Schattenblick → INFOPOOL → TIERE → TIERSCHUTZ


ZUCHT/083: Das Geschäft mit dem Geschlecht - "Eene, meene muh und raus bist du!" (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Das Geschäft mit dem Geschlecht: "Eene, meene muh und raus bist du!"

Von Stefanie Pöpken


Der Einsatz von nach Geschlecht getrenntem (gesextem) Sperma findet in der Milchviehhaltung immer größeren Zuspruch und wird als Lösung für das Problem der "unerwünschten" männlichen Bullenkälber angesehen. Was jedoch bedeutet dieser Weg für die Landwirtschaft und letzten Endes auch für die Tiere?


Nur noch weibliche Kälber?

Die Idee klingt für Landwirte verlockend: Würden nur noch weibliche Nachkommen geboren, müssten sich Landwirte keine Gedanken mehr um die männlichen Kälber machen - es gäbe nur noch die gewollten und nicht mehr die ungewollten Tiere.

Studien an 125.000 Färsen (weibliche Rinder, die noch nicht gekalbt haben) und Kühen aus den USA zeigen, dass nach ihrer Besamung mit gesextem Sperma tatsächlich 89 Prozent der geborenen Kälber weiblich waren. Doch der Einsatz von gesextem Sperma lohnte sich nur bei den Färsen, weil bei ihnen die beste Trächtigkeitsrate erreicht wurde. Diese liegt bei rund 49 Prozent. Die der Kühe liegt bei 30 Prozent. Warum? Das Sperma enthält nur ein Siebtel der Spermienanzahl einer "normalen Portion". Daher ist die Chance auch geringer, dass ein Tier tragend wird. Im Vergleich dazu besteht bei Kühen, die mit ungesextem Sperma besamt werden, eine 70-prozentige Chance, dass sie tragend werden.

Von den aktuellen Top-Stieren gibt es kaum gesextes Sperma. Dafür ist die Nachfrage nach normalem Sperma zu hoch und der Ausschuss zu groß, der bei dem zeitintensiven Verfahren zur Gewinnung einer Dosis übrig bleibt und verworfen wird. Es fallen Kosten zwischen 40 und 80 Euro pro Portion an. Kein günstiges Unterfangen für ein Verfahren, dessen Aussichten auf eine erfolgreiche Trächtigkeit zu niedrig sind und bei dem die Chance auf ein Kalb des ungewünschten Geschlechts immerhin noch zehn Prozent beträgt.

Eine hundertprozentige Lösung zur Vermeidung ungewollter Bullenkälber ist das Sexen also nicht. Jedes ungewollte Bullenkalb ist immer noch eins zu viel. Deshalb wird die Methode momentan nur empfohlen, wenn es sich um "Spitzenfärsen" handelt und die Brunst genau bestimmt werden kann.


Gesunde Kühe in die Schlachtung?

Landwirtschaftliche Zeitungen stellen als besonders positiv heraus, dass bei einer pränatalen Geschlechtskontrolle eine gezielte Aufstockung des eigenen Bestands mit weiblicher Nachzucht möglich ist. Schauen wir aber genauer hin, zum Beispiel nach Amerika, stellen wir fest, dass die Remontierungsrate (wie viele Tiere zum Schlachter gehen und durch Färsen ersetzt werden), schon jetzt bei über 42 Prozent liegt und in den nächsten Jahren sicherlich die 50-Prozent-Hürde überschreiten wird. In Deutschland tauscht ein Durchschnittsbetrieb jährlich ein Drittel seiner Tiere aus. In Zahlen bedeutet das, dass ein Landwirt mit 100 Kühen jedes Jahr circa 30 davon zur Schlachtung gibt.

In den USA gelangen auch völlig gesunde Kühe nur deshalb zum Schlachter, weil der Landwirt glaubt, dass ihnen die Färsen in der Fruchtbarkeit und der Milchleistung überlegen sind wegen ihrer Top-Abstammung. Geflissentlich wird bei dieser Handlungsweise übersehen, dass eine Kuh körperlich erst ab der dritten Laktation (nach dem dritten Kalb) voll ausgereift ist und erst dann ihre volle Leistung bringen kann. Doch diese Phase der Hochleistung erlebt sie oft nicht mehr. Ein passendes Beispiel, wie unter dem Deckmantel der Wirtschaftlichkeit und des gewinnbringenden Managements tatsächlich Tiere vernichtet werden und wie das noch als gut und nachhaltig dargestellt wird.


Wir sind gefragt

Ein Leben ohne Milch, Joghurt, Käse und Butter: Viele Menschen haben sich schon für die vegane Ernährung entschieden und kaufen bewusst pflanzliche Alternativen. Auch wenn wir auf diese tierischen Nahrungsmittel nicht verzichten möchten, sollte sich jeder immer bewusst sein, welchen hohen und unsinnigen Preis die Tiere zahlen müssen. Es gibt Zweinutzungsrassen, die nicht so viel Milch wie ihre Hochleistungsschwestern geben, dafür einen höheren Fleischzuwachs haben und deren Bullenkälber sich für die Mast eignen und gewinnbringend verkauft werden können. Eine Menge kleiner Höfe hat sich darauf spezialisiert, solche Rinder zu züchten. Es lohnt sich, diese Höfe mehr zu unterstützen und mehr Geld für Fleisch, Milch etc. auszugeben. Wichtig ist die Wertschätzung der Kühe und ihrer Arbeit, die sie für die Stillung unseres Hungers auf sich nehmen. Dann würde der Einsatz von gesextem Sperma überflüssig werden, und ungewollte Kälber würde es nicht mehr geben. Fangen wir doch heute mit der Wertschätzung der Kühe an!

*

Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015, Seite 16-17
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang