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SCHLACHTEN/064: Aufbegehren gegen Masthuhn-Massenschlachthof (PROVIEH)


PROVIEH Heft 3 - Oktober 2010
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Aufbegehren gegen Masthuhn-Massenschlachthof

Von Stefan Johnigk


Stellen Sie sich vor, Sie fahren auf der A7 durch Deutschland, von Österreich bis nach Dänemark, fast tausend Kilometer weit. Neben Ihnen auf der ganzen Strecke hocken Masthühner hintereinander aufgereiht. Im Vorbeifahren allein zwischen zwei Lichtpfosten zählen Sie 135 Tiere. Und es nimmt kein Ende: Schlachtreife Masthühner entlang der ganzen A7, von Bregenz bis Padborg! Ein Wahnsinn? Gewiss. Doch so sähe es aus, würde man all die Hühner hintereinander aufreihen, die der emsländische Hühnerindustrielle Franz-Josef Rothkötter jede Woche im niedersächsischen Wietze schlachten lassen will. Und das mit massiver Unterstützung der Politik und gegen den entschiedenen Widerstand von Anwohnern, Tier- und Umweltschützern.

"Genehmigt werden zwei Schlachtlinien mit einer Gesamtkapazität von 2,592 Millionen Hähnchen wöchentlich", teilte das zuständige Gewerbeaufsichtsamt im Juli 2010 mit. Der Wietzer Bürgermeister Wolfgang Klußmann (CDU) ist auf ganzer Linie den finanziellen Verlockungen der Hühnerindustrie erlegen, verspricht er sich doch Gewerbesteuern und Arbeitsplätze für seine hoch verschuldete Gemeinde. Dafür wischte der Wietzer Verwaltungsausschuss ein Bürgerbegehren von 818 aufrechten Einwohnern der nur rund 8.000 Köpfe zählenden Gemeinde vom Tisch. Aus formalen Gründen. Doch die Ignoranz der Kommunalpolitiker heizt den bürgerlichen Widerstand weiter an. Die "Bürgerinitiative für den Erhalt unseres Aller-Leine-Tals e.V." hat bereits angekündigt, Klage einzureichen. "Das Projekt ist noch längst nicht durch", sagt der BI-Vorsitzende Norbert Juretzko. "Die Wasserversorgung des Megaschlachthofs ist ebenso fragwürdig wie die Gebietsausweisung." Doch nicht nur auf die Menschen in Wietze kommen Lärm und Geruchsbelästigungen zu. Damit die Schlachtfabrik ausgelastet werden kann, müssen mehr als 400 neue Intensiv-Hühnermastanlagen in der Region gebaut werden (siehe auch Heft 01/2010 und 02/2010). PROVIEH ruft dazu auf, die Bürgerinnen und Bürger von Wietze nach Kräften bei ihrem Protest zu unterstützen. Eine Klage der BI vor Gericht braucht dringend finanzielle Hilfe.

An finanzieller Hilfe für Europas größte Hühnerschlachtfabrik mangelt es dagegen nicht. Rund 7 Millionen Euro hat die niedersächsische Landesregierung für das irrwitzige Projekt bereitgestellt. Dafür hat die selbsternannte "Puten-Queen" und Geflügelmastministerin Astrid Grotelüschen gesorgt. Die Bauern, die sich als Lohnmäster für den industriellen Größenwahn anwerben lassen, müssen das finanzielle Pleiterisiko dagegen weitgehend alleine tragen. So entstand Ende Juli 2010 bei einem Brandanschlag auf eine neu gebaute Hähnchenmastanlage in Sprötze bei Buchholz der Bauernfamilie ein Sachschaden von rund 500.000 EUR. PROVIEH bedauert diesen kriminellen Akt und ruft dazu auf, den Widerstand gegen die industrielle Massenmast sachlich, besonnen und kompetent fortzusetzen. "Auch die Bauern gehören letztlich zu den Leidtragenden der verfehlten Agrarpolitik", erklärt der Vorsitzende von PROVIEH, Prof. Sievert Lorenzen. "Die Preise für Fleisch fallen weiter, und wenn diese Spekulationsblase platzt, dann gehen nur ein paar Konzerne mit Gewinn aus dem Rennen, während die Ställe der Bauern leer bleiben." Doch das meiste Elend müssen die über 130 Millionen Masthühner ertragen, die pro Jahr für Rothkötters Schlachtbänder im Turbo-Verfahren hochgemästet werden sollen.

Dabei wäre ein Gegenmodell leicht umzusetzen. Im Rahmen seiner Kampagne "Bauernhahn statt Turbohuhn" ruft PROVIEH dazu auf, die Hühner nicht länger der Industrie zu überlassen. Der Fachverband setzt auf eine dezentrale, extensive und artgerechte Haltung von Masthühnern. Statt einen industriellen Megaschlachthof zu bauen und in Intensiv-Mastanlagen minderwertiges Wabbelfleisch von gequälten Elendshühnern zu produzieren, könnte sich die Region im Landkreis Celle zu einem Zentrum für artgerechte Hühnerhaltung mausern. Die Rechnung dafür ist denkbar einfach: Für den Baupreis von nur drei neuen Intensiv-Hühnermastanlagen ließen sich über 350 mobile Kleinställe für die artgerechte Aufzucht von je 500 Hühnern auf Obstwiesen und an Waldrändern errichten und dazu ein mobiler Hühnerschlachthof, der am Ende der extensiven Mastzeit von 100 Tagen zu den Bauern auf den Hof kommt und vor Ort schlachtet. So bliebe den artgerecht gehaltenen Hühnern viel Leid erspart, und rund 2000 von ihnen könnten im Landkreis Celle pro Tag geschlachtet werden. "Wo bleiben die Fördermillionen für DIESES Projekt, Frau Grotelüschen?", fragt PROVIEH.

www.bi-wietze.de
www.bauernhahn.de


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Quelle:
PROVIEH Heft 3, Oktober, 2010, Seite 26-27
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Januar 2011