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TIERVERSUCH/410: Kosmetik ohne Tierversuche - Erfolg oder Pyrrhussieg? (tierrechte)


tierrechte 1.09 - Nr. 47, Februar 2009
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Kosmetik ohne Tierversuche - echter Erfolg oder Pyrrhussieg?

Von Christiane Baumgartl-Simons


Tierversuche für Kosmetika - wohl kaum ein anderer Tierversuchsbereich hat so viele Gegner. In einem jahrelangen Kampf wurden Siege zugunsten der Tiere jedoch nur etappenweise errungen. Und obwohl viele Menschen mittlerweile für ihre Schönheit und Körperpflege auf Tierversuche verzichten wollen, ist es beim Einkauf nicht leicht, entsprechende Produkte zu finden. Da im März dieses Jahres wieder neue Regelungen in Kraft treten, wollen wir das komplexe Thema Kosmetik und Tierversuche in dieser Ausgabe einmal detailliert beleuchten.

Tierexperimente für Kosmetika spiegeln in ganz besonderem Maße unsere ethische Verkommenheit wider, denn in Cremetöpfen und schillernden Haarfarben sind bis heute Schmerz und Tod der Versuchstiere eingefangen. In den siebziger Jahren riss die Bewegung der Tierversuchsgegner die Deutschen aus ihrer bis dahin vorhandenen Unwissenheit. Tierversuche und besonders die Tierquälereien der Kosmetikbranche standen am öffentlichen Pranger. Damals wurden Inhaltsstoffe, Fertigprodukte, pflegende und dekorative Kosmetikprodukte rücksichtslos im Tierversuch getestet. Doch der offensive und einfordernde Arbeitsstil der Tierversuchsgegnerbewegung, der maßgeblich vom Bundesverband und seinen Mitgliedsvereinen bestimmt wurde, zeigte im Laufe der Jahre Erfolg. Industrie und Politik konnten dem Thema nicht mehr ausweichen. Die ständigen Proteste der Tierversuchsgegner trugen dazu bei, dass in Deutschland schon das Tierschutzgesetz von 1986 Tierversuche für dekorative Kosmetik verbot - allerdings mit Ausnahmen.


Die EU bewegt sich

1993 bewegte sich dann auch die Europäische Union. Die EU-Kommission legte mit der 6. Änderung der Kosmetikrichtlinie ein Vermarktungsverbot für tiergetestete Kosmetikprodukte fest. Dieses sollte 1998 in Kraft treten und dafür sorgen, dass solche Produkte innerhalb der EU nur verkauft werden dürfen, wenn sie nicht an Tieren getestet worden sind. Auch außerhalb der EU hergestellte Kosmetika wären davon betroffen gewesen. Diese zukunftsweisende Regelung hatte allerdings einen Nachteil: Das Verkaufsverbot sollte nur in Kraft treten, wenn bis zu diesem Zeitpunkt, dem 1. Januar 1998, ausreichend tierversuchsfreie Verfahren zur Testung der Kosmetikprodukte entwickelt und anerkannt worden wären.

1998 schien das Aus für Kosmetik-Tierversuche in Europa zum Greifen nah. Doch dann wurde es in letzter Sekunde von der EU-Kommission verschoben, weil es keine anerkannten Ersatzverfahren gab. Das gleiche passierte 2000 erneut.


Kompromiss für tierversuchsfreie Kosmetik

Im Januar 2003 schließlich einigte sich die EU auf einen Kompromiss, der den Anfang vom Ende der Kosmetik-Tierversuche einleiten sollte. Dieser Kompromiss - in der 7. Änderung zur Kosmetikrichtlinie festgehalten - verbietet Tierversuche für das fertige Kosmetikprodukt einschließlich seiner Vermarktung bereits seit 11. September 2004 europaweit. Außerdem werden sämtliche Kosmetik-Tierversuche für die Rohstoffe und Einzelbestandteile verboten, und zwar in zwei Stufen - beginnend mit dem 11. März 2009 und endend mit dem 11. März 2013, unabhängig davon, ob es Ersatzverfahren gibt oder nicht. Parallel hierzu tritt das für den Erfolg unentbehrliche Vermarktungsverbot von Kosmetika, die tierexperimentell geprüfte Inhaltsstoffe enthalten, in Kraft.

Dass Tierversuchs- und Vermarktungsverbot in Kraft treten, auch wenn noch nicht genügend anerkannte tierversuchsfreie Verfahren zum Testen neuer Rohstoffe vorhanden sind, ist ein fundamentaler Meilenstein. Beide Verbote gelten ab dem 11. März 2009 für die meisten Tests, die mögliche giftige Auswirkungen der Substanzen auf die menschliche Gesundheit ermitteln sollen. Drei Testkategorien werden erst ab dem 11. März 2013 verboten, und zwar die Toxizität (Giftigkeit) bei wiederholter Verabreichung, die Reproduktionstoxizität (Prüfung giftiger Auswirkungen der Substanz auf die Nachkommen) und die Toxikokinetik (gibt Auskunft über giftige Um- und Abbauprodukte der Substanz durch Stoffwechselvorgänge im menschlichen Körper).


