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TIERVERSUCH/705: Gemeinsam für eine bessere Wissenschaft (tierrechte)


tierrechte 4.16 - Nr. 77, Dezember 2016
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

Gemeinsam für eine bessere Wissenschaft

von Dr. Christiane Hohensee und Christina Ledermann


Wirksame Strategie & kluge Taktik

In dieser Ausgabe stellt Ihnen das tierrechte-Magazin Persönlichkeiten vor, die sich auf ganz unterschiedliche Art und Weise für Tiere einsetzen. Sie kommen aus den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen wie Wissenschaft, Behörden, Politik, Rechtswissenschaft, Landwirtschaft, Finanzwirtschaft und Literatur. Sie sind nicht alle klassische TierrechtlerInnen. Darauf kam es und auch nicht an. Wir fanden es entscheidend, dass ihr Engagement wirkt. Dass es das Potenzial hat, etwas für die Tiere zu verändern. Diese Menschen leben uns vor, dass es viele Wege gibt, diese Welt besser zu machen.

Es war eine sogenannte In-vivo-Demonstration mit Mäusen, die die Biotechnologie-Studentin Giorgia Pallocca darin bestärkte, in ihrer wissenschaftlichen Karriere einen anderen Weg einzuschlagen. Heute forscht die Italienerin am Doerenkamp-Zbinden-Lehrstuhl in Konstanz und wurde kürzlich als 'Beste Nachwuchswissenschaftlerin' mit dem Lush Prize zur Förderung tierversuchsfreier Testmethoden ausgezeichnet.


Im ersten Jahr ihres Bachelorstudiums in Rom musste Giorgia Pallocca mitansehen, wie ein Experimentator Mäuse sezierte und ihr Gewebe auf einer Unterlage fixierte. Die Studienanfänger mussten 'live' dabei sein, obwohl man diese Demonstration leicht durch ein Lehrvideo hätte ersetzen können. "Diese Erfahrung war ausreichend, um mich davon zu überzeugen, dass ich diesem Weg, Forschung zu betreiben, nicht folgen wollte", sagt Pallocca im Rückblick. Da keine Kurse zu tierversuchsfreien Verfahren angeboten wurden und die gängige Meinung war, dass der Tierversuch aus wissenschaftlichen Gründen absolut notwendig sei, begann sie, sich neben dem Studium über tierversuchsfreie Methoden zu informieren. Während dieser Zeit hatte sie auch unter Auseinandersetzungen mit anderen Studenten zu leiden. Denn viele glaubten, dass die Erforschung von tierversuchsfreien Verfahren nur etwas für Tierrechtsaktivisten und nichts für Wissenschaftler sei.

Als 'Beste Nachwuchswissenschaftlerin' nominiert

Nach Abschluss ihres Bachelors ging Giorgia Pallocca nach Bologna, um molekulare Biotechnologie zu studieren. 2011 machte sie ihren Masterabschluss und wechselte für ein einjähriges Volontariat zum europäischen Zentrum für Validierung von Alternativmethoden (EURL-ECVAM) in Ispra, Italien. Heute arbeitet die 29-Jährige als Doktorandin an der Entwicklung tierversuchsfreier Verfahren an der Universität Konstanz. In der Arbeitsgruppe von Professor Marcel Leist am Doerenkamp-Zbinden-Lehrstuhl für In-vitro-Toxikologie und Biomedizin forscht sie zu Schädigungen des Nervensystems durch verschreibungspflichtige Medikamente. Für ihre hervorragenden Forschungsergebnisse wurde Pallocca kürzlich als 'Beste Nachwuchswissenschaftlerin' mit dem Lush Prize zur Förderung tierversuchsfreier Testmethoden ausgezeichnet.

Förderinstitutionen bevorzugen den Tierversuch

Dem Beharren auf dem Einsatz von Tieren in der Forschung liegen ihrer Ansicht nach verschiedene Faktoren zugrunde. Zum einen seien Tierversuche ein akzeptiertes Modell, das noch immer als am zuverlässigsten betrachtet werde, um die Gefährlichkeit von Substanzen zu testen. Zum anderen fehle es aufgrund der langen Tradition des Tierversuchs schlicht an Expertise und adäquater Laborausstattung. Dies mache es Wissenschaftlern schwer, vom Tierversuch zu tierversuchsfreien Verfahren zu wechseln. Ein weiterer Grund sei die Politik der Förderinstitutionen. Diese würden den Tierversuch bei der Vergabe von Fördermitteln bevorzugen. Höchstwahrscheinlich deswegen, weil das Personal selbst aus der tierexperimentellen Forschung komme und hier über Erfahrungen verfüge. Ein weiterer Grund für das Festhalten am Tierexperiment sei die Einstellung bei den wissenschaftlichen Journalen. Diese akzeptierten die Publikation von tierversuchsfreien Studien nur widerwillig.

Vorurteile überwinden

Auf die Frage, wie eine Zunahme tierfreier Methoden erreicht werden kann, entgegnet sie: "Es ist wichtig, das wissenschaftliche Verständnis für die neuen In-vitro-Methoden zu stärken. Wir müssen wissen, welches Potenzial und welche Grenzen sie gegenwärtig haben (...)". Nur mit klaren wissenschaftlichen Belegen ist es ihrer Meinung nach möglich, das klassische Denken zu überwinden. Zudem müsste der Qualitätsstandard der In-vitro-Methoden erhöht werden. Und es bedürfe einer besseren Kommunikation, um Vorurteile zu überwinden und um gemeinsame Ziele für eine bessere Wissenschaft zu finden.

Der Weg bis zu einer Abschaffung des Tierversuchs sei noch lang. Dennoch schätzt Pallocca das Potenzial der tierversuchsfreien Verfahren als hoch ein. Es sei uns gar nicht bewusst, wie weit die Entwicklungen teilweise schon sind. Besonders in den Unternehmen gehe die Entwicklung rasant voran. In der Industrie würden Alternativmethoden regelmäßig in Screenings und in der Giftigkeitsforschung verwendet, da diese Methoden robuster seien und zuverlässige Ergebnisse für den Verbraucherschutz lieferten. Großes Potenzial sieht sie in der Anwendung menschlicher Stammzellen (iPCS) und von Modellen wie der Organ-on-a-Chip-Technologie. Dank einer zunehmenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit erwartet sie zudem, dass sich die Situation für die Tiere in Zukunft verbessern wird.


Ein ausführliches Interview mit Giorgia Pallocca lesen Sie unter:
www.mag.tierrechte.de/97

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Quelle:
tierrechte 4.16 - Nr. 77/Dezember 2016, S. 7
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
eMail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2017

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