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BERICHT/113: Ideen säen (PROVIEH)


PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

Ideen säen

Von Stefan Johnigk



Das hätten sich die Schwestern Margarete Bartling (Oberlandwirtschaftsrätin) und Olga Bartling (Schulrektorin) vor 40 Jahren nicht träumen lassen. Eine Studienfahrt zu einem schleswig-holsteinischen Intensiv-Kälbermaststall, wie er damals als modern gepriesen wurde, veränderte ihr Leben. Sie waren erschüttert von den unwürdigen, ja grausamen Bedingungen, unter denen die jungen Rinder in engen Einzelboxen gehalten wurden, nur damit ihr Fleisch möglichst hell bleibe. Noch auf der Heimreise beschlossen sie, dem Elend etwas Wirksames entgegen zu setzen. Sie begannen, viele Menschen zusammenzubringen und sich fachkompetent, sachlich und mit dem Herzen für nachhaltige Verbesserungen in der landwirtschaftlichen Tierhaltung einzusetzen. Am 15. Juni 1973 nahm der "Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V." seine Arbeit auf und agiert seit 2003 unter dem Namen "PROVIEH".

Die Ideen der Schwestern Bartling und ihrer wachsenden Schar von Mitstreiterinnen und Mitstreitern galten in weiten Teilen der Landwirtschaft lange als abwegig. Noch heute stoßen sich viele Landwirte an dem Begriff "tierquälerische Massentierhaltung", wenn sie mit PROVIEH und seinen Aktivitäten konfrontiert werden. Doch die Ideen von PROVIEH verbreiten sich und gehen auf. "Menschen mit einer neuen Idee gelten solange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat." So schrieb der US-amerikanische Schriftsteller Samuel Langhorne Clemens über Menschen wie die Schwestern Bartling. Der humorvolle Autor, bekannter unter seinem Pseudonym Mark Twain, wandte sich mit scharfer Beobachtungsgabe und hintergründiger Kritik gegen die Verlogenheit und Heuchelei der herrschenden Verhältnisse. In gleicher Weise gingen auch die Schwestern Bartling vor bei ihrem Kampf gegen die tierquälerische Massentierhaltung.

Doch schon lange muss sich der Verein der Schwestern Bartling nicht mehr nur um Verbraucheraufklärung und Öffentlichkeitsarbeit bemühen. Die Kritik an der "tierquälerischen Massentierhaltung" hat die Mitte unserer Gesellschaft erreicht und ist aus den Medienberichten kaum noch wegzudenken. Damit ist der Boden bereitet für weitere neue Ideen zum Schutz der Nutztiere. Hier eine Auswahl:

Die Idee der Ebermast als Alternative zur leidvollen Kastration von Ferkeln ohne Betäubung wurde im Juni 2008 durch eine freche Kampagne von PROVIEH in der Branche ausgesät. Wenn Steine im Weg lagen, konnten diese durch hartnäckige Verhandlungen und etwas Diplomatie stets ausgeräumt werden. Heute führt kein Weg mehr an der Ebermast vorbei: Prognosen zufolge sollen 2013 schon über drei Millionen männlichen Schweinen die Leiden der Kastration komplett erspart bleiben.

In der Geflügelhaltung kämpft PROVIEH seit langem für ein Ende der Schnabelverstümmelungen. Das Land Nordrhein-Westfalen schätzt den Fachverband als Ideengeber und hat 2011 sogar die Ausarbeitung eines Versuchskonzepts bei den Nutztierschützern von PROVIEH in Auftrag gegeben. Selbst ungewöhnliche Vorschläge finden Beachtung. So soll bald in Praxisversuchen geprüft werden, ob Putenküken unter Anleitung von erwachsenen Hennen, den "Putennannies" ("Nanny" engl. für "Kindermädchen") lernen können, ihre Picklust auf die Futtersuche statt auf das Gefieder von Artgenossen zu richten.

Auch viele andere Impulse von PROVIEH werden bereitwillig aufgegriffen. Das "Ferkelnest für jede Sau" - ein Jutesack zur Ersatzbefriedigung des Nestbautriebs in konventionellen Haltungen - wurde in der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift TopAgrar als Vorzeigeprojekt für Sauenbetriebe gelobt. Die Initiative von PROVIEH, über ein Bonitierungssystem landwirtschaftlichen Tierhaltern einen Zuschlag zu zahlen, je besser sie für Tierwohl im Stall sorgen, finden Bauernvertreter so gut, dass sie es am liebsten ohne uns Tierschützer umsetzen möchten. Und die "Ringelschwanzkasse", erstmals vorgestellt im PROVIEH-Magazin 03/2011, erfreut sich als Ansatz für ein Prämienmodell wachsenden Zuspruchs in der Branche.

"Nachahmung ist die höchste Form der Verehrung" - so sagt es ein altes chinesisches Sprichwort. Gerne würde PROVIEH nicht nur gute Ideen säen, sondern sie auch mit eigenen Mitteln umsetzen. Das gelänge uns leichter, würde unser Verein mehr fördernde Mitglieder zählen. Bis dahin aber freuen wir uns still, wie die Verehrung für das Werk der Bartling-Schwestern wächst - und säen unermüdlich weiter. Unser Feld ist wohlbestellt.

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Quelle:
PROVIEH MAGAZIN - Ausgabe 1/2013, Seite 28-29
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen
tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
Telefon: 0431/248 28-0, Telefax: 0431/248 28-29
E-Mail: info@provieh.de
Internet: www.provieh.de
 
PROVIEH erscheint viermal jährlich.
Schutzgebühr: 2 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Juli 2013