen vermag, die Feuchttücher über den vorgeschriebenen Abfallpfad statt über die Toilette zu entsorgen. In fast jeder Lokal- und Regionalzeitung ist inzwischen mindestens ein Artikel über die "Feuchttuchplage" erschienen und die dritten TV-Programme der ARD haben auch mit Filmbeiträgen über die verstopften Pumpen in ihren jeweiligen Sendegebieten berichtet. Wer in eine Suchmaschine "Feuchttücher Abwasser" eingibt, bekommt eine beeindruckende Zahl von Medienberichten zum "Kollaps im Abwasserpumpwerk" präsentiert. Die Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall (DWA) hat ebenfalls schon einen Flyer produziert, der die Konsumenten auf die richtige Entsorgung der Feuchttücher aufmerksam machen soll. An der Häufigkeit der Verstopfungen in den Pumpwerken hat die breite Medienberichterstattung aber - soweit erkennbar - nicht das Mindeste geändert. Empirische Untersuchungen zur Wirksamkeit einer feuchttuchorientierten Verbraucheraufklärung fehlen bislang. Der lukrative Markt für Feuchttücher ist ein weiteres Beispiel dafür, wie in der "marktkonformen Demokratie" (Angela Merkel) Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden.

Der Bundesregierung und dem Bundesumweltministerium wäre vorzuschlagen, mal einen Blick in die EG-Wasserrahmenrichtlinie zu werfen. Dort heißt es im Erwägungsgrund 11 zu den Zielen der Umweltpolitik in der EU:

"(11) Gemäß Artikel 174 des [AEU-]Vertrags soll die gemeinschaftliche Umweltpolitik zur Verfolgung der Ziele der Erhaltung und des Schutzes der Umwelt sowie der Verbesserung ihrer Qualität und der umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen beitragen; diese Politik hat auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip zu beruhen." (Hervorhebung: BBU) -ng-

Feuchttücher und Mikroschadstoffe in der "Externalisierungsgesellschaft"

Angesichts des offenbar nur schwach ausgeprägten Elans der Regierung, gegen die "Feuchttuchtplage" vorzugehen, drängt sich eine Analogie zu den Mikroverunreinigungen auf. An schwer abbaubaren Pharmawirkstoffen, Antikorrosionsmitteln in Maschinengeschirrspülmitteln, Antischuppenmitteln im Haarschampoo und an einer unüberschaubaren Fülle von persistenten Industriechemikalien wird mehr oder weniger gut verdient. Zumindest ist nicht anzunehmen, dass die Hersteller dieser schwer abbaubaren Produkte dauerhaft draufzahlen. Für die Kosten zur Eliminierung der Mikroschadstoffe müssen die AbwassergebührenzahlerInnen gerade stehen. Denn diese müssen die "Vierten Reinigungsstufen" finanzieren, mit denen - end-of-the-pipe - die Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser geholt werden. Auch hier gilt die Prämisse, dass man mit mehr Verbraucheraufklärung das Problem angehen müsse. Bis jetzt hat aber kein einziges Pharmaunternehmen oder ein sonstiger Inverkehrbringer von Mikroschadstoffen auch nur einen Euro zu einer tatsächlich breitenwirksamen Verbraucheraufklärung oder gar zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen beigetragen. Die Flyer zur Verbraucheraufklärung zahlen die Umweltministerien der Bundesländer. Im Soziologendeutsch spricht man inzwischen von der "Externalisierungsgesellschaft": Unliebsame Kosten werden von den Verursachern externalisiert - sprich: der Allgemeinheit aufgehalst. Im Hinblick auf das Verursacherprinzip scheint die Regierung davon auszugehen, dass die KonsumentInnen selbst die Verursacher sind. Sind sie auch - aber eben nicht nur. Den Herstellern und Verkäufern kommt ebenfalls eine Verantwortung an den "Pumpenkillern" zu! -ng-

Regierung: Keine Informationen über das Ausmaß der "Feuchttuchplage"

Angesichts der Fülle von Medienberichten über die "Feuchttuchplage" drängt sich der Eindruck auf, dass mittlerweile mehr als die Hälfte der Abwasserbetriebe von blockierten Pumpwerken auf Grund schwer zersetzbarer Feuchttücher betroffen sein müssen. Trotz der eskalierenden Problemlage muss die Bundesregierung Ahnungslosigkeit bekennen:

"Zu den bundesweiten Kosten oder den durchschnittlichen Kostensteigerungen, die bei der Abwasserbeseitigung entstehen können, wenn Feuchttücher über die Toilette entsorgt werden, liegen der Bundesregierung keine Informationen vor. Daher können auch die volkswirtschaftlichen Auswirkungen nicht geschätzt werden."

Die Feuchttücher einem obligatorischen Abbautest zu unterwerfen, hält die Regierung nicht für eine gute Idee: "Test- und Zertifizierungsverfahren zur Spülbarkeit werden als nicht zielführend angesehen ..." Denn die Entsorgung der Feuchttücher über die Toilette sei eh in den Abwassersatzungen der Kommunen untersagt. Insofern würden sich auch bestandene Abbautests als Voraussetzung für das Inverkehrbringen von Feuchttüchern erübrigen. Mit der Ablehnung von Abbautests als Voraussetzung für ein Inverkehrbringen von Feuchttüchern steht die Regierung nicht alleine: Auch die Mehrzahl der Abwasserfachleute lehnt eine Zertifizierung auf Spülbarkeit ab. Denn nach Ansicht der Abwasserspezialistern gehören nur "die drei P's" in die Toilette: Also "Pee, Poo and Paper" - und sonst nichts!

Mehr zur "Feuchttuchplage" in den RUNDBR. 1099/4, 1032/1-3, 990/1).. Und bei der Gelegenheit hier noch ein Mal der Hinweis unser "Feuchttuchdossier, in dem die Problematik der schlecht zersetzbaren Fasertücher in der Kanalisation ausführlich erläutert wird. Abonnentinnen des WASSER-RUNDBRIEFS können das Dossier kostenlos via nik@akwasser.de anfordern - alle anderen: 5 Euro!

Zu dem Dossier haben wir auch eine Unterrichtseinheit erstellt, die bereits GrundschülerInnen dabei helfen soll, durch einfache Testverfahren in Gurkengläsern dem Übel der Feuchttücher auf die Spur zu kommen.

*

Quelle:
BBU-WASSER-RUNDBRIEF Nr. 1103
Herausgeber:
regioWASSER e.V. - Freiburger Arbeitskreis Wasser
im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU),
Rennerstr. 10, 79106 Freiburg i. Br.
Tel.: 0761 / 27 56 93, 456 871 53
E-Mail: nik[at]akwasser.de
Internet: www.akwasser.de, www.regioWASSER.de
 
Der BBU-WASSER-RUNDBRIEF kann abonniert werden durch Voreinzahlung
von 30 Euro für 30 Ausgaben auf das Postbankkonto Arbeitsgruppe
Wasser, Kto-Nr. 41952 757, Postbank Klrh., BLZ 660 100 75.
 
Meinungsbeiträge geben nicht in jedem Fall die Position des BBU
wieder!
Die Weiterverwendung der Informationen in diesem RUNDBRIEF ist bei
Quellenangabe (!) erwünscht!
© Freiburger Ak Wasser im BBU


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2017

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang