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TIERHALTUNG/734: Tierhaltung der Zukunft und wie sie finanziert werden könnte (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2018

Tierhaltung der Zukunft und wie sie finanziert werden könnte

von Jasmin Zöllmer


Weite Teile der Gesellschaft in Deutschland wünschen sich eine andere Form der Tierhaltung. Eine Haltung, die den Tieren Respekt zollt und sie als fühlende Lebewesen wahrnimmt. Eine Haltung, die es Tieren ermöglicht, ihre Grundbedürfnisse auszuleben. Genügend Platz, Beschäftigungsmaterial und Auslauf gehören dazu. Rinder, die auf der Weide grasen, Schweine, die sich im Erdreich suhlen und wühlen können, Ferkel, die über eine Wiese rennen. Hühner, die im Gras picken und scharren und in der Sonne ein Sandbad nehmen. Doch diese Haltungsformen gibt es nicht zum Nulltarif. Investitionen in Ställe amortisieren sich häufig erst nach über zwanzig Jahren und Landwirte stehen ohnehin schon unter globalem Preisdruck. Der Umbau der Tierhaltung ist teuer: Laut wissenschaftlichem Beirat des Bundeslandwirtschaftsministeriums kostet die Umstellung auf eine gesellschaftlich akzeptierte "Nutz"tierhaltung drei bis fünf Milliarden Euro pro Jahr.

Das hört sich erst mal nach sehr viel Geld an. Doch im Haushaltsjahr 2017 konnten Bund, Länder und Gemeinden Steuereinnahmen (ohne Gemeindesteuern) in Höhe von 674,6 Milliarden Euro verbuchen. Nur ein halbes Prozent dieser Steuereinnahmen (also circa 3,4 Milliarden Euro) würde schon sehr viel bewirken. Doch stattdessen haben die Koalitionspartner SPD, CDU und CSU nur 1,5 Milliarden Euro für die gesamten vier Jahre der Regierungszeit und den gesamten Bereich Landwirtschaft und ländliche Räume vorgesehen. Nicht einmal 400 Millionen Euro pro Jahr sollen für alle Themenbereiche reichen. So kann der Umbau nicht gelingen.

Es gibt jedoch noch andere Möglichkeiten eine Tierhaltung der Zukunft zu finanzieren:


Umschichtung der Gelder der Gemeinsamen Agrarpolitik

60 Milliarden Euro gibt die Europäische Union jährlich für Agrarsubventionen aus. Der Löwenanteil (75 Prozent) fließt dabei in die sogenannte erste Säule in Form von Direktzahlungen. Sie werden pro Hektar ausgeschüttet - vor allem auf die Größe, nicht auf die Haltung kommt es hierbei also an. Für Deutschland stehen jährlich rund fünf Milliarden Euro für Direktzahlungen zur Verfügung. Genug, um den Umbau der Tierhaltung zu finanzieren, wenn man bereit wäre, diese Zahlungen gezielt für die Förderung von Tierschutzmaßnahmen umzulenken.

Knapp 25 Prozent der Subventionen fließen in die zweite Säule und honorieren damit zielgerichtet gesellschaftliche Leistungen, wie Umwelt- und Tierschutzmaßnahmen. Für Deutschland sind das nur rund 1,3 Milliarden Euro pro Jahr. Zwar steht es den EU-Mitgliedsstaaten und somit auch Deutschland frei, bis zu 15 Prozent aus der ersten Säule in die zweite Säule umzuschichten, um damit höhere Leistungen an Umwelt- und Tierschutz gezielter zu honorieren. Die Bundesregierung ist jedoch leider weit davon entfernt, diese Spielräume zu nutzen. So blockierte sie sogar eine minimale Erhöhung der Umschichtung um 1,5 Prozent, die im Bundesrat bereits beschlossen wurde.


Die Fleischsteuer

Fleisch ist beim Discounter oft sehr billig zu haben, zu billig, um eine artgerechte Tierhaltung zu ermöglichen. Ein Instrument, das auch deshalb immer wieder diskutiert wird, ist die Anhebung der Mehrwertsteuer, denn bisher gilt für Fleisch und Milch die reduzierte Mehrwertsteuer von sieben Prozent.

Ein überhöhter Fleischkonsum hat viele negative Folgen auf unsere Umwelt, unsere Gesundheit und natürlich auf die Tiere. Trotzdem werden tierische Produkte immer noch mit dem begünstigten Steuersatz besteuert. Dieser gilt für die meisten Grundnahrungsmittel, damit sich auch Menschen mit geringem Einkommen diese leisten können. Bei gesunden Lebensmitteln mit nur geringen externen Kosten wie Brot, Gemüse und Obst macht das auch Sinn. Aber gibt es ein Recht auf billiges Fleisch? Wenn der Mehrwertsteuersatz für Fleisch von 7 auf 19 Prozent erhöht würde, hätte dies einige positive Wirkungen:

Erstens würden Menschen insgesamt weniger Fleisch konsumieren, da der relative Preis im Vergleich mit anderen Lebensmitteln teuer würde. Der Fleischkonsum in Deutschland würde also schneller sinken als bisher.

