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ETHIK/020: Landesbischof Fischer - Von der Liebe zu den Tieren (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2008
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Von der Liebe zu den Tieren
oder: Wie ich Tiere als Mitgeschöpfe des Menschen erlebe

Von Landesbischof Dr. Ulrich Fischer


Ich bin ein "Kind vom Land". In meiner norddeutschen Heimat wuchs ich in unmittelbarer Nähe eines Bauernhofes auf. Die Kühe auf diesem Hof hatten Namen. Wenn wir sie im Frühjahr auf die Weide und im Herbst in den Stall trieben, konnten wir sie ansprechen. So manches Mal habe ich zugeschaut, wenn eine Kuh gedeckt wurde oder wenn sie kalbte. Einmal musste ich sogar bei einer schweren Geburt mit einem Strick mithelfen. Das Füttern der Schweine gehörte zu meinem sonntäglichen Vergnügen, allerdings fand meine Mutter es nicht lustig, wenn hinterher meine Sonntagskleidung nach Schweinestall roch. Der große Hofhund machte mir immer wieder Angst, obwohl er völlig ungefährlich war. Die Hühner, die wir selbst hielten, musste ich bisweilen abends in den Stall tragen. Wenn sie von meiner Mutter mit einem Beil geschlachtet wurden, durften wir Kinder nicht zuschauen. Dafür durften wir mithelfen, wenn das Huhn zum Essen zubereitet wurde. In den damals noch strengen Wintern wurden selbstverständlich in unserem Vorgarten Vögel gefüttert. Ebenso selbstverständlich war es, dass wir die Marderfamilie, die auf dem Speicher unseres alten Hauses fröhliche Spiele veranstaltete, die uns in mancher Nacht den Schlaf raubte, nicht duldeten. Wir rückten ihr mit einer Marderfalle zu Leibe - allerdings mit mäßigem Erfolg.

Wenn ich heute darüber nachdenke, so habe ich in meiner Kindheit ein sehr natürliches Verhältnis zu Tieren entwickelt. Sie waren Teil meiner Lebenswelt und gehörten selbstverständlich dazu - als Nutztiere ebenso wie als zu schützende Lebewesen. Als ich später den Pfarrberuf ergriff und selbst eine Familie gründete, gehörten Tiere stets zu unserer Familie: die Airdale-Terrier Ina und Quinto, die uns bis zu ihrem Tod in Treue begleiteten, die Schildkröten, die uns illegalerweise geschenkt wurden und die dennoch unsere Kinder lieb gewannen, die Fische im Aquarium, der Stallhase, der ein hohes Alter erreichte, und der Wellensittich, der plötzlich verstarb - und dann natürlich die Pferde, die unsere älteste Tochter vom zehnten Lebensjahr an fast täglich auf dem benachbarten Reiterhof besuchte.

Heute nun leben wir wieder "auf dem Land", genauer: auf einem Reiterhof - gemeinsam mit der Familie unserer ältesten Tochter, begleitet und umgeben von vielen Tieren. Unser eigener Haushund "Nemo", ein Pointermischling, versteht sich leidlich mit "Speedy", dem Promenadenmischling unserer Tochter, hat aber die drei Katzen vom 4000 qm großen Gelände vertrieben. Nur abends kommen sie, wenn meine Frau sie zum Füttern auf das Gelände lockt, während der Hund im Hause ist. Längere Zeit ärgerte sich der Haushund über die zwölf freilaufenden Hühner, die sich mit dem ihnen zugewiesenen Areal nicht zufrieden gaben, sondern ständig im Vorgarten wie auf der Pferdekoppel nach Fressbarem suchten. Vor einigen Monaten haben wir aber wegen der Schäden, die sie an Blumen und Pflanzen anrichteten, auf eine andere Form der artgerechten Tierhaltung für die Hühner umgestellt. Sie bewohnen nun zwei Hühnerställe, die ich nach einer dem Internet entnommenen Bauanleitung gefertigt habe, und ein Freigelände, das zum Teil überdacht ist (wegen drohender Vogelgrippe) und das etwa 40 qm umfasst. Wie artgerecht diese Form der Tierhaltung ist, beweisen uns die großartig schmeckenden Eier, die reichlich gelegt werden und mit denen wir so manche Besucherin unseres Reiterhofes immer wieder beglücken. Allerdings mussten wir zu Beginn auch manches Opfer unter den Hühnern beklagen: Sechs Tiere wurden vom Marder und von unserem Kater gefressen, ehe wir nun den Hühnerschlag "raubtiersicher" gemacht haben. Und ein Huhn fand eines Abends nicht den Weg zurück in den Stall und erfror bei -15° C kläglich. Die Bestattung fand nach Ende des Dauerfrostes in würdiger Weise statt.

