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TIERHALTUNG/600: Prohuhn - erste Erfolge einer neuen Kampagne (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

KAMPAGNE
Prohuhn - erste Erfolge einer neuen Kampagne

Von Stefan Johnigk



Für PROVIEH besuche ich viele Hühnermastbetriebe und Geflügelschlachthöfe. Dabei geht es nicht darum, grausame Bilder ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Wir suchen die fachliche Auseinandersetzung mit den Tierhaltern, um für eine tiergerechtere Hühnerhaltung zu kämpfen. Als Biologe kann ich wissenschaftlich begründen, was ein Huhn zu einem "guten Leben" braucht. Die Unterschiede zwischen der industriellen Intensivmast von Hühnern und einer verhaltensgerechten Hühneraufzucht sind himmelweit. Vieles, was ich bei meinen Besuchen erlebe, ist für sensible Menschen eine Belastung. Aber es gilt, sich davon nicht entmutigen zu lassen.

PROVIEH will den Tierschutz auch in der "Massentierhaltung" von Masthühnern Schritt für Schritt voranbringen. Deshalb begleite ich Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) bei Gesprächen mit Geflügelfleischerzeugern und Mastbetrieben, um Verbesserungsmaßnahmen in der Hühnermast zu erarbeiten. PROVIEH berät gemeinsam mit Handel, Erzeugern und Tierhaltern, was die einzelnen Maßnahmen kosten und wie in einem Stufenplan weitere Verbesserungen erreicht werden können. Der LEH soll branchenweit überzeugt werden, die Verbesserungen durch Zahlung höherer Preise zu entgelten.

Diese Aktivitäten laufen nunmehr seit gut zwei Jahren. Sie blieben bislang für die Mitglieder von PROVIEH fast unbemerkt, weil alle Akteure sich in vielen Aspekten zu strikter Vertraulichkeit verpflichtet haben. Kein Betrieb will riskieren, "die Tierschützer" erst herein zu lassen und danach meist als Tierquäler öffentlich bloßgestellt zu werden. PROVIEH wird daher keine Namen und Orte der aufgesuchten Betriebe nennen, wohl aber über die Erfahrungen zum gegenwärtigen System der industriellen Hühnerhaltung berichten. Und über Erfolge, denn erste Fortschritte wurden bereits erzielt. Unter dem Stichwort "PROHUHN" wirbt unser Verein ab sofort zweckgebundene Spendengelder ein, um diese Kampagne wirksam fortführen zu können.


Raus aus der Nische

Ein schwergewichtiger Partner in der Kampagne PROHUHN ist REWE, Deutschlands zweitgrößtes Lebensmitteleinzelhandelsunternehmen. Mit ihrem Label PRO PLANET kennzeichnet die REWE Group in ihren Märkten Produkte, deren Herstellung, Verarbeitung und Verwendung die Umwelt und die Gesellschaft weniger als bisher belasten. Mittlerweile wird bei REWE und PENNY auch das gesamte Angebot an frischem Hühnerfleisch nach den Vorgaben von PRO PLANET hergestellt und die Waren sukzessive mit dem Label gekennzeichnet. Gemeinsam mit der REWE Group und ihren Lieferanten entwickelt PROVIEH Maßnahmen, die verbesserte Tierhaltungsstandards und mehr Nachhaltigkeit in der Hühnermast erreichen sollen. So verlangt die REWE Group beispielsweise von den Lieferanten der PRO PLANET-Hühner eine Senkung der Besatzdichte um 15 Prozent, einen Verzicht auf den Einsatz gentechnisch veränderter Futtermittel und eine kontinuierliche Umstellung auf europäische Eiweißquellen im Futter anstelle der Sojaimporte aus Übersee. Die Einhaltung dieser Kriterien verursacht Kosten bei den Betrieben. Die REWE Group begleicht diese durch einen Aufschlag auf den Einkaufspreis. Für uns Nutztierschützer gilt es durch genaue Beobachtung zu erfassen, wie sich die vereinbarten Maßnahmen in der täglichen Praxis der Hühnermast auswirken. Nur wenn sie sich als sinnvoll erweisen, kann das Label PRO PLANET gegen aggressive Billigangebote von Konkurrenzunternehmen verteidigt werden, die weniger an Tierwohl interessiert sind. Das erfordert Sachkenntnis und...


... gute Argumente!

Wir haben mittlerweile eine Vielzahl von Hühnermastbetrieben besucht und an vier großen Schlachthöfen verfolgt, wie die wenige Wochen alten Hühner zu Brustfilets, Chicken Wings und Hühnerkeulen verarbeitet werden. Wir haben mit Mästern und Stallbetreuern, mit Futtermittelerzeugern und Veterinären, mit Schlachthofl eitern und Tierschutzbeauftragten gesprochen. Wir haben genau hingeschaut und geduldig zugehört, haben hartnäckig nachgefragt und interne Unterlagen eingesehen, haben Anregungen gegeben und Kritik geäußert. Das Ergebnis ist für alle Beteiligten schon nach den ersten wenigen Mastdurchgängen sehr ermutigend. Alleine die moderate Reduktion der Besatzdichte von üblicherweise bis zu 24 Hühnern pro Quadratmeter auf nunmehr höchstens 20 Tiere führt in allen Betrieben zu sichtbaren Verbesserungen. Die Hühner gewinnen mehr Bewegungsraum, die Qualität der Luft und der Einstreu wird besser, die Fußballen entzünden sich weniger heftig, und auch der Einsatz von Antibiotika scheint seltener notwendig zu sein. Der Austausch von Sojaprotein durch gereinigtes Erbseneiweiß verbessert die Verdauung der Tiere. Zusätzliche Strukturelemente wie Strohballen und Picksteine werden von den Hühnern dankbar angenommen. Die Umstellung der Haltung lohnt sich durch den Mehrpreis auch für die Landwirte. All das liefert gute Argumente, um den Angriffen der Billiganbieter zu trotzen. Doch ungeachtet aller Fortschritte können die Maßnahmen das Leid der Hühner in der industriellen Hühnermast nur vermindern. Auch eine verbesserte Massentierhaltung bleibt eine Massentierhaltung - und für PROVIEH damit noch viel zu tun.


