Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → TIERSCHUTZ

TIERHALTUNG/576: PROVIEH schlägt Bonitierungssystem für mehr Tierwohl vor (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 04 / 2012
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

PROVIEH schlägt Bonitierungssystem für mehr Tierwohl vor

Von Sabine Ohm



Im März 2011 beschloss PROVIEH, beim Tierschutz ganz neue Wege zu beschreiten. Mit ausgewählten Partnern begannen wir, ein umfassendes Konzept für ein "Bonitierungssystem für mehr Tierwohl" auszuarbeiten, als Beitrag zur Verbesserung der gesamten Tierhaltung.

Wir wählten als erste Tierart die Schweine aus. Über 55 Millionen von ihnen werden in Deutschland pro Jahr geschlachtet, ihre Haltung ist von tiergerechten Bedingungen weit entfernt. Das Bonitierungssystem soll allen Schweinehaltern finanzielle Anreize geben, im Rahmen ihrer betrieblichen Möglichkeiten Tierwohlverbesserungen einzuführen. Die Einstiegsanforderungen dürfen nicht zu hoch sein, um von der Teilnahme am Bonitierungssystem nicht abzuschrecken.

Als Partner wählten wir Unternehmen der Fleischerzeugung, mit denen wir schon vorher konstruktiv im Tierschutz zusammengearbeitet hatten. Diese Partner sind Marktführer Tönnies, die Erzeugerorganisation Böseler Goldschmaus und Thönes Natur, ein kleineres Unternehmen, das sich schon seit langem der Nachhaltigkeit verschrieben hat. Der Initiativkreis wurde später erweitert um REWE, die im Lebensmitteleinzelhandel führend ist in Nachhaltigkeitsfragen.


Warum ein Bonitierungssystem und kein PROVIEH-Label?

Alle bisherigen Tierschutz- und Biosiegel sind nie über ein Nischendasein hinausgekommen. Zusammen erreichten sie im Schweinefleischsektor bis heute nur knapp ein Prozent des Umsatzes mit ca. 500.000 Schweineschlachtungen pro Jahr. Wir wollen mehr als nur eine Nischenlösung. Wir wollen erreichen, dass es allen Nutztieren besser geht als gesetzlich vorgegeben, nicht nur einigen wenigen.

Um ein Mehr an Tierschutz- und Tierwohlmaßnahmen zu schaffen, brauchen die Tierhalter eine gerechte Vergütung. Unter Tierschutz versteht man in Fachkreisen die Bewahrung der Tiere vor Krankheit, Leid und Verletzungen, während Tierwohl zusätzlich auch das Wohlbefinden der Tiere umfasst. Wichtig in beiden Fällen sind Haltungsbedingungen wie Fütterung, Tränke, Stallklima, Stallhygiene und die Möglichkeiten, arttypische Verhaltensweisen auszuleben, sowie ein gutes Mensch-Tier-Verhältnis.

Alle bisherigen Siegel beziehen sich hauptsächlich auf Tierschutzparameter (Tiergesundheit) und "Zollstockkriterien" (Platzbemessung, Bodenbeschaffenheit etc.). Was dabei als reales Tierwohl herauskommt, wird nicht erfasst. Das muss geändert werden, weil es den Tieren trotz Einhaltung der Tierschutzparameter in einer mangelhaft geführten Freilandhaltung schlechter gehen kann als in einem gut geführten konventionellen Betrieb. Andererseits gibt es schon heute viele konventionelle Betriebsleiter, die aus Überzeugung mehr für Tierschutz und Tierwohl tun als gesetzlich verlangt. Aber noch bleiben sie auf den Mehrkosten sitzen. Der Erhalt ihrer Betriebe könnte durch das Bonitierungssystem gesichert werden.

Das von unserem Initiativkreis ausgearbeitete System ist insofern revolutionär, als es eine branchenweite Lösung darstellt, also allen Schweinehaltern und Unternehmen gleichermaßen offen steht und kein Produkt für den Nischenmarkt ist.


Wie funktioniert das Bonitierungssystem?

