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KOMMERZ/154: Blutarme Kälber für deutsche "Genießer" (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Blutarme Kälber für deutsche "Genießer"
So werden deutsche Tierschutzstandards unterlaufen

Von Raphael Misch und Stefan Johnigk


Kapaune, Foie gras oder weißes Kalbfleisch: Was einigen deutschen Genießern immer noch als Delikatesse gilt, entlarvt sich in Blindverkostungen mit artgerecht erzeugten Produkten regelmäßig als Geschmacksverirrung, nicht nur in Hinblick auf die qualvolle Herkunft der Produkte. Sterneköche wie Otto Geisel oder Vincent Klink können aus Öko-Gänseleber oder artgerecht gehaltenen "Bauerngockeln" (siehe Heft 04-2008) Gerichte zaubern, vor denen alle tierquälerischen "Delikatessen" blass aussehen. Trotzdem landen die blassen Qualprodukte weiterhin auf deutschen Tellern, wie zum Beispiel weißes Kalbfleisch aus anämischer Kälbermast.

Milchkühe müssen regelmäßig Kälber zur Welt bringen, damit ihre Milch weiter für den menschlichen Verzehr gemolken werden kann. Diese Milchkälber erwartet in Europa ein kurzes, meist wenig angenehmes Leben. Vor allem die männlichen Tiere werden an Kälbermastbetriebe verkauft und dort hauptsächlich mit Milchaustauscher gemästet, einer Eiweiß- und fetthaltigen Kunstnahrung. Bereits mit sechs Monaten werden sie geschlachtet. Laut EU-Richtlinie muss Kalbfleisch von Rindern mit einem Alter von maximal 6 Monaten stammen. Damit sich die Produktion lohnt, müssen die Kälber schnell genug zunehmen und am Ende der sechs Monate 150 bis 200 kg wiegen. Dies wird nur durch massiven Einsatz von Milchaustauschern möglich, wodurch eine artgerechte Ernährung auf der Strecke bleibt. Reine Kälbermastbetriebe halten zudem keine Milchkühe und können daher keine im eigenen Betrieb gewonnene Rohmilch verfüttern. Eine EU-Richtlinie schreibt zwar zusätzlich Raufutter vor, aber je nach Alter nur maximal 250 g pro Tier und Tag, das ist viel zu wenig. Ein Mangel an Raufutter führt zu Eisenmangel. Nehmen die Kälber zu wenig Eisen auf, werden sie anämisch (blutarm) und ihr Fleisch bleibt blass. In Deutschland ist ab der achten Lebenswoche ein unbegrenzter Zugang zu Raufutter vorgeschrieben, was einem Eisenmangel vorbeugt.

Eisen ist wichtig für die Bildung von Hämoglobin, dem Farbstoff der roten Blutkörperchen. Fehlt es, mangelt es an Hämoglobin und das Blut kann weniger Sauerstoff transportieren. Sauerstoffmangel macht die Kälber apathisch und lethargisch. Gesunde Kälber haben einen Hämoglobin-Wert (HB-Wert) im Blut von 7 bis 10 mmol/l. Nach deutschem Recht müssen Kälber mindestens einen HB-Wert von 6 erreichen. Die EU-Richtlinie sieht jedoch lediglich einen HB-Mindestwert von 4,5 vor. Das reicht nicht aus für ein gesundes Leben der Kälber.

In der Natur tritt Eisenmangel bei Kälbern normalerweise nicht auf. Es wäre kein Problem, auch bei der Mast mit ausreichend Raufutter eine gesunde Eisenversorgung zu gewährleisten. Kälber ernähren sich nur innerhalb der ersten Lebenstage ausschließlich von Milch. Unter natürlichen Bedingungen werden sie schrittweise von der Milch entwöhnt, bis sie sich selbstständig von Raufutter ernähren. Das ist wichtig für die Entwicklung ihres Verdauungsapparates. Rinder brauchen umso mehr Raufutter in der Ration, je älter sie werden.

Mangelhafte und nicht artgerechte Ernährung ist nur ein Teilaspekt des elenden Kälberdaseins. Bis zur achten Lebenswoche werden Kälber in kleinen Einzelboxen gehalten. Das erscheint nötig, da die Jungtiere einen so starken Saugreflex haben, dass sie sich in Gruppenboxen gegenseitig besaugen und davon krank werden würden. Eine rohfaserarme Ernährung fördert dieses Verhalten noch: Aus Gier nach Raufutter lecken die Kälber Haare aus dem Fell. Ab der 7. Lebenswoche kommen dann 6 bis 8 Kälber gemeinsam in eine Gruppenbox, wo sie je nach Gewicht maximal 1,8 m² Platz pro Tier haben. Die EU-Richtlinie zur Kälberhaltung gestattet diese Enge.

In Deutschland sind die Haltungsvorschriften für Kälber günstiger als in der EU, nicht zuletzt durch den langjährigen Druck von Tierschützerinnen wie den Schwestern Bartling, unseren Vereinsgründerinnen, und ihren Mitstreiterinnen. Kälber müssen freien und unbegrenzten Zugang zu Raufutter haben, ihre Ernährung darf nicht nur aus Milchaustauschern bestehen. Blutarmes, weißes Kalbfleisch auf Kosten leidender Kälber kann so nicht mehr produziert werden.

Doch die Nachfrage durch deutsche "Genießer" scheint allen Aufklärungsaktionen zum Trotz hartnäckig fort zu bestehen. Der Handel spielt mit. So werden rund 300.000 Kälber pro Jahr in die Niederlande exportiert, wo sie unter den unzureichenden Bedingungen der EU-Verordnung gemästet werden. Ihr weißes Fleisch wird zurück nach Deutschland geliefert und deutsche Tierschutzstandards damit unterlaufen.

In den Niederlanden kämpft der Tierschutzverein "Wakker Dier" (nicht zuletzt aus der Ferkelkastrationskampagne als Partner von PROVIEH bekannt) für eine bessere Behandlung der Kälber. Die Niederlande sind weltweit der größte Exporteur für weißes Kalbfleisch. Geliefert wird zum größten Teil nach Frankreich, Italien, aber auch nach Deutschland. Zusätzlich zu ihrer eigenen Kälberproduktion kaufen die Niederlande 600.000 Kälber jährlich hinzu und mästen sie nach den qualvollen Mindeststandards der EU-Richtlinie.

Das weiße Kalbfleisch wird aber ausschließlich für den Export produziert. In den aufgeklärten Niederlanden selbst wird kein weißes Fleisch mehr gekauft. "Wakker Dier" hat einige Kälbermäster bereits überzeugen können, ihre Kälber tierfreundlicher zu halten. So produziert der Kälbermäster "van Drie" jetzt auf zwei Linien: Kalbfleisch mit HB-Werten von 6 für den ausländischen Markt und dunkleres Fleisch mit HB-Werten von 7 für die Niederlande. Doch die allermeisten Mastkälber in den Niederlanden wachsen unter den mangelhaften Mindestvorgaben der EU-Richtlinie auf: qualvoll und nicht artgerecht, bestimmt für den Export, für unverbesserliche "Genießer" in aller Welt.

Wer auf Kalbfleisch keinesfalls verzichten mag, sollte zumindest die Finger von den blutarmen, weißen "Delikatessen" lassen. Nur rosa bis hellrotes Fleisch kann von gesunden Kälbern stammen.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2009, Seite 17-19
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2009