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TIERVERSUCH/728: Das Ende muss endlich wirksam verfolgt werden (tierrechte)


Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2017
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Das Ende muss endlich wirksam verfolgt werden

von Dr. Christiane Baumgartl-Simons


In Deutschland wurden Tierversuche Ende der 1970er Jahre zum Thema. Welche Fortschritte gibt es seitdem und wie sieht die Zukunft aus? Wie kann das Ende der Tierversuche wirksam verfolgt werden? Der Abbauplan der Niederlande bringt eine neue Qualität in die politisch-wissenschaftliche Auseinandersetzung.


Die Ärzte Herbert und Margot Stiller beschrieben als erste die Fehlleistungen der Tierversuche und kritisierten die tierexperimentell orientierte Medizin. 1978 gründete sich die Vereinigung Ärzte gegen Tierversuche, 1982 der Bundesverband der Tierversuchsgegner. Mit zahlreichen Bürgerinitiativen und Vereinen wuchs die Bewegung der Tierversuchsgegner heran. Schnell war klar, dass Recht und Gesetz geändert werden müssen, um die Abschaffung der Tierversuche voran zu bringen. Die Politik kam an der Tierversuchsgegnerbewegung nicht länger vorbei. 1987 wurde das Tierschutzgesetz geändert. Erstmals wurden Tierversuchskommissionen eingerichtet, die zwingend Vertreter des Tierschutzes enthalten mussten. Hier hatten Tierversuchsgegner jetzt Gelegenheit, Tierversuchsanträge einzusehen und ihr Votum gegenüber der Genehmigungsbehörde abzugeben.


Marker für den Paradigmenwechsel

Was hat sich nun nach 40 Jahren der Tierversuchsgegnerbewegung tatsächlich für die Tiere geändert? Nüchtern betrachtet, nichts, denn die Tierversuchszahlen steigen. Medikamente, jegliche Substanzen und Materialien mit gesundheitsschädlichem Potential müssen nach wie vor im Tierversuch getestet werden. Also waren die Strapazen der Tierversuchsgegner reiner Zeitvertreib? Nein, diese Bilanz wäre zu einfach. Genaues Hinschauen ist notwendig. Es gibt deutliche Anhaltspunkte, die uns zeigen, dass wir uns auf dem Weg zur Abschaffung der Tierversuche befinden. Das EU-weite Vermarktungsverbot für tierexperimentell geprüfte Kosmetik, das nach einer 30-jährigen Kampagne 2013 rechtskräftig wurde, ist eine deutliche Wegmarkierung. Dadurch wurde die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden für Giftigkeitsprüfungen angekurbelt. 2006 wurde der erste Lehrstuhl für in-vitro Methoden an der Universität Konstanz eingerichtet. Weitere folgten in Nordrhein-Westfalen und Hessen. Als 2007 die neue EU-Chemikaliengesetzgebung REACH in Kraft trat, standen die Tierversuche politisch wieder zur Diskussion und mit ihnen die Frage nach tierversuchsfreien Methoden.


EU-Tierversuchsrichtlinie verfolgt den Ausstieg

In Bundestagsdokumenten tauchte erstmals das Schlagwort Paradigmenwechsel "Weg vom Tierversuch, hin zu tierversuchsfreien Verfahren" auf. Die Wahlprogramme der Parteien und Koalitionsverträge von Bundes- und Länderregierungen sprachen immer häufiger die Reduktion der Tierversuche und die Förderung von Alternativen an. Forschungspreise von Bund und einigen Bundesländern kamen hinzu. 2010 wurde die neue EU-Tierversuchsrichtlinie verabschiedet. Sie ist die erste rechtliche Vereinbarung, in der sich die EU-Mitgliedstaaten zum Ziel bekennen, Tierversuche vollständig zu ersetzen (Erwägungsgrund 10) und die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden (Erwägungsgrund 46) zu fördern.


Vorbilder: Niederlande und USA

Doch bisher haben nur die Niederlande einen Plan vorgelegt, was sie zum Ende der Tierversuche beitragen wollen. Diese Planung vom Dezember 2016 ist derzeit die einzige Orientierung, wie der vereinbarte Paradigmenwechsel in der EU wirksam angepackt werden könnte. Parallel zur politischen Entwicklung begannen Wissenschaftler, die Grenzen des Tierversuchs und die Notwendigkeit, humanspezifische Methoden anzuwenden, offen zu kommunizieren.

Auch die USA gehen hier mit gutem Beispiel voran: Bei der Vergabe von Fördergeldern stellen sie die Frage: Welche Methodik muss dringend entwickelt werden, um den Tierversuch in einem bestimmten Bereich abzulösen? Sie verfolgten diese Strategie zum Beispiel bei dem Programm Tox 21. Das könnte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) auch. Sie könnte die vorhandene Infrastruktur nutzen und Schwerpunktprogramme, Sonderforschungsbereiche und Exzellenzcluster für bestimmte Fragestellungen einführen.


Bremsklötze für den Ausstieg

Diesen positiven Entwicklungen stehen jedoch Bestrebungen gegenüber, den ohnehin langsam anlaufenden Paradigmenwechsel zur tierversuchsfreien Wissenschaft abzubremsen. Zu diesen Bremsindikatoren gehört, dass es noch immer keine Regeln gibt, um die per Tierschutzgesetz geforderte Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit eines Tierversuchs festzustellen. Die Rechtsformulierungen des Tierschutzgesetzes sind praxisuntauglich, weil nicht bekannt ist, welche Daten und Fakten die Unerlässlichkeit belegen. Gebe es hierzu ein Handbuch, wären etliche Tierversuche schon heute nicht mehr genehmigungsfähig. Im März 2016 erfuhren wir aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium, dass ein solches Handbuch von einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe entwickelt werde. Auch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) arbeite an einer Empfehlung zur Beurteilung der ethischen Vertretbarkeit. Beides liegt bis heute jedoch nicht vor.


Wissenschaftsorganisationen klammern am Tierversuch

Auch die Allianz der Wissenschaftsorganisationen ist ein Bremser. In ihrer 2016 gestarteten Kampagne "Tierversuche verstehen" betont die Allianz die Unverzichtbarkeit der Tierexperimente, besonders in der Grundlagenforschung. Dieses Dominanzverhalten der Allianz richtet sich gegen all die Wissenschaftler, die sich aktiv am Paradigmenwechsel durch die Erforschung tierleidfreier Methoden beteiligen. Und es gibt eine weitere Störgröße: Seit einigen Jahren nehmen die Forschungen zur Leidensersparnis der Tiere im Experiment zu. Die Gelder für diese Forschungen (Refine/Reduce), die das System Tierversuch aufrecht erhalten, kommen aber aus denselben wenigen Fördertöpfen, die auch die tierversuchsfreien Verfahren finanzieren und nehmen damit den Ersatzverfahren das Geld weg.

Die positiven Entwicklungen zu Gunsten einer tierleidfreien Wissenschaft nehmen zu. Der Systemwechsel kann jedoch nur erreicht werden, wenn alle beteiligten Gruppen an einem Strang ziehen und über die schnelle Reduktion der Tierversuche konsequent deren Ende verfolgen.

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Quelle:
Magazin tierrechte - Ausgabe 2/2017, S. 4-5
Menschen für Tierrechte
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
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Telefon: 0211 / 22 08 56 48, Fax. 0211 / 22 08 56 49
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Oktober 2017

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