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KOMMERZ/152: Aufstieg und Fall der Cloppenburger Putenmast (PROVIEH)


PROVIEH Heft 1 - März 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Aufstieg und Fall der Cloppenburger Putenmast

Von Susanne Aigner


Es war einmal ein Landkreis in Niedersachsen zwischen Bremen, Oldenburg und Osnabrück, der durch die Mast von Puten, Hennen und anderem Geflügel zu Reichtum und Ansehen gelangte. Die Weser-Ems-Region, auch bekannt als der Deutsche Fleischtopf, lebte jahrelang in Glück und Wohlstand. Allein im Landkreis Cloppenburg gab es vor drei Monaten noch zwölf Millionen Stück Geflügel, davon drei Millionen Puten. Doch zu Beginn des Jahres 2006 zog große Sorge auf. Das für Vögel gefährliche Vogelgrippe-Virus "H5N1 Asia" war auf seinem langen Weg von China nach Europa auf der Insel Rügen angekommen, eine weitere Verbreitung nach Niedersachsen war zu befürchten. Vorsichtshalber errichtete man Tötungsmaschinen und verteilte Tankwagen mit Kohlendioxid, damit im Ernstfall der Geflügelpest alle Tiere schnell beseitigt werden können, um so der Seuche effizient Einhalt zu gebieten.

Im Dezember 2008 trat für die Putenmäster des Landkreises Cloppenburg der befürchtete Ernstfall ein, zwar nicht in Form der hoch ansteckenden Geflügelpest, wohl aber in einer Form der Vogelgrippe, die von dem niedrig pathogenen Virus H5N3 verursacht wurde. 31 Betriebe wurden bis Januar 2009 befallen, sie liegen vor allem im Bereich Garrel/Brösel. Nach der Geflügelpest-Verordnung vom 28. Oktober 2007 mussten alle unverzüglich getötet werden. Das tat die "Geflügelseuchenvorsorgegesellschaft", die sehr zügig töten und räumen kann. Puten wurden nicht nur in den infizierten Betrieben vernichtet, sondern auch in sogenannten Kontaktbetrieben, deren Mitarbeiter Kontakt zu infizierten Beständen hatten.

Der Vernichtungsfeldzug dauerte sechs Wochen und führte zur Tötung von 560.000 Puten. Da eine Pute kurz vor Weihnachten nicht selten 20 kg wiegt, erreichten die Tierkörperbeseitigungsanlagen beim Beseitigen der Tierkörper bald die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit.

All das wirft bei genauem Hinsehen einige Fragen auf: Warum hält man erst massenhaft Puten, um sie dann massenhaft umzubringen? Warum werden Tiere überhaupt "beseitigt", selbst wenn sie für den menschlichen Verzehr geeignet sind? Das Pech dieser Geschöpfe bestand darin, dass sie in viel zu hoher Individuen-Zahl in einem fehlgesteuerten und krankheitsanfälligen Intensiv-System gezüchtet und gemästet wurden und dass bei den Stichproben das eine oder andere Tier das Virus in sich trug. Das reichte als Tötungsgrund aus. Was für Maßstäbe setzt der zivilisierte Mensch heute?

Abgesehen von allen ethischen Einwänden: Widerspricht es nicht der Logik moderner Unternehmensführung, wenn ein rentabler Betrieb, der gestern noch Gewinne abwarf, heute schon "geräumt" wird, so dass die Unternehmer-Familie plötzlich vor dem Nichts steht? Wo liegt der Fehler? Unternehmerisches Risiko? Unabwendbares Schicksal? Wie geht es weiter mit den betroffenen Menschen? Welche Perspektiven haben sie? Darüber erfahren wir nichts. Der Schuldige ist ja namentlich bekannt: das Vogelgrippe-Virus. Und dem ist schwer beizukommen.

