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TIERHALTUNG/664: Initiative Tierwohl Schweine (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Initiative Tierwohl Schweine

Von Sievert Lorenzen


Machen wir uns nichts vor: Die Massentierhaltung ist ein Auslaufmodell. Wird sie nicht rechtzeitig auf ein vernünftiges Maß zurückgeschraubt, wird sie in der Katastrophe enden. Warum? Die Massentierhaltung steht und fällt mit der Massenproduktion von Soja-Schrot. Dafür werden riesige Naturräume zerstört, zum Beispiel der Amazonas-Regenurwald. Dessen Boden ist derart unfruchtbar, dass immer neue Gebiete niedergebrannt und gedüngt werden müssen, um neue Felder für den Soja-Anbau zu erschließen. Die ausgebeuteten Felder sind schließlich so ausgelaugt, dass durch weitere Brandrodung wieder neue Felder erschlossen werden. Das geht nicht mehr lange gut. Dann aber ist Schluss mit Massenexporten von Soja. Dann wird die Massentierhaltung global einknicken. Bauern, die nachhaltig wirtschaften wollen, müssen deshalb rechtzeitig umdenken und die Weisheit bedenken, dass in einer endlichen Welt kein unendliches Wachstum möglich ist, selbst wenn Politiker in verantwortungsloser Weise immer wieder Wachstum, Wachstum und noch mehr Wachstum einfordern.

Friedlich lässt sich die Massentierhaltung nicht von heute auf morgen abschaffen, aber es gibt Wege, sie Schritt für Schritt durch eine nachhaltigere Wirtschaftsweise abzulösen. Einen Weg in diese Richtung bietet die Initiative Tierwohl für Schweine (ITW), an deren Entwicklung PROVIEH vor allem in der Anfangsphase beteiligt war. Wir ließen uns neben der endlichen Verfügbarkeit von Kraftfutter auch von den folgenden Erkenntnissen leiten:

Erstens: Wenn die Massentierhaltung wächst und wächst, dann wachsen mit ihr auch die Umweltprobleme, denn wo massenhaft importiertes Kraftfutter verfüttert wird, fällt massenhaft Gülle an, viel mehr als gebraucht wird. Der Überschuss muss beseitigt werden, also wird er massenhaft auf die Felder ausgebracht und verdirbt dann das Grundwasser, ein Allgemeingut. Soll die Allgemeinheit leiden zum Wohl der Massentierhalter? Soll das Individualwohl der Massentierhalter wirklich über dem Allgemeinwohl der Bevölkerung stehen? Nein, das wäre verantwortungslos. Also: Wer Verantwortung zeigt, produziert weniger Gülle. Hierbei hilft die ITW.

Zweitens: Wer in einer endlichen Welt Wachstum ohne Ende anstrebt und schließlich nachhaltiges Wirtschaften durch gnadenlose Ausbeutung von Tier, Mensch und Umwelt ersetzt, wird zum Schädling der Allgemeinheit werden. Die ITW bietet einen Einstieg in die nachhaltige Wirtschaftsweise mit Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit.

Drittens: Werden die Nutztiere ausgebeutet, leiden sie unter Stress und Krankheiten. Würden Sie Produkte von solchen gequälten Kreaturen für qualitativ hochwertig halten? Wohl kaum. Wir, die Konsumenten, möchten vielmehr, dass die Nutztiere gesund aufwachsen und sich möglichst wohl im Betrieb fühlen, denn dann erhöht sich auch die Qualität ihrer Produkte. Zur Stressvermeidung gehört insbesondere, dass die Tiere am Schlachttag möglichst wenig Angst und Stress erleiden. Stress am Schlachttag macht das Fleisch wässrig und verdirbt deswegen auch die Frucht sorgfältiger Tierhaltung. Tierschutz und Wirtschaftsinteresse gehen Hand in Hand, wenn sie stressfreies Schlachten fordern. Auch diese wird von der ITW gestützt.