Wichtig ist für uns, das Leben der Nutztiere von der Geburt bis zur Schlachtung zu erfassen, um die Tiere über ihre gesamte Lebenszeit besser schützen zu können. In den Mittelpunkt stellten wir die Frage "Was braucht das Schwein?" Dank der Kenntnisse und Praxiserfahrungen der Fachleute unseres Initiativkreises und einiger externer Berater entwickelten wir Checklisten für die Sauenhaltung, die Ferkelaufzucht, die Mast, den Transport und die Schlachtung. Haltungs- und tierbezogene Kriterien sorgen dafür, dass das Tierwohl direkt am Tier erfasst wird und nicht allein mit Blick auf Zahlen und Maße. Diese Kriterien sowie alternative Vorschläge sollen ab Januar 2013 in einem erweiterten Kreisdiskutiert werden, an dem Vertreter aus der Landwirtschaft und der Schlachtbranche ebenso beteiligt sein werden wie der Lebensmitteleinzelhandel und PROVIEH.

Für die Einhaltung der verschiedenen Tierwohlparameter sollen geschulte Tierwohl-Auditoren eingesetzt werden, die den Tierhaltern je nach Ergebnis bestimmte Punktzahlen gutschreiben. Hinzu kommen Bonuspunkte, die durch Untersuchungen nach dem Transport beziehungsweise am Schlachtband ermittelt werden (zum Beispiel Lungengesundheit).


Woran erkennt man, ob die Ware nach dem Bonitierungssystem erzeugt wurde?

Zunächst wird es keine Kennzeichnung der Waren geben. Das liegt vor allem daran, dass es lange dauern wird, bis die Auditierung aller interessierten Betriebe und ihre Einstufung abgeschlossen sein kann. Wir erwarten großen Zuspruch, denn die Teilnahme bringt den Tierhaltern nur Vorteile: Jeder kann mehr Geld für Zusatzleistungen verdienen, ohne vertraglich an bestimmte Partner entlang der Kette gebunden zu sein. Und keiner wird zu einem fest vorgegebenen neuen Tierhaltungs-System gezwungen, mit dem er und die Tiere eventuell nicht zurechtkommen.

Uns ist wichtig, dass es den Tieren so schnell wie möglich so gut wie möglich geht und dass die Tierhalter aus Überzeugung handeln und mit einem guten Gefühl. Denn mehr Tierschutz und Tierwohl können wir nur dann über die Erzeuger erreichen, wenn sie selbst die Vorteile für sich und ihre Tiere sehen und verstehen. Deshalb ist es so wichtig, dass sie für ihr Mehr an Leistung auch mehr Geld erhalten. Und sie sollen die Möglichkeit bekommen, sich mit den anderen Tierhaltern zu vergleichen, die auch am System teilnehmen (Benchmarking).

Wenn das Bonitierungssystem einmal voll etabliert ist, kann man die Waren etikettieren. Wir schlagen ein dreistufiges Label vor. Auf jeder Stufe gibt es einen Mix aus Mindestpunktzahlen und Mindestanforderungen oberhalb der gesetzlichen Mindeststandards.


Wer bezahlt die Bonitierung?

Wichtige Vertreter des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) haben sich schon bereit erklärt, unabhängig vom Warenstrom entlang der Erzeugungs- und Verarbeitungskette die Boni direkt an einen Fonds zu überweisen. So etwas hat es in Deutschland bisher noch nie gegeben. Normalerweise kaufen die Schlachtunternehmen die Tiere bei den Tierhaltern und der LEH das Fleisch bei den Schlachtunternehmen. Der LEH-Fonds soll die Tierwohlboni aber in Form einer individuellen zusätzlichen Vergütung unabhängig vom regulär erzielten Marktpreis an die Tierhalter auszahlen, die auf diese Weise sicher sein können, dass sich ihr Einsatz wirtschaftlich lohnt. So kann das Tierwohl auf breiter Ebene verbessert werden.

Wir sind zuversichtlich, noch im Jubiläumsjahr 2013, wenn PROVIEH 40 Jahre alt wird, einen weiteren guten Grund zum Feiern zu haben.

*

Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 04/2012, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0
Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2013