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KOMMERZ/158: Problem Kükentötung - Wie Küken-Brütereien um ihr sauberes Image kämpfen (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Problem Kükentötung -
Wie Küken-Brütereien um ihr sauberes Image kämpfen

Von Susanne Aigner


Die Henne schreitet gackernd über den Bauernhof, im Gefolge ihre Küken, die gerade geschlüpft sind. Was für ein romantisches Bild. Wir kennen es aus Kinderbüchern oder vom Urlaub auf dem Lande. Vereinzelt findet man sie heute noch bei Hobby-Hühnerhaltern: Die Glucken, die ihre Küken aufziehen. Doch diese Tiere sind es nicht, die die wachsende Nachfrage an Eiern, Brathähnchen und Hühnerschenkeln decken, für rund 80 Millionen Menschen in Deutschland.

Dafür werden in unscheinbaren Betonbauten auf engstem Raum tausende Legehennen, Puten und Masthähnchen gehalten. Ihr kurzes Leben dient nur einem Zweck: Viele Eier legen und viel Fleisch liefern. Die Mastlinien werden auf schnelle Gewichtszunahme selektiert: Schon nach 30 Tagen werden sie mit einem Körpergewicht von 1500 g geschlachtet. Eine Legehybride legt mehr als 280 Eier im Jahr. Diese Tiere erliegen oft schon vor dem Schlachtzeitpunkt ihren Krankheiten: Eine Verlustrate von fünf Prozent ist in der Geflügelproduktion automatisch einkalkuliert.

Die männlichen Küken in der Legehennenhaltung werden in der Regel sofort nach dem Schlüpfen getötet (ca. 45 Millionen jährlich in Deutschland). Das heißt, für die Hälfte aller Küken beginnt und endet das Leben mit ihrer Selektion, auch "Feather-Sexing" genannt: Ein Arbeiter sortiert bis zu 4000 Küken in der Stunde aus. Das Töten kann auf zweierlei Arten erfolgen, durch Gas oder den Schredder. Beim Vergasen mit Kohlendioxid werden die Küken übereinander in eine Tonne geworfen. Hier ringen sie etwa eine halbe Minute nach Luft, bevor sie das Bewusstsein verlieren und ersticken. Beim Tod durch die Schreddermaschine ("Homogenisator") gelangen die Küken über ein Fließband in einen Trichter, wo sie mit einem rotierenden Schlagwerk zerfetzt und anschließend zu Mus verarbeitet werden.

Das Vergasen wird von Brütereibesitzern als relativ human eingestuft, gegenüber anderen Praktiken, wie Ersaufen im Wasserbottich und Ersticken in großen Plastiksäcken, wie sie in der Branche üblich sind. Glaubt man Experten in der Schweiz, so ist das Töten mit Argon aus Sicht des Tierschutzes am besten. Allerdings kann durch unsachgemäßen Umgang mit dem Edelgas das Personal Schaden nehmen, weshalb von Argon letztlich abgeraten wird. Auch am Kükenmus wird noch verdient: Auf 30 Grad Minus tiefgefroren, wird es anschließend an Pelztierfarmen, Geflügelmastanstalten und an zoologische Gärten als Tierfutter verkauft. Bei den Masthähnchen sieht es ganz ähnlich aus: Entsprechen die Tiere nicht der Norm, werden sie nach oben genanntem Muster aussortiert.

Zu alldem gibt es sogar eine offizielle Stellungnahme vom Landwirtschaftsministerium. Dieses hat gegen das Vergasen und Verschreddern von Küken nämlich nichts einzuwenden, sofern es "vorschriftsmäßig" gemacht wird. Denn die gesetzlichen Vorschriften "reichten hier aus, um dem Tier überflüssiges Leiden zu ersparen".


