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KOMMERZ/182: Delfinhaltung in Deutschland (KRITISCHE Ökologie)


KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 79 Ausgabe 27 [2] - Winter 2012/13

Delfinhaltung in Deutschland

Ein Essay von Peter Thielen



Im Jahre 1965 wurde das erste Delfinarium Deutschlands in Duisburg mit vier großen Tümmlern eröffnet und man übte sich fortan in der Haltung dieser Tiere. Wie erfolgreich diese Übung insgesamt verlaufen ist, lässt sich in Zahlen nicht ausdrücken. Es gibt keine Liste, in der alle Delfine, die in Deutschland je gelebt haben, erfasst sind. Das liegt zum einen daran, dass in der Anfangszeit wenig dokumentiert wurde. Zum anderen, dass heute kaum Informationen über tote Tiere bzw. den Verbleib von Tieren nach der Schließung von Delfinarien herausgegeben werden. Dies mag sicherlich auch dem Umstand geschuldet sein, dass fünf von ehemals neun Delfinarien in Deutschland bereits Anfang bis Mitte der 90-er Jahre geschlossen haben und entsprechende Geschäftsunterlagen in der Zwischenzeit vernichtet wurden.

Das ist bedauerlich, aber letztlich glaube ich würden diese Zahlen keine Rolle spielen. Sie wären lediglich ein weiterer Streitpunkt zwischen Tierschützern und Delfinarienbetreibern bzw. deren Befürwortern.

Für mich als "Verbraucher" ist es schwer, mich zu orientieren. Und gar nicht so selten weigere ich mich den Streitereien zuzuhören, weil ich als Laie kaum beurteilen kann, wer nun Recht hat und wer nicht. Die eine Seite möchte mich gerne in ihrem Delfinarium als zahlenden Gast begrüßen. Die andere Seite möchte mich davon überzeugen, dass ich mit dem Besuch eines Delfinariums Tierquälerei unterstütze. Beide Seiten argumentieren für Ihre Sache. Und obwohl auf beiden Seiten auch Biologen stehen, kommen gegensätzliche Darstellungen zustande. Ein Beispiel dafür ist z. B. der Steckbrief über den großen Tümmler auf der Internetseite des Allwetterzoos in Münster.(1) Da heißt es unter anderem:

- Er bevorzugt flache Küstengewässer von 2 bis 6 m Tiefe.
- Er ist ortstreu und schwimmt um die 2 bis 5 km pro Tag.

Mit diesen Informationen im Kopf erscheint mir das Becken im Allwetterzoo nicht unbedingt zu klein. Auf der Internetseite des WDSF(2) liest man hingegen: "In Freiheit schwimmen Delfine in Delfinschulen mit rund 10-50 Delfinen täglich bis zu 100 Kilometer und können Tauchtiefen bis zu 300 Meter erreichen. Dies schreibt auch die Gesellschaft zur Rettung der Delphine.(3)

Mit dieser Information im Kopf kann ich mir auf gar keinen Fall vorstellen, dass sich ein Delfin in Gefangenschaft wohlfühlen kann. Beide Darstellungen gehen schon sehr weit auseinander.

Das Höchstalter, das ein frei lebender Delfin erreichen kann, ist ein weiteres gutes Beispiel. Während auf der Seite der Tierschützer z. B. berichtet wird, dass Delfine in freier Wildbahn 40 und sogar bis zu 50 Jahre alt werden können, sagen die Betreiber von Delfinarien, dass es nur zwischen 20 und 25 Jahre wären.

Interessant dabei ist, dass auf beiden Seiten Biologen stehen, die wissen, wovon sie sprechen. Zumindest sollte man das meinen.

Auf der Suche nach für mich verwertbaren Argumenten sind mir beim Stöbern auf den Internetseiten von Delfinarien ein paar interessante Aussagen aufgefallen. So schreibt der Allwetterzoo in seinem Informationsblatt:(4)

"Das Delphinarium Münster (...) übertrifft sämtliche EU-Richtlinien zur Zootierhaltung, die einer ständigen Überprüfung unterliegen."

Aha! Es ist also alles seriös und rechtlich einwandfrei! Aber was ist das für ein Argument? Für das Wohlbefinden seiner Tiere ist der Halter verantwortlich. Das Einhalten von Vorschriften ist dabei eine Selbstverständlichkeit. Würden Sie in ein Restaurant gehen, das damit wirbt, dass es die Vorgaben des Gesundheitsamtes übertrifft?