Herztod als Leistungsindikator

Bei unseren Betriebsbesuchen stellte sich unter anderem heraus, dass unter den verbesserten Bedingungen weniger Hühner während der Mast am plötzlichen Herztod sterben. Wir begrüßen das als Fortschritt. Den Mäster aber verunsichert diese Beobachtung. Er erklärt uns, warum.

Findet ein Stallbetreuer bei der "täglichen Inaugenscheinnahme" der Herde eine bestimmte Anzahl von Hühnern, die am plötzlichen Herztod verendet sind, so zeigt ihm dies: Die Fütterung auf extremes Wachstum hat diese Tiere an ihre biologische Leistungsgrenze gebracht. Sterben zu viele Masthühner daran, mindert das den Gewinn. Sterben zu wenige, ist die Leistungsgrenze noch nicht wirtschaftlich ausgereizt. Die Häufigkeit des plötzlichen Herztods gilt dem industriellen Hühnermäster also als Anzeiger, ob sich die Mast der zigtausend Hühner wirtschaftlich lohnt oder nicht. Herzversagen als Indikator für Wirtschaftlichkeit - zynischer lässt sich das System der industriellen Intensivtierhaltung kaum charakterisieren.

Natürlich bedeutet der Tod eines jeden Masthuhns einen wirtschaftlichen Verlust für den Mäster, denn mit dem vorzeitigen Tod eines Tieres geht auch der Gegenwert an Futter und Arbeitsleistung verloren. Doch wer als industrieller Auftragsmäster nur 95 Cent pro Kilogramm lebendes Huhn erhält und damit auch alle Ausgaben für Futter, Energie, Medikamente und Fixkosten begleichen muss - für den hat das Leben eines Einzeltiers kaum Bedeutung. Was zählt, ist das wirtschaftliche Überleben des Betriebes und am Ende eines Mastdurchgangs eine schwarze Zahl in der Bilanz. Doch selbst das schafft nicht einmal die Hälfte der Betriebe regelmäßig, so hart ist der Preiskampf am "freien Markt" der fünf deutschen Hühnerfleisch-Magnaten. Das ist die erschreckende Realität, in der es sich PROVIEH zur Aufgabe gemacht hat, schrittweise Verbesserungen einzubringen.


PROHUHN wirkt

Mit Mitgefühl allein ändert man gar nichts an dem industriellen System der Intensiv-Hühnermast. Der Massenmarkt ist groß, und der Weg zu einem Systemwechsel ist lang. Mehr Tierschutz wird in der Praxis nur möglich, wenn er sich rechnet. Wenn die Mäster mehr für das Wohl ihrer Hühner tun, müssen sie auch spürbar mehr Geld pro Huhn bekommen. Das ist ein Leitgedanke von PROVIEH und der Kampagne PROHUHN. Laut Statistischem Bundesamt gelangten in Deutschland im Jahr 2012 rund 595 Millionen Hühner zur Schlachtung. Das Leid von über zwanzig Millionen Hühnern haben die REWE Group und PROVIEH im Rahmen ihrer Zusammenarbeit bereits spürbar verringern können. Die Erfahrungsberichte daraus werden in der Lebensmittelbranche aufmerksam aufgenommen und der Veränderungsdruck wächst erkennbar. Schon jetzt wird darüber verhandelt, bereits ab dem Jahr 2014 die reduzierte Besatzdichte von 20 Masthühnern pro Quadratmeter branchenweit zu übernehmen. Das wäre für alle 600 Millionen Masthühner in Deutschland ein kleiner Schritt zu einem etwas weniger leidvollen Leben - und ein weiterer Erfolg für PROVIEH.


INFOBOX
Masthühner werden seit über 50 Jahren aus wirtschaftlichen Gründen auf schnellen Zuwachs gezüchtet. Ihre Muskulatur wächst dadurch unnatürlich stark. Die Reifung des Herz-Kreislauf-Systems der jungen Hühner kann mit dem Zuwachs an Körpermasse nicht mithalten. Manchmal bleibt dann das Herz einfach stehen, und das Tier stirbt. PROVIEH geht davon aus, dass bis zu drei Prozent der Masthühner in der industriellen Tierhaltung an solchen Folgen des Hochleistungswahns verenden. Das bestätigen Erhebungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) auf 240 Hühnermastbetrieben in sechs EU-Staaten aus den zurückliegenden fünf Jahren

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 3/2013, Seite 16-19
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2013