Zweitens könnten die Mehreinnahmen einen Teil des Umbaus der Tierhaltung finanzieren. Das Umweltbundesamt schätzt die zusätzlichen Steuereinnahmen auf rund 5,2 Milliarden Euro, wenn alle tierischen Lebensmittel mit dem regulären Steuersatz von 19 Prozent besteuert würden. Dieses Geld könnte direkt in den Umbau der Tierhaltung fließen.

Leider hätte die Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes auch eine beachtliche negative Wirkung: Billigfleisch würde relativ zu Fleisch aus artgerechterer Haltung noch billiger werden. Denn die Mehrwertsteuer wird prozentual auf den Endpreis gerechnet. Je teurer der Basispreis, umso höher auch der Anstieg des Endpreises. Anstatt 1,07 Euro würde also 1,19 Euro bezahlt. Eine relativ geringe Differenz. Bei einem Basispreis von 10 Euro würden nun jedoch statt 10,70 Euro auf einmal 11,90 Euro fällig. Dies könnte durchaus dazu führen, dass preisbewusste Verbraucherinnen zunehmend nach Billigfleisch greifen anstatt hochwertiges Fleisch zu kaufen.

Alternativ könnte eine pauschale Abgabe von zum Beispiel 50 Cent pro Kilogramm Fleisch eingeführt werden. Dies würde das Gegenteil bewirken, denn prozentual gesehen würde hierbei teures Fleisch begünstigt. Bei dem derzeitigen Fleischverzehr von 59 Kilogramm pro Kopf in Deutschland kämen immerhin um die 2,5 Milliarden Euro zusammen.

Unfair ist zudem, dass tierfreie Ersatzprodukte wie Hafermilch und Sojaschnitzel derzeit höher besteuert werden als Milch und Fleisch. Hierfür gilt nämlich der reguläre Steuersatz von 19 Prozent. Das setzt falsche Anreize, denn damit werden tierische Produkte vor pflanzlichen Nahrungsmitteln begünstigt.

Sinnvoll wäre zum Beispiel, den begünstigten Mehrwertsteuersatz für Milch- und Fleischprodukte aufzugeben und gleichzeitig Tierschutzmaßnahmen wie die Weidehaltung gezielt zu fördern. So würden einerseits Anreize für bewussteren Fleischkonsum gesetzt. Andererseits könnten Erzeuger mit besonders tierfreundlichen Haltungssystemen die Mehrkosten wieder ausgleichen.


Honorierung der Haltungsbedingung durch transparente Kennzeichnung

Die Eierkennzeichnung hat gezeigt: Bei hoher Transparenz und Glaubwürdigkeit gibt es eine beachtliche Zahlungsbereitschaft bei einem Großteil der deutschen Verbraucher. Durch eine flächendeckende gesetzliche Kennzeichnung der Haltungsbedingungen auf Fleisch- und Milchprodukten könnte sich ein jeder beim Kauf bewusst für eine bestimmte Haltungsform entscheiden. Die Kennzeichnung von 0 - 3 ist bereits beim Ei sehr erfolgreich: Immer mehr Menschen greifen zu Bio- und Freilandeiern. Käfigeier wurden durch die sinkende Nachfrage vom Handel ausgelistet. Auch der Ernährungsreport 2018 zeigt: 85 Prozent der Deutschen wünschen sich Angaben zu den Haltungsbedingungen der Tiere bei Produkten tierischen Ursprungs. Dann sind sie auch bereit mehr zu bezahlen. Zumindest ein Teil der Kosten für Tierschutzmaßnahmen könnte so über den Markt wieder abgedeckt werden.

Aber der Markt alleine wird das Problem nicht lösen. Ein Politik-Mix aus einer flächendeckenden gesetzlichen Haltungskennzeichnung und gezielter staatlicher Förderung ist nötig, auch um den Landwirten Planungssicherheit zu gewährleisten. Diese Förderung kann durch eine Umschichtung der GAP-Gelder von der ersten in die zweite Säule sowie durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer für tierische Produkte auf 19 Prozent refinanziert werden. Der Umbau der Tierhaltung ist möglich. Packen wir es an!


MÖGLICHE FINANZIERUNGSQUELLEN UMBAU DER TIERHALTUNG:
Angaben pro Jahr in Milliarden Euro
0,5% der Steuereinnahmen:
3,4
GAP: Nutzung bestehender Gelder aus der 2. Säule:
1,3
GAP: Umschichtung von 15% von 1. in 2. Säule:
0,75
Regelbesteuerung tierischer Produkte (Erhöhung auf 19%):
5,2
Oder: Pauschale Fleischabgabe von 50 Cent/Kilogramm:
circa 2,5
SUMME MÖGLICHER FINANZIERUNGSQUELLEN:
8-10,6
Kosten Umbau der Tierh. laut wissenschaftlichem Beirat:
3-5

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2018, Seite 12-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2018

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