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ZUCHT/082: Ferkeltötungen - Züchter und Sauenhalter in der Kritik (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Ferkeltötungen - Züchter und Sauenhalter in der Kritik

von Sabine Ohm



Der Aufschrei nach den Medienberichten im Dezember 2013 über Ferkeltötungen in einigen Betrieben in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen ist vorerst verhallt. Die zuständigen Staatsanwaltschaften untersuchen die Vorfälle noch, die Landesregierungen warten die Ergebnisse ab.

Aber schon jetzt fragen wir: Warum werden so viele neugeborene Ferkel getötet? Dieser Frage sei im Folgenden nachgegangen.


Auswüchse der übertriebenen Hochleistungszucht

Angetrieben vom allgemeinen Produktivitäts- und Effizienzstreben in der Tierhaltung, wurden die Sauen in den vergangenen beiden Jahrzehnten zunehmend auf sehr hohe Fruchtbarkeit gezüchtet.

Zielgrößen waren vor allem die Wurfgröße, also mehr Ferkel pro Wurf, und eine höhere Aufzuchtleistung mehr abgesetzte Ferkel pro Sau und Jahr. Wurden Anfang der 1990er Jahre in Deutschland üblicher Weise noch mit 2,09 Würfen ca. 21 Ferkel pro Sau und Jahr erzeugt, liegt das Mittel heute schon bei 2,36 Würfen und knapp 27 abgesetzten Ferkeln. Aber die 30-Ferkel-Marke ist vielerorts bereits in Reichweite oder wird schon überschritten, zum Beispiel bei den aus Dänemark stammenden - auch in Deutschland beliebten - DanZucht Sauen. Sie werfen laut einer Untersuchung des Landeskontrollverbands für Leistungs- und Qualitätsprüfung Sachsen-Anhalt e.V. aus 2013 bereits fast 15 lebende Ferkel pro Wurf, 34,9 pro Jahr, von denen 30,6 bis zum Absetzen überlebten, 4,3 Ferkel (12,2 Prozent) aber nicht. Bei großen Würfen kommen ca. 20 Prozent der Ferkel bereits tot zur Welt, so dass die Todesrate insgesamt bei über 30 Prozent liegt.


Wo bleibt die Moral?

Ungerührt von diesen hohen Ferkelverlusten kündigten die dänischen Verbandsvertreter als nächstes Zuchtziel bereits 35 aufgezogene Ferkel pro Sau und Jahr an - und setzen andere Zuchtunternehmen damit unter Druck, die Fruchtbarkeitsleistung ebenfalls zu erhöhen.

Dies ist aus Sicht von PROVIEH verwerflich. Denn die Züchter nehmen dabei billigend in Kauf, dass die Sauen zum Teil über zwanzig Ferkel auf einmal werfen, von denen höchstens drei Viertel überleben, auch wenn die Züchter anstreben, mehr der überzähligen Ferkel "durchzubekommen". Die anderen sterben meist in den ersten Stunden oder Tagen nach der Geburt - oder sie werden getötet, vor allem wegen Unterentwicklung. In Dänemark werden Statistiken über "lebend geborene Ferkel" erst am fünften Tag nach der Geburt erhoben. Alle davor verendeten oder getöteten Tiere zählen nicht. So wird die Statistik der Ferkelverluste geschönt, um ethische Bedenken aus der Öffentlichkeit zu vermeiden.

Unklar ist dort wie bei uns, wo genau bei den getöteten Ferkeln die Grenze verläuft zwischen Euthanasie wegen zu geringer Überlebenschancen und der Tötung "überzähliger" Ferkel. Selbstverständlich sind Tötungen durch Klatschen auf den Boden oder an die Stallwand, wie in den oben erwähnten Medienberichten gezeigt, auf keinen Fall tierschutzgerecht und daher indiskutabel.

PROVIEH fordert deshalb erstens die Tierärzte und Veterinärbehörden auf, für die Ferkelerzeuger eindeutige Leitlinien zu schaffen zur möglichst sicheren Unterscheidung von lebensfähigen und nicht lebensfähigen Ferkeln, für tierschutzgerechte Euthanasiemethoden für nicht überlebensfähige Ferkel zu sorgen und die Einhaltung entsprechender Vorschriften zu kontrollieren. PROVIEH fordert zweitens, dass sich die Betriebe besser auf die Aufzucht schwächerer Ferkel einstellen; denn untergewichtige Ferkel gehören derzeit leider zur traurigen Normalität. Und wir fordern die Zuchtunternehmen auf, endlich die Zuchtziele anzupassen und mehr Gewicht auf höhere Geburtsgewichte und Ferkelvitalität statt auf Aufzuchtleistung zu legen.