Doch nicht nur die betroffenen Betriebe erlitten Schaden. Um sie herum wurden "Sperrzonen" errichtet, und "absolute Stallpflicht" wurde über die Sperrzonen hinaus angeordnet. Das trifft Betriebe mit Freilandhaltung besonders hart, vor allem Bio-Betriebe, denen die Freilandhaltung von Hühnern vorgeschrieben ist. Die Zahl der Hühnerhalter geht stark zurück, denn wer heute einige wenige Hühner halten will, braucht dafür schon eine behördliche Genehmigung. Die Folge ist, dass private Hühnerhalter und Hobbyzüchter ihre Tiere schlachten und keine neuen mehr anschaffen. So beklagt Wilhelm Riebninger, Präsident des Bundes deutscher Rassegeflügelzüchter (BDRG e. V.), nicht nur den Mitgliederschwund im Verband, in dem bis vor kurzem noch 300.000 Züchter organisiert gewesen seien. Er warnt auch vor dem Verschwinden alter Geflügelrassen und damit dem Schwund genetischer Vielfalt: Nahezu 30.000 Zuchtbestände, die in seinem Verband organisiert waren, seien bisher verloren gegangen.

Auf der Suche nach der Herkunft der Varianten des Vogelgrippe-Virus tappt man noch immer im Dunkeln. Verschiedene Erklärungsmodelle werden bemüht. Lange hieß es, der Krankheitserreger würde durch kranke und geschwächte Wild- bzw. Zugvögel übertragen. Das Friedrich-Löffler-Institut stuft dieses Risiko inzwischen als gering ein. Viel höher bewertet es die Gefahrenquelle durch Personen- und Fahrzeugverkehr der Geflügelindustrie sowie illegale Importe. Die Cloppenburger vertreten die Theorie, dass das Virus von Stall zu Stall geweht wurde, denn die Putenhaltung findet in halboffenen Ställen statt, die zum Teil ziemlich nahe beieinander stehen.

Nahe liegend wäre, die modernen Formen von Massentierhaltung und Tierproduktion zu hinterfragen. Vielleicht führt die Räumung der Betriebe bei den Betroffenen zu einem Umdenken, was den Umgang mit der Schöpfung angeht. Hühner und Puten sind eben keine wehrlosen Fleischlieferanten, die bei minimalem Kostenaufwand viel Geld einbringen. Sie sind in erster Linie Lebewesen, für deren Wohlbefinden und Gesundheit der Mensch verantwortlich ist, sobald er sie sich zum eigenen Nutzen hält.

Wie auch immer, die Profiteure der Krise stehen schon auf dem Plan. Denn Mediziner prophezeien eine weltweite schwere Infektionswelle, sollte sich der hochpathogene Erreger H5N1 zu einem leicht übertragbaren Virus unter Menschen entwickeln. Bereits im April 2007 brachte der Hersteller Sanofi Pasteur sein Präparat auf den Markt. GlaxoSmithKline folgte Anfang des Jahres 2008 mit dem Impfstoff Prepandrix. Das Präparat enthält Antigene eines H5N1Virusstammes aus Vietnam. Damit sollen Menschen zwischen 18 und 60 Jahren geimpft werden, damit sie eine Immunantwort auf einen "noch unbekannten Virusstamm in der Bevölkerung" geben können, wie es heißt. Es folgten "Daronrix" von GlaxoSmithKline und "Focetria" von Novartis. GlaxoSmithKline erhielt im Mai 2008 eine Bestellung aus der Schweiz, welche acht Millionen Impfdosen anforderte. Die USA bestellte 27,5 Millionen Einheiten (dpa vom 22.2.08). Kein Zweifel, auf Grund der Krise stehen die Marktchancen gut für die Pharmaindustrie.


INFOBOX

Vogelgrippe und Geflügelpest sind die leichte und schwere Form der Aviären Influenza, verursacht durch niedrig- bzw. hochpathogene Varianten des Vogelgrippe-Virus. Hochpathogene Varianten gehören den Subtypen H5 und H7 an.


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Quelle:
PROVIEH Heft 1, März 2009, Seite 29-31
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. April 2009