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POLITIK/456: Tierrechte 2007 - Chancen gegen Rückschritte (tierrechte)


tierrechte 4.07 - Nr. 42, November 2007
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Die Politik und die Rechte der Tiere
Tierrechte 2007 - Chancen gegen Rückschritte

Von Christiane Baumgartl-Simons


Angenommen, wir blickten aus der Zukunft auf das Jahr 2007 zurück und durchsuchten die 365 Tage auf die Frage: Was hat dieses Jahr zum Ende der Tiersklaverei beigetragen? Auf den ersten Blick gibt es nicht viel zu entdecken, denn im Vordergrund stehen Rückschritte, die auf Kosten der Tiere gehen. Doch auf den zweiten Blick erkennen wir auch Fortschritte.


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Während sich die Sozialdemokraten der Bundesregierung in Tierschutzfragen willenlos vom Koalitionspartner über unwegsames Gelände schleifen lassen, gehen die Rückschritte der letzten Jahre klar auf das Konto der Christdemokraten. Streng der Devise, nationale Alleingänge im Tierschutz zu vermeiden, wurden bereits im Vorjahr die Hennen zum Eier legen in Seehofer-Käfige gesteckt. Und auch in diesem Jahr erlag der Bundesminister gleich zweimal den Verlockungen der Hühnermafia. Deshalb müssen sich die sogenannten Masthühner die vier bis fünf Wochen ihres kurzen, qualvollen Lebens auf wenigen Quadratzentimetern zusammenquetschen lassen. Und die im Freiland lebenden Geflügeltiere werden zurück in die Ställe getrieben. Aus Tierschutzgründen versteht sich, denn nur so könnten sie vor der Vogelgrippe "geschützt" werden.

Nach christdemokratischem Verständnis vertragen sich diese Foltermaßnahmen ganz ausgezeichnet mit dem Staatsziel Tierschutz. Dieses steht ohnehin mutterseelenallein im Grundgesetz herum, während Gesetzgebung und Rechtsprechung keinerlei Kontakte mit ihm pflegen.


Dennoch: Hoffnungsvolle Ansätze

Zuversicht keimt erst auf, wenn der Blick auf die Bundesländer fällt. Genauer gesagt, auf Bremen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Diese drei schicken sich an, Grundsteine für das Fundament der Tierrechte zu meißeln. Und auch Baden-Württemberg und Hessen haben Engagement erkennen lassen.


Grundstein Nr. 1: Tierschutz-Verbandsklage

Die Tierschutz-Verbandsklage, die praktisch veranlagte Zwillingsschwester der Staatszielbestimmung Tierschutz, erblickte fünf Jahre nach Aufnahme des Tierschutzes in das Grundgesetz in Bremen das Licht der Welt. Ein hartes politisches Ringen ging diesem Beschluss über Jahre voraus (siehe auch nebenstehenden Artikel).


Grundstein Nr. 2: Normenkontrollklage gegen den Seehofer-Käfig

Kurt Beck, Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und Vorsitzender der SPD, zeigte in 2007 gleich zweimal ein scharfes Profil. Das zurzeit einzige Bundesland mit einer SPD-Alleinregierung reichte im Juni Normenkontrollklage gegen die Aufhebung des Käfigverbots für Hennen ein. Die von der jetzigen Bundesregierung beschlossene Haltung in den Seehofer-Käfigen - also größeren Käfigen für mehr Hennen - wird somit vom Bundesverfassungsgericht überprüft. Mittlerweile positioniert sich der SPD-Vorsitzende auch für ein Klagerecht im Tierschutz. Vermutlich hat sich Herr Beck von dessen unschätzbarem Wert für einen modernen Rechtsstaat überzeugt, als er die Klageschrift gegen die Seehofer-Käfige vorbereitete.


Grundstein Nr. 3: Paradigmenwechsel bei Tierversuchen

2007 hat noch eine dritte zukunftsweisende Handlung zu bieten. Die SPD-Fraktion im nordrhein-westfälischen Landtag hat einen Antrag auf Fördermaßnahmen für tierversuchsfreie Verfahren in den Landtag eingebracht. Im Zentrum steht die Forderung nach einem Lehrstuhl für In-vitro-Verfahren. Sollte diese Forderung eine politische Mehrheit im größten Bundesland finden, wäre das eine Initialzündung! Bislang kümmern sich die Regierungsfraktionen(CDU und FDP) darum wie um ein scheues Reh, das nur aus großer Entfernung eine unauffällige Beobachtung duldet. Doch so scheu ist das Reh gar nicht, denn Umweltminister Eckhard Uhlenberg hatte bereits Anfang Juni Tierversuche und Alternativen auf einem Symposium thematisiert (siehe tierrechte 3.07).


Weitere Lichtblicke

Auch Baden-Württemberg, Hessen und noch einmal Rheinland-Pfalz trauen sich, Zeichen zu setzen. Zwischen 15.000 und 25.000 Euro wenden diese Länder neuerdings auf, um Wissenschaftler auszuzeichnen, die Ersatzverfahren zum Tierversuch entwickelt haben (siehe Seite 21). Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gehen noch einen Schritt weiter und unterstützen Forschungsvorhaben zum Ersatz von Tierversuchen mit jeweils einem eigenen Etat.

Was CDU und SPD erfolgreich einführen konnten, muss auch in anderen Ländern Schule machen!

Aus Wiesbaden kommt noch eine gute Botschaft: Hessen hat beim Thema Schächten Standhaftigkeit und Durchhaltevermögen bewiesen: Seine schon 2005 gestartete Bundesratsinitiative zur Änderung des Schächt-Paragrafen im Tierschutzgesetz bekam im Juli 2007 endlich die erforderlichen Mehrheiten im Bundesrat. Jetzt ist der Bundestag am Zug, dessen Beschlüsse umzusetzen.


Ein Weihnachtswunsch

Der Leser darf gerne darüber spekulieren, was denn Politiker jedweder Couleur mit den Tieren so treiben würden, gäbe es nicht eine wachsende Zahl von Menschen, die Tiere aus den tödlichen Frondiensten entlassen wollen und sich deshalb in Verbänden, so auch unserem Bundesverband, organisieren. Doch in der Politik tummeln sich zu viele glatt geschliffene Durchschnittshirne, die für nichts mehr einstehen. Es gibt wenige in dieser Zunft, die gegenüber ihrem Gewissen anständig geblieben sind und in Fragen der Ethik - und das betrifft nicht nur den Tierschutz - nicht mit sich feilschen lassen. Hätte ich einen Weihnachtswunsch frei, so wünschte ich mir ausreichend viele dieser Spezies in allen Politiketagen...


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EU-Vertrag enthält Schutz der Tiere

Der neue "EU-Reform-Vertrag", auf den sich im Oktober die Staats- und Regierungschefs der EU geeinigt haben, beinhaltet den Schutz der Tiere in dem Wortlaut, wie er für die gemeinsame Verfassung vorgesehen war. Unser Bundesverband hatte sich in einer EU-weiten Kampagne für die Festschreibung des Tierschutzes in die Verfassung eingesetzt. Das Vertragswerk legt die Basis zu einem wirksameren Tierschutz in der EU. Seinen Erfolg wird aber erst eine veränderte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zugunsten der Tiere zeigen. Erfahrungsgemäß stellt sich dies nicht automatisch ein, sondern die Tierrechtler sind weiterhin gefordert, den Anspruch der Tiere in Konfliktfällen durchzusetzen.

Weitere Informationen unter:
www.animals-constitution.info


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Quelle:
tierrechte - Nr. 42/November 2007, S. 16-17
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

tierrechte erscheint viermal jährlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2007