"Um die gewaltige Salzwassermenge von insgesamt zwei Millionen Litern zu reinigen", heißt es weiter im Infoblatt des Delfinariums Münster. Zwei Millionen Liter hören sich erstmal sehr viel an. Ist es aber gar nicht. Das Becken eines durchschnittlichen städtischen Hallenbades, wie z. B. dem in Gütersloh(5) mit den Maßen 25,00 x 12,50 Meter (312,5 qm Oberfläche) und einer Wassertiefe zwischen 1,00 und 3,50 Meter, hat bereits ein Fassungsvermögen von 750.000 Liter. Wenn man sich darin einen Delfin von bis zu 4 Metern Länge vorstellt, ist das nicht groß. Das Hauptbecken in Münster ist ca. um ein Drittel kleiner (200 qm Oberfläche). Die "gewaltige" Menge von zwei Millionen Litern verteilt sich außerdem auf sage und schreibe sieben Becken und deren Verbindungskanäle. D. h. die anderen sechs Becken sind noch kleiner. Vier große Tümmler und sechs Seelöwen leben darin. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu erkennen, dass das für die lebhaften und bewegungsfreudigen Tiere viel zu eng ist.

Das große Becken im Außenbereich vom Kombibad Homberg in Duisburg fasst übrigens 2.300.000 Liter. Das Bad hat mehrere Becken mit einem Volumen von insgesamt 4.270.000 Litern und das nur zum Vergnügen!

Der Zoo Duisburg schreibt auf seiner Homepage zum Thema Fortpflanzung von Delfinen:

"Gleichwohl stellt die Jungtieraufzucht von Delfinen auch heute noch ein Problem dar, da neugeborene Delfine - nahezu einzigartig in der Welt der Säugetiere - über kein intaktes Immunsystem verfügen, dass sich erst über Wochen und Monate entwickeln muss."(6)

Die Kälber von Rindern haben bei Ihrer Geburt auch kein intaktes Immunsystem.(7) Auch hier muss es sich erst über Wochen und Monate entwickeln. Im November 2011 lebten in Deutschland 12,5 Millionen Rinder, davon 3,85 Millionen Kälber und Jungrinder (bis einschl. 1 Jahr alt).(8)

"Trotz aller Fürsorge überleben nicht alle Neugeborenen", heißt es weiter. Das liest sich, als wenn halt ab und zu auch mal eins stirbt. Deshalb verwirrt mich der nachfolgende Satz: "Ähnlich ist die Situation im Freiland, wo ebenfalls eine scheinbar hohe Jungtiersterblichkeit gegeben ist", dann wieder. Wenn man bei der Situation im Freiland von einer scheinbar hohen Jungtiersterblichkeit spricht, kann ich das nachvollziehen, weil letztlich keiner wirklich weiß, wie hoch die Sterblichkeit der Jungtiere dort tatsächlich ist. Bei in Gefangenschaft lebenden Tieren kann man aber genau sagen, wie viele Jungtiere sterben und kann genau beurteilen, ob die Jungtiersterblichkeit hoch oder niedrig ist. Zumindest in Nürnberg ist sie tatsächlich enorm hoch!

Auf der Seite "Gefahren für Delfine" schreibt der Zoo Duisburg:(9) "Zudem werden auch heute immer noch Delfine der Wildbahn entnommen und an rein kommerziell betriebene Delfinshows überführt, von denen sich die wissenschaftlich geleiteten Delfinarien der Welt, die sich dem Natur- und Artenschutz, der Forschung, der Aufklärung der Bevölkerung sowie der Förderung von Schutzprojekten in den Weltmeeren verschrieben haben, strikt distanzieren."

Diese Distanzierung ist in jedem Fall begrüßenswert. Aber bedeutet das, dass ein Delfin in einem wissenschaftlich geleiteten Delfinarium weniger gefangen ist, als in einem kommerziellen? Macht es für einen Delfin einen Unterschied, ob er im Namen der Wissenschaft gefangen gehalten und zur Schau gestellt wird oder für den Kommerz? Oder ist Tierquälerei im Namen der Wissenschaft redlicher? Selbst wenn es tatsächlich so wäre, dass - wie auf der Seite "Mythos Delphin" des Zoo Duisburg(10) behauptet wird - Delfine nicht intelligenter sind als Hunde, wäre die Delfinhaltung dadurch eher legitimiert? Wie klein müsste ein Zwinger sein, um einen Hund in vergleichbar beengten Verhältnissen zu halten? Wäre es akzeptabel, einen Hund sein Leben lang in einem Zwinger eingesperrt zu lassen? Ein Leben lang, ohne einmal Gassi zu gehen? Welches Ansehen hätte der Besitzer dieses Hundes in unserer Gesellschaft?

