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FRAGEN/003: Professor Schönfelder - "Wir haben eine hohe ethische und moralische Verantwortung!" (tierrechte)


tierrechte 4.13 - Nr. 65, Dezember 2013
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V

"Wir haben eine hohe ethische und moralische Verantwortung!"

Interview mit Professor Dr. Gilbert Schönfelder



Auch, wenn das Ziel einer Forschung ohne Tierversuche noch nicht erreicht ist, kommen wir diesem mit jeder wissenschaftlichen Innovation auf dem Gebiet der tierversuchsfreien Forschung ein Stückchen näher. Der Arzt Professor Dr. Gilbert Schönfelder leitet die Abteilung Experimentelle Toxikologie und die gesamte Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) am Bundesinstitut für Risikobewertung. Er ist zudem als Universitätsprofessor an der Charité-Universitätsmedizin Berlin tätig und gilt als ausgewiesener Experte auf dem Fachgebiet der Pharmakologie und Toxikologie. Seine Forschungsschwerpunkte sind u.a. die Weiterentwicklung und Validierung von Ersatzverfahren zum Tierversuch. tierrechte fragte ihn, wie er die Entwicklung der tierversuchsfreien Forschung einschätzt.


tierrechte: Professor Schönfelder, was motiviert Sie, sich der tierversuchsfreien Forschung zu widmen?

Gilbert Schönfelder: Es ist doch selbstverständlich für jeden Wissenschaftler, insbesondere aus der Grundlagenforschung und Toxikologie, dass man eine hohe ethische und moralische Verantwortung gegenüber dem Tier hat. Es muss deshalb die Entwicklung entsprechender Alternativmethoden nach dem "3R-Prinzip" (siehe unten) beschleunigt werden. Nur durch die enge Kooperation mit der universitären Grundlagenforschung können Fortschritte auf diesem Gebiet wissenschaftlich erreicht werden.


tierrechte: Wie beurteilen Sie die Entwicklung dieses Forschungszweiges in den letzten 20 bis 30 Jahren? Welche messbaren Erfolge gibt es?

Gilbert Schönfelder: In den letzten 2-3 Jahrzehnten hat sich viel getan. Es gibt bereits einige gute Alternativmethoden, die entwickelt wurden. Aber ehrlich gesagt ist die Forschung noch nicht dort angekommen, wo man sie gern vor Jahren bereits gesehen hätte, nämlich ohne Tierversuche auszukommen. Deshalb ist es besonders wichtig, solche heroischen Ziele weiterhin zu formulieren, um die Entwicklung auf diesem Gebiet voranzutreiben. Die Biotechnologie entwickelt sich gerade so rasant, dass uns neue Felder in der Erforschung von Alternativmethoden zum Tierversuch eröffnet werden. Denken Sie nur an die Möglichkeiten, die uns zukünftig die Systembiologie bieten wird. Mit Hilfe von intelligenten Ansätzen könnten Informationen komplexer biologischer Abläufe generiert werden, die dazu führen könnten, dass in den nächsten Jahren in bestimmten Bereichen der Forschung bzw. Sicherheitsprüfung von Chemikalien und Arzneimitteln keine Tierversuche mehr durchgeführt werden. Wir wissen aber auch, dass in der Realität aktuell noch immer Tierversuche insbesondere in der Grundlagenforschung durchgeführt werden. Dies darf man nicht ignorieren und muss sich deswegen auch auf die Entwicklung von Refinementstrategien (Refinement = Verminderung des Leidens der Versuchstiere) konzentrieren.


tierrechte: Die EU-Tierversuchsrichtlinie benennt als erste Rechtsvorschrift klar und deutlich den Ausstieg aus dem Tierversuch als letztendliches Ziel. Was müsste sich Ihrer Meinung nach ändern, damit sich die tierversuchsfreien Methoden durchsetzen?

Gilbert Schönfelder: In erster Linie hilft die neue Gesetzgebung, sprich die EU-Tierversuchsrichtlinie und das aktuelle deutsche Tierschutzgesetz, dass zukünftig mehr tierversuchsfreie Methoden entwickelt und durchgesetzt werden. Natürlich ist es besonders wichtig, dass durch die verstärkte Ausschreibung von speziellen Forschungsförderprogrammen für die Entwicklung von Alternativmethoden zum Tierversuch man zielstrebiger Methoden durchsetzen kann. Hierbei könnten verschiedenste translationale Forschungsansätze helfen, d.h. die enge Vernetzung der Grundlagenforschung mit der klinischen Forschung in der Veterinär- und Humanmedizin. Es kann aber nicht nur das Geld sein, das Anreize setzt. Wichtig ist es, jeden einzelnen Forscher noch mehr für dieses Thema zu begeistern, z.B. durch öffentliche wissenschaftliche Diskussionen und Veröffentlichungen in wissenschaftlich international anerkannten hochrangigen Fachzeitschriften. Ferner sollten diverse naturwissenschaftliche und medizinische Aus-, Weiterbildungs- und Fortbildungsgänge, sowie entsprechende Studiengänge verstärkt Pflichtmodule über das Thema Alternativmethoden zum Tierversuch anbieten.


ZUM 3R-PRINZIP
Die Wissenschaftler Russel und Burch veröffentlichten 1959 das 3R-Prinzip zur Vermeidung von Tierversuchen. Die 3R bedeuten:
1. Replacement = Ersatz des Tierversuchs durch eine andere Methode
2. Reduction = Reduktion der Tierzahl im Versuch
3. Refinement = Verminderung der Schmerzen und Leiden der Tiere im Versuch
Der Bundesverband Menschen für Tierrechte lehnt Tierversuche aus ethischen, medizinischen und methodischen Gründen ab. Er verfolgt den vollständigen Ausstieg aus dem Tierversuch (Replacement) und die Anwendung humanspezifischer tierversuchsfreier Verfahren. Refinement und Reduction sind zwingend anzuwendende Tierschutzmaßnahmen bis das Ende der Tierversuche erreicht ist.

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Quelle:
tierrechte 4.13 - Nr. 65/Dezember 2013, S. 13
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2014