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KOMMERZ/202: Sind die Verbraucher an allem schuld? (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Sind die Verbraucher an allem schuld?

Von Angela Dinter


Wenn wir den Stimmen der Agrarindustrie und dem Lebensmittelhandel Glauben schenken, dann ist der Verbraucher an den schrecklichen Haltungsbedingungen unserer "Nutz"tiere schuld, da er vorzugweise zu Billigangeboten greift. Aber ist das tatsächlich so?

Die Entstehung der Massentierhaltung war dem Wirtschaftswachstum nach dem zweiten Weltkrieg geschuldet. Hier entstanden Betriebe mit Tieren, die effizient und schnell die Schlachtreife erreichten oder die enorme Mengen Milch und Eier produzierten. Erste Erfahrungen in diesem neuen Metier der Landwirtschaft schwappten aus den USA zu uns herüber. Dort gab es bereits erste Legebatterien und Mastanlagen mit mehr als 10.000 Tieren.

Die Jahre nach dem Krieg waren geprägt vom Wiederaufbau, von Wachstum und Wohlstand. Die landwirtschaftliche "Nutz"tierhaltung verschwand aus unserem Blickfeld, und es dauerte fast 30 Jahre bis die ersten Stimmen gegen die Massentierhaltung laut wurden. Dies war auch die Geburtsstunde von PROVIEH e.V., dem einzigen "Nutz"tierfachverband Deutschlands. Bereits 1973 setzten sich die Geschwister Bartling gegen die ausbeuterischen und tierquälerischen Haltungsbedingungen von "Nutz"tieren ein. Mitte der siebziger Jahre trat die erste Haltungsverordnung für Schweine in Kraft. Sie galt offiziell als Massentierhaltungsverordnung. Eine Massentierhaltung wurde damals mit 1.250 Schweinen definiert. Dies sind märchenhafte Zahlen, wenn wir sie heute mit Bestandsgrößen aus Niedersachsen oder Brandenburg vergleichen. Dort werden Anlagen mit bis zu 80.000 Schweinen oder 900.000 Hühnern betrieben. Die Haltungsbedingungen der Tiere sind denkbar schlecht. Dies erklärt, weshalb im vergangenen Jahr 1.200 Tonnen Antibiotika in Tiermastanlagen verabreicht wurden. Routinemäßig werden unseren "Nutz"tieren Schwänze, Hoden, Schnäbel und Hörner entfernt, um sie an ungeeignete Haltungssysteme anzupassen.

Das Tier wird der Haltung angepasst

Bis in die späten achtziger Jahre war es uns Verbrauchern möglich, beim Metzger, Bäcker oder Gemüsehändler der Region einzukaufen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass unser Dorf vier florierende Metzgereien hatte, die Tiere von umliegenden Höfen schlachteten und vermarkteten. Kein einziger dieser Betriebe hat die Discounter-Ära überlebt. Mit dem flächendeckenden Discounterangebot sank die Qualität und mit ihr der Preis. Das Überangebot und die hierdurch entstandene Konkurrenz der Handelsketten brachten immer neue Billigangebote in die Regale. Denn der Preis eines Lebensmittels ist bis heute das einzige klar feststellbare Merkmal für Verbraucher. Die Dumpingpreise der Discounter wurden über die Schlachthofbetreiber an die Landwirte weitergereicht. Hierauf hat ein Großteil der Bauernschaft reagiert und mit "wachse oder weiche" eine Tierhaltung gefördert, die längst den Zenit überschritten hatte. Kranke, verstümmelte Tiere, Antibiotika-Missbrauch und Keim-Resistenzen sind die Folge.

Doch wer hier auf Einsicht hofft, liegt falsch. Immer noch werden Massentierhaltungsanlagen genehmigt und selbst Familienbetriebe vergrößern ihren Tierbestand um ein Vielfaches, denn das nächste einschneidende Ereignis steht bereits vor der Tür: Möglicherweise wird im Herbst 2016 das Freihandelsabkommen TTIP in unseren Ställen und Geschäften Einzug halten. Dann heißt es für die großen landwirtschaftlichen Betriebe "wir produzieren für den Weltmarkt". Dass wir beim Weltpreiskampf aufgrund begrenzter Flächen und weiterreichender gesetzlicher Bestimmungen nicht mithalten können, bleibt außer Acht.

Bis der Großteil der Landwirte und Produzenten dies realisiert, wird das Tierwohl weiter hinten angestellt und Misswirtschaft oder Profitgier auf dem Rücken der Tiere ausgetragen.


Der Verbraucher will wählen können

Eine tierquälerische Haltung will niemand unterstützen. Doch als deutsche Verbraucher sind wir verwöhnt und glauben immer noch, dass unser Fleisch einem sehr hohen Standard unterliegt. Von dieser Illusion sollten wir uns verabschieden und als eigenverantwortliche Verbraucher handeln, indem wir Wissen einfordern. Wissen über die Lebensbedingungen der Tiere, über Herkunft, Aufzucht und Schlachtung. Diese Möglichkeiten bietet die EU-Gesetzgebung an, und hierfür setzen wir von PROVIEH uns ein. Eine gesetzliche Haltungskennzeichnung, die klar wiedergibt, wie die Tiere gelebt haben, die auf unseren Tellern landen, wäre eine ausgezeichnete und bereits erprobte Lösung. Denn durch die Eierkennzeichnung von 0 - 3 wurden Eier aus Legebatterien bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes in deutschen Geschäften aus den Regalen genommen, weil der Verbraucher den Kauf verweigerte.

Sogar Informationen über Schlachtbedingungen kann der Verbraucher laut Lebensmittelinformationsgesetz einfordern.

Für Fleischkonsumenten bleibt bis zur Umsetzung dieser Maßnahmen nur der Weg zum Hofladen ihres Vertrauens. Dort können sie sich vor Ort von den Lebensbedingungen der Tiere überzeugen und Auskunft über Transport und Schlachtung erhalten. Als Belohnung erwartet sie ein schon fast vergessener Fleischgenuss.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 2/2016, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0, Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. August 2016

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