Wirklich tierversuchsfrei?

Wie sicher können wir sein, dass Kosmetika tatsächlich
tierversuchsfrei produziert werden?

Die Vorgaben der ab 11. März 2009 bzw. 2013 geltenden EU-Kosmetikrichtlinie sind vom Grundsatz her wichtig und eindeutig. Sie gelten allerdings nur für Substanzen, die ausschließlich zur Produktion von Kosmetika bestimmt sind. Die tatsächliche Situation ist jedoch die, dass bis zu 90 Prozent der Substanzen, die in Kosmetika zum Einsatz kommen, auch in anderen Bereichen verwendet werden, z. B. in der Industrie. In der Regel handelt es sich hierbei um Stoffe, die von den Herstellern auf eine Mehrfachverwendung, z. B. für den Einsatz als Chemikalie, getestet werden. Mit anderen Worten, nur etwa 10 Prozent der kosmetischen Bestandteile werden eigens und ausschließlich für Körperpflegemittel eingesetzt und dürfen nach geltendem Recht ab dem 11. März 2009 bzw. dem 11. März 2013 nicht mehr tierexperimentell getestet werden.

Wie aber sieht es bei den restlichen 90 Prozent der Rohstoffe und Substanzen aus, die aufgrund ihrer Verwendung auch außerhalb der Kosmetikbranche nach Chemikalienrecht (REACH[1]) im Tierversuch geprüft werden? Für diese Substanzen gilt nach wie vor die Regel, dass Tierversuche solange gemacht werden dürfen, bis entsprechende Ersatzverfahren nicht nur vorhanden, sondern auch von der OECD[2] in die Prüfrichtlinien oder als validierte[3] Verfahren in die EU-Kosmetikrichtlinie aufgenommen wurden (und zwar in Anhang V). Die OECD-Prüfrichtlinien enthalten bisher lediglich vier Ersatzverfahren. Und Anhang V der Kosmetikrichtlinie ist leer, weil bisher keine Ersatzverfahren ausschließlich zur kosmetischen Anwendung validiert wurden.

Kurzum, das Gros der Substanzen, die in Kosmetika verwendet werden, durchläuft wie eh und je den Tierversuch, da sie auch in anderen Produkten als Kosmetika Verwendung finden. Diese Inhaltsstoffe dürfen auch nach dem 11. März 2009 bzw. 2013 in kosmetischen Produkten zum Einsatz kommen, wenn der Hersteller der Kosmetika nachweisen kann, dass die sogenannten Sicherheitsprüfungen nicht für den Kosmetiksektor erfolgten. Diesen Nachweis muss der Rohstoffhersteller oder -lieferant erbringen.


Fazit

Wer davon ausgegangen ist, dass spätestens nach dem 11. März 2013 jegliche Kosmetika in der EU tierversuchsfrei produziert werden, muss nun erkennen, dass dies nicht der Fall ist. Nur für Substanzen, die ausschließlich in Kosmetikprodukten verwendet werden, trifft dies zu. Für Stoffe, die auch in anderen Bereichen wie z. B. der Industrie eingesetzt werden, gilt, dass diese nach dem Chemikalienrecht getestet werden, welches Tierversuche zulässt.

Regelungen zum Verbot von Tierversuchen, die in Kraft treten, auch wenn noch keine Ersatzverfahren vorhanden sind, hat es jedoch in dieser Eindeutigkeit bisher noch nicht gegeben. Das Verbot der Tierversuche für Kosmetika stellt daher einen Erfolg für Tiere und Tierversuchsgegner dar. Damit sich dieser Erfolg auch positiv auf das Verbot der Tierversuche zur Chemikalientestung auswirkt, kämpfen wir mit aller Kraft weiter. Denn erst wenn auch alle Chemikalien tierversuchsfrei getestet werden, ist die Kosmetik vollständig frei von Tierversuchen.


[1] REACH
steht für Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien). geltende EU-Chemikalienverordnung, seit 1. Juni 2007 in Kraft.

[2] OECD
Organisation for Economic Cooperation and Development (Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung - ca. 30 Industrienationen sind Mitglied).

[3] Validierung Verfahren zur Überprüfung der Qualität und des praktischen Nutzens einer tierversuchsfreien Methode sowie zur behördlichen Anerkennung.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 47/Februar 2009, S. 4-5
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009