Untergewicht als Krux

Geburtsgewichte von 1,5 bis 1,7 Kilogramm waren früher normal und sorgen laut Studien für eine ausreichende Vitalität der Ferkel. Aber wegen der oben erwähnten Züchtung auf hohe Wurfgrößen müssen sich immer mehr Föten den Platz und die Nährstoffe in der Gebärmutter teilen. Alle Studien bestätigen inzwischen, dass mit zunehmender Ferkelzahl das durchschnittliche Geburtsgewicht der Ferkel abnimmt. Bei großen Würfen wiegt jedes fünfte Ferkel zu wenig. Oft liegt das Gewicht unter einem Kilogramm, immer häufiger sogar unter 800 Gramm.

Die Überlebenschancen solcher untergewichtigen Ferkel liegen nur noch bei etwa 60 Prozent. Sie können oft nur als sogenannte "Kümmerer" mit hohem Arbeitsaufwand und unter Inkaufnahme schlechterer "Leistung" aufgezogen werden, also mit langsamerer Gewichtszunahme und erhöhter Krankheitsanfälligkeit. Insgesamt ist Untergewicht laut neuerer Studien für rund drei Viertel der gesamten "Ferkelverluste" bis zum Absetzen von der Muttersau verantwortlich, Tötungen inklusive.

Der schlechtere Start untergewichtig geborener Ferkel verschärft sich, wenn bei der Geburt niemand dabei ist, um sie gleich an eine Zitze zu legen. Auch in den folgenden Tagen muss dafür gesorgt werden, dass sie genug von der für die Immunabwehr so wichtigen "Biestmilch" aus den Zitzen ihrer Muttersau abbekommen. Dafür müssten bei zu großen Würfen die stärkeren Ferkel mit höherem Geburtsgewicht während der ersten Tage zeitweise separiert und danach eventuell sogar permanent an eine andere "Ammensau" versetzt werden. Nur so können die untergewichtigen Tiere ungestört zum Zuge kommen und ein zu starkes "auseinanderwachsen" der Wurfgeschwister vermieden werden. Geschieht dies nicht, verenden die untergewichtigen Ferkel häufig oder werden zu "Kümmerern". Alternativ zur Ammensau kommt immer häufiger das so genannte Rescue-Deck mit mutterloser Aufzucht zum Einsatz (siehe Infobox).

In manchen ostdeutschen Großanlagen, die von niederländischen Investoren betrieben und mit zehntausenden Schweinen besetzt sind, bleiben systematisch alle Wurfgeschwister eines jeden Wurfs aus Hygienegründen von Anfang bis Ende über die gesamte Aufzucht- und Mastzeit zusammen. Was das für die schwachen, überzähligen Ferkel bedeutet, wenn mehr Ferkel geboren wurden, als funktionsfähige Zitzen vorhanden sind, kann sich dank der Medienberichte inzwischen leider jeder nur zu gut vorstellen.

Handlungsbedarf gibt es also jede Menge. Die Zuchtunternehmen und Schweinehalter wie auch die Bestandstierärzte und Amtsveterinäre täten deshalb gut daran, sich kritisch mit den aufgezeigten Fehlentwicklungen auseinanderzusetzen, mit dem Ziel, schnellstmöglich für akzeptable Lösungen der aufgezeigten Probleme zu sorgen.


INFOBOX

Nicht nur in Dänemark wird das so genannte Rescue-Deck immer beliebter - obwohl dank jahrelanger Selektion immer mehr Sauen (insbesondere DanZucht Sauen) inzwischen 16 statt der ursprünglich natürlichen 14 Zitzen aufweisen. Das Rescue-Deck war anfangs als Rettung für Ferkel gedacht, deren Muttersau während der Geburt oder der Säugezeit starb. Es handelt sich um eine Art beheizte Aufzuchtbox, in der heute systematisch Ferkel aus großen Würfen zusammengewürfelt und mit Ersatzmilch und Ferkelfutter aufgezogen werden. PROVIEH lehnt die systematische mutterlose Aufzucht ab, auch weil sie durch den unbefriedigten Saugreflex zu Verhaltensstörungen führen kann, zum Beispiel Flankenmassieren (ähnlich wie das Stubsen am Gesäuge) sowie Nabel- oder Schwanz-Saugen bei den Buchtengenossen ("Schnullern"), möglichen Vorstufen des Schwanzbeißens.

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Quelle:
PROVIEH Heft 1/2014, Seite 10-12
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2014