Fabriken in Deutschland

Ein großer Anteil der Fabriken, die Küken zerschreddern oder vergasen, ist im Norden Deutschlands angesiedelt. Doch der Osten zieht nach: In Hilbersdorf bei Freiberg (Sachsen) wurde im Februar 2009 eine der modernsten Zuchtbrütereien eröffnet. Investor ist die Firma Aviagen GmbH aus Huntsville/Alabama, seit 2005 gehört sie der Firma Erich-Wesjohann aus dem niedersächsischen Visbek. 50 Millionen Küken werden hier im Jahr automatisch ausgebrütet. Davon schlüpfen 32 Millionen "verwertbare" Küken im Jahr. Nach offiziellen Angaben werden die Küken sortiert, geimpft, verpackt und per LKW oder Flugzeug innerhalb von Deutschland oder Osteuropa weiter verschickt. Die Presse hat keinen Zutritt auf das Industriegelände, da man laut Georg von Bitter (Projektleiter bei Aviagen) Angriffe von Tierschützern fürchtet. Erwartungsvoller Blick in die Zukunft. Und nach Produktionsbeginn sei der Zutritt für Fremde aus hygienischen Gründen nicht mehr möglich. So gibt es immer gute Gründe für den Ausschluss der Öffentlichkeit - und sicher nicht nur bei der Brüterei in Hilbersdorf.


Geschlechterfrüherkennung oder Zweinutzungshuhn?

Seit langem sind die Betreiber der Brütereien um ein makelloses Image ihrer Fabriken bemüht. Obschon hermetisch abgeriegelt, zeigen hartnäckige Tierschützer der Öffentlichkeit immer wieder unschöne Bilder aus den Produktionshallen und gefährden so Absatz und Vermarktung. Nicht zuletzt auch deshalb sind die Unternehmer an einer gesellschaftlich akzeptablen Lösung der Frage "Wohin mit den männlichen Küken" interessiert.

So forschen Institute wie die Uni Leipzig (Klinik für Vögel und Reptilien) zur Geschlechterfrüherkennung am unbebrüteten Ei. Neben der aufwendigen 3D-Röntgencomputer- und der Optischen Kohärenztomographie gibt es die Möglichkeit der UV-Resonanz Raman Spektroskopie. Die ionisierenden Strahlen des 3D-CT können sich negativ auf die Entwicklung des Embryos auswirken, indem sie Fehlbildungen provozieren. Zudem geht man davon aus, dass der Embryo ab dem 10. Bebrütungstag Schmerzen empfinden kann. Die Probenahme am Ei erfolgt zwischen dem 15. bis 17. Tag. Abgesehen von der Frage, ob dem Embryo Schmerzen überhaupt zugemutet werden dürfen: Die unerwünschten Eier werden auch hier aussortiert. Und die genannten Methoden sind bisher zu teuer, um sie routinemäßig in der Praxis anzuwenden. Dennoch wird die Forschung finanziell unterstützt und zwar vom Hessischen Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, von der Lohmann Tierzucht GmbH und von der Chemischen Industrie.

Weniger kostenaufwendig ist möglicherweise die Zucht eines geeigneten Zweinutzungshuhnes. Ob sie auch erfolgversprechend ist, muss sich erst noch zeigen. Zuchtversuche gibt es seit einigen Jahren in der ökologischen als auch in der konventionellen Tierzucht. Doch das vermarktungsfähige Huhn, das genug Eier legt und genug Fleisch ansetzt, wurde noch nicht gefunden. Ein Grund dafür ist vor allem, dass sich die Gene für beide Eigenschaften offenbar nicht in einem Tier vereinen lassen.

Man kann die Erfolglosigkeit aller bisherigen Bemühungen auch so interpretieren, dass sich Eigenschaften, mit denen Lebewesen von der Natur ausgestattet wurden, eben nicht den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Vielleicht finden wir das optimale Zweinutzungshuhn am Ende in einer seltenen Hühnerrasse wieder.


Quellen:

Bartels, T., Fischer, B.. Geschlechtsbestimmung im Hühnerei. In: Rundschau für Fleischhygiene und Lebensmittelüberwachung 10/2009

Bartels, T., Fischer. B. et al.: 3D-Röntgen-Mikrocomputertomographie und Optische Kohärenztomographie als Methoden zur Lagebestimmung des Plastoderms im unbebrüteten Hühnerei In: Deutsche Tierärztliche Wochenschrift 115; Heft 5; 182 - 188 (2008)

Harz, M., Krause, M. et al.: Minimal Invasive Gender Determination of Birds by Means of UV-Resonance Raman Spectroscopy. In: Analytical Chemistry, Vol 80, Nr. 4, February 15, 2008

Hach, Oliver: Küken-Fabrik brütet im Verborgenen www. freiepresse.de/NACHRICHTEN/THEMA_DES_TAGES_ REGIONAL/1460001.html

www.erich-wesjohann.de


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2009, Seite 12-15
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Januar 2010