Viertens: Je höher die Belegungsdichte im Stall, desto größer ist das Risiko, dass eine Tierseuche den Bestand befällt, derentwegen Tausende oder im Extremfall Millionen von meist gesunden Tieren im ganzen Umland rund um einen befallenen Betrieb vernichtet werden müssen, nur um den Seuchenzug einzudämmen. Die ITW bietet die Chance, dieses Risiko zu mindern.


Die Finanzierung der ITW

Bauern, die für ihren Tierbestand das Tierwohl erhöhen, erbringen eine Wirtschaftsleistung, für die sie mit Fug und Recht ein angemessenes Entgelt erwarten dürfen. Das ist ein übliches Prinzip einer Leistungsgesellschaft, die nicht auf Ausbeutung setzt. Die Erwartung der Bauern blieb bisher oft enttäuscht, Anstrengung lohnte sich nicht. Das ändert sich mit der ITW. Wer das Wohl seiner Tiere erhöht, bekommt außer dem marktüblichen Preis für seine Tiere auch eine Bonuszahlung aus dem sogenannten Tierwohl-Fonds, der eine Art Kollekte darstellt und in den viele Unternehmen des Lebensmittel-Einzelhandels (LEH) vier Cent pro Kilogramm Schweinefleisch freiwillig einzahlen. Damit lässt sich schon viel Tierwohl finanzieren. Nun haben sich aber derart viele Schweinebauern für die Teilnahme an der ITW angemeldet, dass wegen der Deckelung des Fonds nicht alle Interessierten aufgenommen werden konnten. Die Deckelung des Fonds erwies sich als fatal und muss schnell aufgehoben werden, denn Enttäuschung demotiviert und gefährdet so das Ganze.

Noch sind nicht alle Unternehmen des LEH der ITW beigetreten, und noch zahlen nicht alle Unternehmen sieben statt vier Cent pro Kilogramm Schweinefleisch in den Fonds ein.

Dass viele Unternehmen des LEH an der ITW überhaupt teilnehmen, zeigt an, dass bei ihnen der Gedanke der Nachhaltigkeit des Wirtschaftens mit Macht Fuß gefasst hat und dass die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur keine Zukunft mehr hat. Die an der ITW teilnehmenden Unternehmen zeigen also Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit, sie stellen das Allgemeinwohl über ihr eigenes Individualwohl. Dafür verdienen sie Respekt. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer vom LEH an der Initiative Tierwohl für Schweine nicht teilnimmt und auch sonst keine Mühen zur Verbesserung der Tierhaltung unternimmt, handelt gegenüber dem Allgemeinwohl verantwortungslos. Welcher Betrieb des LEH würde wollen, dass man deshalb mit dem Finger auf ihn zeigt? Das wäre doch nur peinlich und womöglich geschäftsschädigend. Das aber kann sich derzeit kaum noch ein Betrieb des LEH leisten.

Gelegentlich wurde als Argument gegen die Teilnahme an der ITW ins Feld geführt, dass viel Schweinefleisch nicht über die Ladentheken des LEH geht, sondern auch direkt an Catering-Unternehmen und in den Export gelangt. In der Tat, auch Unternehmen, die auf diese Weise von der durchschnittlich erhöhten Qualität des Schweinefleischs profitieren, sind zur Verantwortung aufgerufen, auch an der ITW teilzunehmen.

Mit der ITW wurde kein Qualitätslabel geschaffen. Das geschah mit voller Absicht aus verschiedenen Gründen. Zum Beispiel wäre es für einen Betrieb des LEH kaum möglich, Fleisch verschiedener Label immer gleichzeitig vorzuhalten. Mit der ITW wurde vielmehr nur der Anreiz gesetzt, die Schweinehaltung im Durchschnitt zu verbessern. Das ist ein praktikables Ziel mit hohem Wirkungsgrad, denn es macht uns deutlich, dass rechtzeitiges Abbremsen des Wachstums überlebenswichtig für uns alle ist.


INFOBOX
 
ITW Geflügel

Im Juli 2015 startete die Anmeldung für die Initiative Tierwohl im Bereich Geflügel. Über 1400 Betriebe haben sich aus dem In- und europäischen Ausland angemeldet. Im Oktober werden die ersten Betriebe auf die festgelegten Kriterien überprüft.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2015, Seite 25-27
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2015

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