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POLITIK/730: Die EU weiter auf Agrarindustrie-freundlichem Kurs (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Die EU weiter auf Agrarindustrie-freundlichem Kurs

Von Sabine Ohm



Die EU-Kommission beendet nach ihrer verwässerten Reform der Agrarpolitik 2013 ihre fünfjährige Amtszeit mit härteren Seiten im EU-Biosektor. Auch bei der neuen Herkunftslandkennzeichnung für Fleisch gibt sie den Interessen der Industrie den Vorrang vor dem Verbraucherschutz.


Ökologische Landwirtschaft unter Druck

Am 24. März 2014 legte Agrarkommissar Dacian Ciolos den Entwurf für die neue EU-Ökoverordnung vor (834/2007/EG), die am 1. Juli 2017 in Kraft treten soll. Die Überarbeitung der Verordnung aus 2007 sei unter anderem nötig, weil weder die inländische Produktion noch der Rechtsrahmen mit der sehr dynamischen Entwicklung des Biosektors schrittgehalten hätten, heißt es im Vorspann. Während sich die Nachfrage nach Bioprodukten in den vergangenen zehn Jahren vervierfachte, hat sich die Bio-Anbaufläche nur verdoppelt. Der Sektor soll nach Ansicht der Kommission künftig "nachhaltig wachsen". Aber setzt die neue Verordnung die richtigen Akzente?

Die Novellierung beinhaltet leider keine Präzisierung der Standards (wie einheitliche Vorschriften zur Überdachung von Ausläufen), die wichtig für die Glaubwürdigkeit des Biosiegels und für gleiche, faire Wettbewerbsbedingungen zwischen den Biolandwirten wären. Die Kommission schreibt zwar, es gehe ihr um eine bessere Erfüllung der Verbrauchererwartungen, verfehlt aber das Ziel verlässlicher, einheitlicher Standards. Diese wären angesichts steigender Importe von Biowaren aus Drittländern (Nicht-EU-Ländern) und sich häufender Skandale durch Betrug ebenso notwendig wie die Beseitigung der bestehenden Schwächen in den Kontrollsystemen. Das Verbot gemischter konventioneller und ökologischer Landwirtschaft auf ein und demselben Betrieb ist sicher gut. Aber was die geplante "risikoorientierte" Kontrolle - das heißt "gute" Betriebe werden seltener geprüft und dadurch von Bürokratie entlastet, auffällige Betriebe dafür öfter - zu leisten vermag, muss sich erst zeigen. PROVIEH hätte sich insgesamt strengere und besser zwischen den Ländern koordinierte staatliche Kontrollen gewünscht.

PROVIEH begrüßt die häufige Nennung von hohen Tierwohlstandards im Verordnungsentwurf als zentrale Aufgabe der Biobetriebe und insbesondere die Abschaffung der Ausnahme- und Übergangsregelungen, die zumindest etwas mehr Stringenz und Verlässlichkeit bringen.

Denn Bio-Milchviehbetriebe durften zum Beispiel unter bestimmten Bedingungen bisher reine Anbindehaltung betreiben. Künftig müssen die Kühe immerhin einen befestigten Auslauf für Bewegung an der frischen Luft haben - wenn auch keinen verpflichtenden Weidegang, wie es eigentlich artgerecht wäre. Die Mitgliedsstaaten können nur noch sehr begrenzte Ausnahmegenehmigungen zur Vermeidung von Härtefällen erteilen.

Die Ökoverbände haben Bedenken, dass gerade kleine Betriebe hart getroffen, große moderne Bioindustriebetriebe dagegen besser mit den Neuregelungen zurechtkommen werden. Grüne Politiker und Bioverbände befürchten, die Verordnung werde den Biosektor unattraktiver machen und der Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft insgesamt mehr schaden als nützen, auch durch die strenge Nulltoleranz bei Verunreinigungen (zum Beispiel durch Pestizide vom konventionellen Nachbarhof). Sie kritisieren auch den Plan, den Zugriff auf konventionelle Züchtungen und Einsatzstoffe ab spätestens 2021 zu versperren, weil oftmals solide ökologische Alternativen fehlen. Denn es wurde bisher bei vielen Sorten und Arten versäumt, an die Biomethoden angepasste Saaten und Tiergenetiken zu züchten. Die Bio-Forschung bräuchte viel mehr Unterstützung durch Fördergelder zur Weiterentwicklung von Bio-tauglichen Rassen.