Unsere besondere Freude ist die Pferdeherde, die inzwischen sieben Wallache, drei Stuten und zwei Ponys umfasst. Die große graslose Koppelfläche von etwa 2000 qm und eine uns von der Gemeinde zur Verfügung gestellte zusätzliche Koppelfläche, die in regelmäßigen Abständen abgegrast wird, bieten für die Tiere hervorragende Lebensbedingungen. Durch die Einrichtung eines Futterautomaten ist eine regelmäßige Versorgung der Tiere mit Kraftfutter sichergestellt, daneben können die Tiere nach dem von ihnen selbst bestimmten Rhythmus Heu und Stroh fressen. Zwei Unterstände - seit kurzem ein weiterer für die beiden Ponys - und ein Stallgebäude sorgen für Schutz gegen Wind und Regen und bieten den Tieren die Möglichkeit, sich bei besonders kalten Temperaturen ins Schützende zurückzuziehen. Die Verortung der Tränkstelle in einem Abstand von ca. 100 Metern von der Heufutterstelle und eine Wegführung durch Elektrobandabspannung, welche die Tiere zum "Umwegen" auf der Suche nach Futter und Wasser zwingen, sorgen dafür, dass sie ständig in Bewegung sind, auch wenn sie nicht von ihren Reiterinnen bewegt werden.

Die Pferde werden zum großen Teil für therapeutische Zwecke eingesetzt. Die von unserer Tochter angebotene Hippotherapie erfreut sich großer Nachfrage, obwohl sie von den Krankenkassen nicht erstattet wird und von den Eltern der Kinder selbst finanziert werden muss. Deutlich aber ist zu sehen, dass diese Form der Offen-Stallhaltung den Tieren außerordentlich gut tut. Die Pferde sind ungemein ausgeglichen, lediglich wenn die Herde um ein weiteres Tier ergänzt wird, wie erst kürzlich nach dem Tod des "Methusalems", ist eine gewisse Unruhe und Aggressivität nicht zu übersehen. Aber es ist eben wie bei den Menschen: Die Rangordnung muss mühsam hergestellt werden. Und wenn Worte nicht gewechselt werden können, dann müssen eben Hufe sprechen - bis der Friede in der Herde wieder einkehrt.

Das Leben mit den Tieren hat für mich Bedeutung in vielfacher Hinsicht. Angesichts meines Berufes, in dem ich oft sehr gefordert bin, schenkt mir schon der Blick auf unsere Tiere ein Stück Gelassenheit. Angesichts der Gefahr, durch die Beschäftigung mit Theologie und Kirchenleitung abzuheben, gibt mir der Kontakt mit den Tieren eine notwendige Bodenhaftung. Angesichts meiner überwiegend geistigen Tätigkeit als Bischof einer Landeskirche erfahre ich in meiner Freizeittätigkeit als "Stallknecht" unserer Tochter einen guten Ausgleich, der mir auch körperlich gut tut. Vor allem aber empfinde ich die Einbettung meines Lebens in vielfältige natürliche Abläufe als etwas sehr Beglückendes: Unser Reiterhof grenzt an ein Landschaftsschutzgebiet. In unmittelbarer Nähe unseres Grundstücks sammeln sich im Herbst die Zugvögel zu ihrem Zug gen Süden. Zu Abertausenden sitzen sie auf den Hochspannungsleitungen, ehe sie sich zu ihrer langen Reise aufmachen. Wenn ich entlang der Rheinauen jogge, stoße ich auf Störche und Graugänse und auf viele Vogelarten, die ich im Einzelnen nicht kenne. In unserem Garten erfreut mich der Anblick von Gartenrotschwänzchen und Blaumeisen, von Buchfinken und Rotkehlchen.

Kürzlich besuchte ich in der Freilichtbühne Ötigheim (unweit von Karlsruhe) das imposante Volksschauspiel "Franz von Assisi - der Narr Gottes". Und bei der Predigt des Franz an die Tiere wurde mir wieder deutlich, wie sehr mich die von Franz propagierte Liebe zu den Tieren mein Leben lang schon geprägt hat. Wer Tiere als Lebensbegleiter lieb gewonnen hat, kann sie nicht länger mehr als bloße Fleischproduzenten ansehen, sondern muss sie als Geschöpfe Gottes und als Mitgeschöpfe des Menschen wert achten und für sie Verantwortung übernehmen. Sich dieser franziskanischen Grundhaltung, die Konsequenz des christlich-jüdischen Schöpfungsglaubens ist, nicht nur kognitiv nähern zu müssen, sondern sie täglich wie selbstverständlich einüben zu können, ist ein Geschenk, für das ich sehr dankbar bin.


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember, 2008, Seite 6-8
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Januar 2009