Während meiner Recherchen hat sich meine Einstellung gegen Delfinarien stark gefestigt. Und ich denke, dass unabhängig davon, wie viele Delfine die Haltung in "menschlicher Obhut" mit dem Leben bezahlt haben, ist die Frage über Sinn und Unsinn der Haltung von Delfinen berechtigt und notwendig. Heute gibt man Fehler, die man vor zwanzig Jahren gemacht hat zu. Man rechtfertigt sich damit, dass man es hält nicht besser gewusst hat und dass man damals noch nicht so weit war. Tierschützer haben es aber damals schon gewusst, man hat nur nicht auf sie gehört. In zwanzig Jahren wird man die Fehler von heute wieder damit rechtfertigen, dass man eben noch nicht so weit war und es nicht besser gewusst hat, obwohl auch heute Tierschützer protestieren und eine gute Öffentlichkeitsarbeit machen. Aber auch heute will man nicht auf sie hören.

Stattdessen gibt es z. B. von Playmobil ein Delfinarium, mit dem wir unseren Kindern von klein auf beibringen können, dass es ganz normal ist, dass Delfine in Delfinarien leben. Das Delfinarium gehört zwar nicht mehr zum aktuellen Programm, aber man kann es noch überall kaufen. Ebenso gibt es noch die Tierpfleger, die einen Delfin auf einer Trage transportieren.

Als am Samstag dem 11. September 2010 auf VOX der Oscar-prämierte Film "Die Bucht" gezeigt wurde, diskutierte man im Vorfeld und im Nachhinein viel über Delfine. Besonders wurde immer wieder betont, dass dieses verhängnisvolle Lächeln, das sie so nett und freundlich aussehen lässt, einfach ein Gesichtszug ist, der mit Lächeln nichts zu tun hat. In der Montagsausgabe der Rhein Neckar Zeitung vom 27. September 2010, also gerade mal zwei Wochen später, wird auf der Kinderseite "Klaro" von Zippa berichtet, die in einem Aquarium in Australien einen kleinen Delfin zur Welt gebracht hat. Neben einem großen Foto steht geschrieben: "Wie niedlich! Neugierig streckt der kleine Delfin seine Schnauze aus dem Wasser. Das sieht aus, als ob er lächelt."


Links

(1) http://www.allwetterzoo.de/tiere/delphinarium.php?activemenu=tiere&sub=b6

(2) http://www.wdsf.eu/delfiriarien/

(3) http://www.delphinschutz.org/wissen/delfinarien/delfine-koennen-nicht-artgerecht-gehalten-werden.html

(4) http://www.allwetterzoo.de/pdf/infoblatt_delphinarium.pdf?PHPSESSID=ad9ea835e01cd3e3278fdb6152d62fee

(5) http://www.guetersloh.de/Z3VldGVyc2xvaGQ0Y21zOjI0MjE3.x4s

(6) http://www.zoo-duisburg.de/hoehepunkte-des-zoo-duisburg/rwe-delfinarium/fortpflanzung.html

(7) http://www.delaval.co.at/NR/rdonlyres/7D4C3D27-7D66-471A-B761-CAA597A0FD27/0/04_An_Anfang_sind_die_Kaelber_schutzlos.pdf

(8) https://www.destatis.de/DE/Publikationen/Thematisch/LandForstwirtsehaft/ ViehbestandTierischeErzeugung/Viehbestand.html?nn=55900 - Viehbestand - Faehserie 3 Reihe 4.1 - 3. November 2011

(9) http://www.zoo-duisburg.de/hoehepunkte-des-zoo-doisburg/rwe-delfinarium/gefahren.html

(10) http://www.zoo-duisburg.de/hoehepunkte-des-zoo-duisburg/rwe-delfinarium/mythos-delfin.html


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Begegnung zwischen dem Fotografen, der sich als Landsäugetier (Homo s. sapiens) mittels eines kleinen Bootes Meeressäugetieren, hier Großen Tümmlern (Tursiops truncatus), vor der Küste Sansibars nähert.

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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 79 Ausgabe 27 [2] - Winter 2012/13, S. 4-6
Herausgegeben vom Institut für angewandte Kulturforschung (ifak) e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2013