Konventionelle Hybridzuchtlinien benötigen heutzutage bestimmte Hochleistungsfutterkomponenten für ihren Stoffwechsel. Das geplante strikte Verbot von konventionellen Futterkomponenten (zum Beispiel mit wichtigen Aminosäuren) im Biofutter könnte deshalb bei Schweinen und Geflügel zu Tiergesundheitsproblemen führen. Der Versuch, mit Hochleistungshybriden unter Biobedingungen Ökoqualität zu erzeugen ist ungefähr so erfolgversprechend, wie mit einem Formel-1 Rennwagen mit Diesel im Tank auf einem Feldweg Rennen zu fahren. Für diese Probleme bietet die neue Bio-Verordnung leider keine Lösungsansätze.

Ähnlich wie die jetzt geltende Verordnung soll auch in der neuen Fassung nur ein allgemeiner Rahmen geschaffen werden, ohne detaillierte Beschreibungen der einzelnen Tierhaltungsvorschriften. Diese will die Kommission dann wieder über "delegierte Rechtsakte" erlassen, das Europäische Parlament (EP) und der Rat hätten dabei kein direktes Mitgestaltungsrecht. Das wäre gut, wenn die EU-Kommission strenge Tierwohlregeln erließe - aber dafür gibt es keine Garantie. Wer ab Herbst 2014 in der Kommission sitzt, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Aufgrund des Wahlsieges der Konservativen bei den Europawahlen im Mai dieses Jahres ist aber eine Fortsetzung der neoliberalen, industriefreundlichen Politik der letzten Jahre zu befürchten. PROVIEH wird sich im laufenden Gestaltungsprozess deshalb für detaillierte und strenge Bio-Tierhaltungsvorschriften einsetzen.


Herkunftslandkennzeichnung "light" für Fleisch

Die neue Regelung der Kommission für die Ursprungskennzeichnung von Fleisch (Durchführungsverordnung 1337/2013) vom 13. Dezember 2013 schützt die Verbraucher nicht ausreichend und ist sehr Industrie-freundlich.

Das Europäische Parlament (EP) plädierte bereits im Februar 2014 für eine Nachbesserung, hat aber kein Mitentscheidungsrecht. Es forderte trotzdem, für verpacktes frisches oder gefrorenes Geflügel-, Lamm-, Ziegen- und Schweinefleisch die gleichen strengen Regeln wie für Rindfleisch einzuführen. Für Rindfleisch traten aufgrund der in den Neunziger Jahren ausgebrochenen BSE-Krise (Rinderwahnsinn) am 1. Januar 2002 umfassende Rückverfolgbarkeits- und Kennzeichnungsregeln in Kraft. Warum sollte dies bei Schweinen und anderen Tieren nicht möglich sein?

Aufgrund der vielen Lebensmittelskandale der letzten Jahre wünschen sich Verbraucher eine sichere, klare und vollständige Etikettierung. Die Kommission beruft sich aber auf zu hohe Kosten. Sie schreibt nur die Kennzeichnung von Mast- und Schlachtland auf der Verpackung vor, nicht aber das Geburtsland, obwohl laut einer EU-Studie die Preissteigerungen nur wenige Cent pro Kilo betragen würden: bei Schweinefleisch 2,3 Prozent, bei Hühnerfleisch sogar nur 1,3 Prozent.

