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BERICHT/084: "Faß es ruhig mal an!" - Begegnungen auf dem Schulbauernhof (PROVIEH)


PROVIEH Heft 2 - Juni 2009
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

"Fass es ruhig mal an!"
Begegnungen auf dem Internationalen Schulbauernhof in Hevensen bei Göttingen

Von Dagmar Tempel


"Mäh, mäh..." - inmitten von kleinen Lämmern sitzt Lisa gedankenverloren auf einem Ballen Stroh. Sie bestaunt die niedlichen, wolligen Tiere um sie herum. Die Schafe wiederum beäugen und beschnuppern den Zweibeiner im Stall neugierig. Lisa streckt vorsichtig eine Hand aus, ein Lamm leckt über ihre Finger und beide sind mit dieser ersten Begegnung zufrieden. "Sind die nicht süß?", sagt Lisa zu ihrer Freundin.

"Muhhh". Auch die betagte Kuh "Oma" möchte etwas Aufmerksamkeit. "Na, wie viel Milch gibst du denn heute?" fragt Jan. Er hat gestern schon beim Melken geholfen und weiß, dass hier keine "Turbo-Kuh" zum Melkstand trottet. Mehr als 10 Liter Milch am Tag sind von "Oma" nicht mehr zu erwarten - die durchschnittlichen drei Eimer voll, die konventionelle Milchkühe im Alltag geben müssen, bleiben ihr erspart. Aber hier auf dem Schulbauernhof haben die Nutztiere und ihr Nachwuchs außer der Produktion von Milch, Fleisch oder Eiern noch ganz andere, wichtige Aufgaben. Sie müssen sich auf unseren Nachwuchs, auf die Kinder einlassen, ihr artgemäßes Verhalten zeigen, sich lange angucken und sogar streicheln lassen.

Diese Aufgabe erfüllen auch die Hühner des Hofes. Sie scharren, picken, baden im Sand und legen Eier - ganz wie es ihrer Art gemäß ist. Und das alles, während ihnen eine Gruppe Kinder gebannt zusieht.

"Beißen die denn nicht?" fragt ein Junge. "Fass' es ruhig mal an!" lautet die Antwort. Die Hühner lassen sich tatsächlich auf den Arm nehmen. Sie picken Körner aus den Händen der Kinder, während wie nebenbei ihre artgemäßen Verhaltensweisen erläutert, die Eier aus den Nestern genommen oder die Entwicklung des Kükens im Ei besprochen werden.

Aber auch Käfig- und Bodenhaltung werden hinterfragt: "Wie viel Hühner passen wohl auf einen Quadratmeter? Wie fühlt sich ein Huhn in einem engen Drahtkäfig? Kann es da noch scharren oder Sand baden?" Hinterher sind sich alle: Kein Ei mehr mit der Drei! "Achtet auf die Nummern auf den Eierkartons, wenn ihr mit euren Eltern einkauft." Die Kinder haben das ganz fest vor.

Ganz Mutige melden sich zum Stalldienst bei den Schweinen. Die schweren Sauen sind Kinder gewöhnt und lassen sich gutmütig die Schwarte bürsten. Von den kleinen Ferkeln sind alle begeistert. Keiner mag sich vorstellen, dass aus ihnen auch Schnitzel oder Bratwurst gemacht werden könnten, wenn sie groß geworden sind. Aber zumindest leben hier die Tiere nicht in engen, dunklen Boxen auf Rosten, sondern liegen auf Stroh und können an die Sonne ins Freie. Und statt Langeweile im Stall ist Unterhaltung mit Kindern garantiert.

Eine heile Bilderbuchwelt gibt es selbst auf dem Schulbauernhof in Hevensen nicht. Der Pächter muss seinen Lebensunterhalt mit den landwirtschaftlichen Produkten seiner Tiere verdienen. Reich wird man davon nicht gerade. Aber für die Kinder darf durchaus erst einmal im Vordergrund stehen, mit dem Lebewesen "Nutztier" Kontakt aufzunehmen und es nicht nur als "Milchmaschine" oder "Eierautomat" zu sehen. Hier können Schulklassen und andere Gruppen Landwirtschaft (er)leben.

Der Schulbauernhof existiert seit vier Jahren und hatte seither über zehntausend Schüler und Schülerinnen zu Gast. Die Kinder lernen landwirtschaftliche Tierhaltung kennen durch den direkten Umgang mit den Tieren, zum Beispiel, indem sie morgens und abends den Stalldienst übernehmen. Von Tag zu Tag werden sie dabei selbstständiger und verantwortungsbewusster. Daneben sind auch andere landwirtschaftliche Tätigkeiten zu verrichten: Garten- und Feldarbeit, Obst- und Gemüseverarbeitung oder für die Gemeinschaft das Essen zuzubereiten.

Mitarbeiter des Hofes und Lehrkräfte des "Regionalen Umweltbildungszentrums" bieten außerdem ergänzende Projekte an. Die jugendlichen Gäste können erleben, wie Brot aus Korn entsteht, wie Milch verarbeitet oder Zucker aus Rüben gewonnen wird, sie färben und filzen Wolle, pressen Saft, ernten Honig oder Kartoffeln. Und damit klar ist, woher die meisten Lebensmittel im Supermarkt stammen, können die Kinder auf Kooperationshöfen auch einen Einblick in die konventionelle, wesentlich intensivere Landwirtschaft gewinnen.

Wenn die Schüler und Schülerinnen von den Ausflügen und Projekten zu "ihrer" Kuh oder zu "ihrem" Schwein zurück kommen, wird ihre Achtung vor dem individuellen Tier hörbar: "Ich bringe dir schönes leckeres Heu." oder "Schlaf gut - bis morgen!" sagt man nicht zu einem Produktionsmittel.

Es bleibt zu hoffen, dass solche kindlichen Begegnungen mit Nutztieren nachhaltig Eindruck hinterlassen und wir so ein kleines Stück zur artgemäßen Tierhaltung und Achtung vor den Tieren beitragen.


Dagmar Tempel,
Lehrkraft am "Regionalen Umweltbildungszentrum Hardegsen"

Mehr über den Schulbauernhof unter
www.internationaler-schulbauernhof.de.


Regionale Umweltbildungszentren (RUZ) sind außerschulische Lernorte in Niedersachsen, an denen Schülerinnen und Schüler unter Begleitung dafür extra abgestellter Lehrkräfte umweltrelevante Themen praktisch erleben und ergründen können. Der Schulbauernhof in Hevensen gehört zum RUZ Hardegsen. Es gibt über 20 weitere Zentren in Niedersachsen, zum Beispiel Gut Herbigshagen/Sielmann-Stiftung bei Duderstadt, die Domäne Reinhausen, der Nationalpark Harz oder das Otternzentrum in Hankensbüttel.


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Quelle:
PROVIEH Heft 2, Juni, 2009, Seite 10-13
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
Küterstraße 7-9, 24103 Kiel
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juli 2009