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TIERHALTUNG/669: Wie kann Tierwohl gemessen werden? Ein Methodenüberblick (PROVIEH)


PROVIEH Magazin 4/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Wie kann Tierwohl gemessen werden?
Ein Methodenüberblick

von Sandra Müller


Seit einigen Jahren wird die Forderung nach mehr Tierwohl für unsere "Nutz"tiere unter den Verbrauchern immer lauter:

Doch was bedeutet "Tierwohl" eigentlich konkret? Wie ist es möglich festzustellen, was die Lebensqualität für unsere "Nutz"tiere verbessert? Reichen mehr Platz oder anderes Futter aus, damit es unseren Tieren besser geht?


Farm Animal Welfare Council

In der Wissenschaft existieren verschiedene Definitionen von "Tierwohl". Besonders umfassend und bekannt ist die Definition des Farm Animal Welfare Council (zu Deutsch: "Nutztierwohlrat"), der von der britischen Regierung ins Leben gerufen wurde. Dieser "Nutztierwohlrat" entwickelte 1979 die sogenannten "fünf Freiheiten":

1. Freiheit von Hunger und Durst

2. Freiheit von Beschwerden/Unannehmlichkeit

3. Freiheit von Schmerz, Verletzungen und Krankheit

4. Freiheit normales Verhalten auszuleben

5. Freiheit von Angst und Stress

An diese fünf Freiheiten sind viele Messmethoden für Tierwohl angelehnt. Problematisch am Tierwohl ist jedoch, dass es schwer objektiv zu betrachten ist. Der Begriff ist ähnlich wie "Glück" schwer fass- oder übertragbar. Hinzu kommt, dass Tierwohl durch viele Faktoren beeinflusst wird und ein guter Messansatz diese miteinbeziehen sollte. Es gibt zwei unterschiedliche Messmethoden: Ressourcenbeziehungsweise managementbasierte Systeme, die die Tierhaltung anhand des Stalls und des Managements bewerten und tierbasierte Messsysteme, welche das Tier und sein Verhalten in den Vordergrund stellen.


Tiergerechtheitsindex

Eines der bekanntesten ressourcenbasierten Tierwohlmesssysteme stammt von dem Österreicher Bartussek aus dem Jahr 1985, der "Tiergerechtheitsindex 35" (TGI 35). Bartussek wollte Tierhaltungssysteme in der landwirtschaftlichen Praxis schnell und einfach bewerten. Der TGI 35 besteht aus fünf Einflussbereichen, die anhand von Auswahlbögen abgehandelt werden:

1. Bewegungsmöglichkeit

2. Sozialkontakt

3. Bodenbeschaffenheit

4. Klimabedingungen im Stall

5. Intensität der menschlichen Betreuung

In jeden Einflussbereich gehen mehrere Faktoren ein. So werden beispielweise im Bereich "Bewegungsmöglichkeit" im TGI für Rinder Punkte vergeben für die Größe von Stallflächen und Auslaufflächen pro Tier, sowie den Komfort beim Hinlegen. Je weniger Platz pro Tier vorhanden ist, desto weniger Punkte werden erreicht. Die übrigen Einflussbereiche werden ähnlich beurteilt. Insgesamt können 35 Punkte erlangt werden, woher auch die 35 im Namen stammt.


Checklisten

Eine Mischung aus ressourcen- und tierbasierter Messmethode hat der Biolandverband 2013 in Form von Checklisten für die wichtigsten "Nutz"tierarten entwickelt. Diese soll der Bio-Landwirt selbst zur Überprüfung seines Betriebes anwenden können. Es gehen Faktoren zu den Tieren, wie zum Beispiel Lahmheiten oder Verletzungen, und zu den Stallgebäuden, wie zum Beispiel Stallklima oder Stallhygiene, ein. In diesem Verfahren kommt ein Ampel-Bewertungsschema bei jedem Parameter zum Einsatz. Grün entspricht einem optimalen Zustand für beispielweise den Platzbedarf je Tier. Gelb wäre noch akzeptabel und bei rot besteht Handlungsbedarf.


Animal Welfare Assessment Protocol

Als das innovativste und umfassendste Messsystem gilt das "Animal Welfare Assessment Protocol" (zu Deutsch: "Tierwohlbewertungsprotokoll" kurz AWAP). Die Entwicklung des Protokolls wurde von der Europäischen Kommission finanziert. Zwischen 2004 und 2009 arbeiteten 44 Institute und Universitäten aus 17 Ländern an durchführbaren, wiederholbaren und gültigen Parametern für das Protokoll. Das "Welfare Quality® Projekt" beinhaltet dabei sowohl tier- als auch ressourcen- und management-basierte Messungen, was eine umfassende Beurteilung von Betrieben erlauben soll. Die Protokolle sollen damit ermöglichen, auf eine standardisierte Weise Tierhaltungssysteme und Schlachthäuser in ganz Europa zu testen. Insgesamt werden je nach Tierart 30-40 Parameter gemessen, wie zum Beispiel der Gemütszustand der Tiere, der Platz pro Tier oder die Anzahl der Wunden. Mittels sogenannter "Scores" von 0 bis 2 erfolgt eine Abstufung: 0 bedeutet keine Beanstandung und 2 ist ein schlechter Zustand. Die Ergebnisse werden schließlich durch eine spezielle mathematische Gleichung zu einem Endergebnis zusammengefasst.

Jede der hier vorgestellten Beurteilungsmethoden möchte den Zustand der Tierhaltung eines Betriebes sichtbar machen und auf Mängel hinweisen, wobei kein Verfahren als perfekt anzusehen ist. Die aufgezeigten Mängel müssen behoben werden, damit das Leben unserer "Nutz"tiere verbessert werden kann. Meist ist dazu aber nicht nur der Wille des Landwirtes, sondern auch Geld nötig, um Zustände ändern zu können. Bei den derzeit viel zu geringen Fleischpreisen ist dies jedoch häufig nicht möglich. Der Verbraucher hat es also in der Hand mit seinem Kauf bereits nachhaltige und tiergerechte Landwirtschaft zu unterstützen.

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Quelle:
PROVIEH Magazin 4/2015, Seite 32-33
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2016

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