Die Kommission hat zudem allerhand Ausnahmen von der Kennzeichnungspflicht vorgesehen, zum Beispiel für Hackfleisch und Abschnitte, aber auch für Fleisch in verarbeiteten Produkten wie Tiefkühl-Pizza und Fertiglasagne. Dessen Ursprung soll gar nicht gekennzeichnet werden. So kann versteckt Fleisch aus Klonen und ihren Nachkommen aus Übersee (siehe Infobox) sowie minderwertig produziertes Fleisch aus dem Ausland bei uns vermarktet werden; denn in anderen Ländern gelten häufig noch schlechtere Tierschutzstandards: In der Ukraine geborene und aufgezogene Ferkel könnten beispielsweise bei uns als "ungarische Salami" verkauft werden, sofern die Tiere mindestens die letzten vier Monate in Ungarn gemästet und dort geschlachtet wurden. Aber die Ferkel kommen von Sauen aus der Ukraine, wo sie - anders als in Ungarn und der restlichen EU - ganzjährig in Käfigen (sog. Kastenständen) gehalten werden. Darin können sie sich kaum bewegen, nur (mühsam!) aufstehen und sich hinlegen. So können die Verbraucher keine informierte Wahl treffen, und außerdem werden die EU-Landwirte im Wettbewerb benachteiligt.

PROVIEH meint: Verbraucher, die aus ethischen, Tier- und/oder Umweltschutz-Gründen wissen wollen, woher das Tier stammte, wo es gelebt hat und wie weit es lebend transportiert wurde, müssen durch umfassende Etikettierung eine Wahlmöglichkeit haben - auch, weil es weder für Großgeflügel (Gänse, Puten, Enten) noch für Schafe und Ziegen EU-weit einheitliche Tierschutzbestimmungen gibt. Verbraucher in Ländern mit hohen Standards werden oft zu inländischer Ware greifen, wenn sie diese (dank vollständiger Etikettierung) identifizieren können. Das würde einheimischen Erzeugern im Wettbewerb helfen, trotz höherer Standards weiter zu bestehen.

Die neue Kennzeichnungsregelung wurde als Durchführungsverordnung (siehe oben!) von der Kommission erlassen und bereits im Amtsblatt der EU veröffentlicht (also rechtsgültig). Sie muss ab 15. April 2015 EU-weit eingehalten werden. Allerdings bleibt es den Lebensmitteleinzelhandelsketten (LEH) und Fertigwarenproduzenten überlassen, in den allein privatwirtschaftlich zu treffenden Entscheidungen wie den Einkaufsbedingungen strengere Regeln festzulegen. Sie können zum Beispiel auf rein deutsche Herkunft tierischer Erzeugnisse oder mehr regional erzeugte Ware setzen. Dabei fallen weniger Tiertransporte an, die lokale Wirtschaft profitiert und unsere Bauern hätten bessere Überlebenschancen trotz höherer Tierschutzstandards. Das ist zwar keine Patentlösung für alle Probleme, aber in jedem Fall verantwortungsvoller, als sich nur an die löchrige EU-Verordnung zu halten. PROVIEH wird sich dafür im Dialog mit Unternehmen des Lebensmittelsektors verstärkt einsetzen.


INFOBOX
Aus Kostengründen lehnt die Kommission auch die lückenlose Rückverfolgbarkeit von Klonen und ihren Nachkommen ab - obwohl vier von fünf Klonen rund um die Geburt qualvoll verenden und drei Viertel der EU-Bürger das Klonen zur Nahrungsmittelerzeugung ablehnen (siehe PROVIEH-Magazin 4/2010). Nur das Klonen selbst und der direkte Klonfleischverkauf sollen in der EU verboten werden. Das bringt aber nichts; denn in den USA und anderen Ländern Nord- und Südamerikas werden vor allem aus geklonten Rindern und Schweinen Reproduktionsmaterialien (wie Sperma) für den Export sowie massenweise Klonnachkommen produziert. Deren Fleisch könnte künftig als Verarbeitungsware in Fertigessen unerkannt auf unseren Tellern landen. PROVIEH fordert daher ein umfassendes Verbot von tierischen Erzeugnissen aus Klonen und ihren Nachkommen in Lebensmitteln.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2014, Seite 32-35
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2014