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BERICHT/074: Kennzeichnungspflicht für Greifvögel und mögliche Folgen (BNA-aktuell)


BNA-aktuell 1/2008
Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz e.V.

Kennzeichnungspflicht für Greifvögel und mögliche Folgen

Von Gerhard Rietschel


Am 1. April 1975 trat für Baden-Württemberg die Greifvogelschutzverordnung in Kraft, die nicht nur eine Anzeigepflicht für die Halter von Greifvögeln sondern auch eine Kennzeichnungspflicht der gehaltenen Vögel zwingend vorschrieb. Sie trat am 9.11.1985 außer Kraft und wurde durch die bundesweit gültige Bundeswildschutzverordnung ersetzt. Die dauerhafte und unverwechselbare Kennzeichnung der gehaltenen Vögel war weiterhin eine Voraussetzung für die Haltungsgenehmigung. Ab 1975 wurden mit einem enormen Aufwand an Personal und Zeit alle in Baden- Württemberg lebenden Gefangenschaftsgreife, soweit gemeldet, beringt (bis zum 2.8.1979 insgesamt 1083 Greifvögel!), ab 1985 auch in den anderen Bundesländern. Ende der 90er Jahre wurden dann in Karlsruhe alle Daten mit nicht geringerem Aufwand digitalisiert.

Da der Verfasser, seit 1983 Naturschutzbeauftragter in Mannheim, sich seit den 80er Jahren verstärkt dem Schutz und der Ansiedlung des Wanderfalken in Mannheim verschrieben hat, wurde er immer dann, wenn irgendwo ein Greifvogel sich ungewöhnlich verhielt, hinzugerufen. Auf diese Weise konnte er schon mehrfach verstoßene Beizvögel - diverse Großfalkenhybriden, Rotschwanzbussarde, Harris-hawk, Sakerfalke - einfangen und an Hand der Ringkennzeichen, sofern der Vogel beringt war, dem Eigentümer wieder zukommen lassen. Auch 2007 gab es wieder zwei derartige Fälle, die sich aber trotz eindeutiger Beringung nicht so leicht lösen ließen, und über die deshalb hier berichtet werden soll:

Zur Osterzeit tauchte mehrfach in Mannheim ein großer Greifvogel auf, der wegen seiner geringen Fluchtdistanz von der Polizei für krank gehalten wurde. Der herbeigerufene Naturschutzbeauftragte konnte ihn anfangs nur hoch in den Baumwipfeln beobachten, identifizierte ihn aber als beringten Rotschwanzbussard. Etwa drei Wochen später konnte er ihn im Stadtzentrum mit Hilfe eines Kükens auf der Faust einfangen. Der Ring, ausgegeben vom Regierungspräsidium Karlsruhe, ließ vermuten, dass es sich um einen sehr alten Vogel handeln müsse, da dieser Ring-Typ seit Beginn der achtziger Jahre nicht mehr verwendet wurde. Ein Anruf beim zuständigen Regierungspräsidium mit der Bitte um Feststellung des Besitzers wurde mit "kein Problem" beantwortet, und dann kam lange Zeit nichts. Auf hartnäckiges Drängen hin gab es dann verschiedene offiziöse Erklärungsvarianten: "Die digitalisierten Daten wurden von einem Azubi versehentlich gelöscht" ,"der PC war ein älteres Modell und wurde mit Festplatte entsorgt, Kopien gibt es leider nicht", "die Aufbewahrungspflicht für derartige Akten endet nach 20 Jahren, und die sind verstrichen". Die Frage nach den ursprünglichen Daten auf Papier wurde dahingehend beantwortet, das seien viele Aktenordner und man habe niemanden, den man daransetzen könne. Der Bitte, die ganzen Akten nach Mannheim zu schicken, der Autor werde sie selber sichten, wurde bereitwillig entsprochen, aber von den angekündigten fünf Aktenordnern kamen nur zwei in Mannheim an, in denen die gesuchte Ring-Nr. aber nicht vertreten war. Auf erneutes Nachfragen hieß es dann, weitere Akten seien nicht mehr vorhanden.

Nun sitzt der Vogel, ein wunderschönes, freundliches Tier, in einer Voliere in der Auswilderungsstation des DFO in Karlsdorf und wartet darauf, ob sich sein Eigentümer vielleicht auf eine Anzeige in einer Falknerzeitschrift hin meldet.

Im zweiten Fall handelt es sich um einen Großfalken mit Bellen und Geschüh, aber ohne Adresstafel oder Sender, der am 6. August auf der Dachkante eines Mannheimer Betriebshofes saß. Einem aufgeweckten städtischen Mitarbeiter, der den Vogel entdeckte, fiel ein, dass er kurz zuvor in einer Garage eine frisch totgefahrene Maus gesehen hatte. Er holte Maus und Handschuh, und der Falke kam sofort auf den Handschuh und kröpfte die Maus, während der Mann den Vogel in eine Werkstatt trug und die Türe schloss. Als der mittlerweile informierte Naturschutzbeauftragte in die Werkstatt kam, saß das Tier unter der Zimmerdecke in einem Regal und kam ohne zu zögern auf die Faust, um das angebotene Küken zu kröpfen. Auf Grund der BNA-Ring-Nr. lag die Vermutung nahe, dass die Ermittlung des Eigentümers kein Problem darstellen dürfte. Ein Anruf bei dem BNA (Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz) erbrachte auf Band den Hinweis, dass das Büro nur von 8.30 bis 11.30 zu erreichen sei. Dummerweise war der Vogel aber nach 11.30 Uhr eingefangen worden. Am kommenden Morgen wurde dann von einer freundlichen Dame die Nummer der Ringstelle mitgeteilt. Dort wurde der Anrufer wiederum auf Band davon informiert, dass die Ringstelle bis zum 20. August Urlaub macht, keinerlei Hinweis auf eine Vertretung oder einen Notdienst. Ein sofort losgeschicktes dringliches Fax blieb unbeantwortet, bis am 20.08. nach Urlaubsende ein Anruf bei der Ringstelle problemlos die Daten des Züchters erbrachte. Durch den rheinland-pfälzischen Züchter konnten nun nicht nur die Daten des jetzigen Eigentümers ausfindig gemacht werden, sondern auch die Identität des Vogels konnte geklärt werden. Es war bisher nämlich nicht gelungen, die Artzugehörigkeit des jugendlichen Tieres eindeutig zu bestimmen, auch Fachleute schwankten bei der Bestimmung zwischen Gerfalke und Sakerfalke. Der Züchter gab dann des Rätsels Lösung preis, beide Eltern waren Ger x Lanner. Und damit gilt das Tier perverserweise nicht als Hybride und fällt daher auch nicht unter das Hybridisierungsverbot, da weder Gerfalke noch Lannerfalke heimisch sind. Wäre der Partner des Gerfalken ein als heimisch geltender Sakerfalke gewesen (der verwandtschaftlich in vergleichbarem Verhältnis zum Gerfalken steht wie der Lannerfalke), dann gälte der Vogel nach dem Gesetz als Hybride und müsste eingezogen werden.

Zur Geschichte dieses Vogels: Am 24. 7. wurde der in 2007 gezüchtete Jungvogel vom Züchter bei Germersheim an einen Falkner in Thüringen verkauft. Der übte dort bisher nur den Apell auf die Faust, weshalb er den Vogel auch noch ohne Adresstafel und Sender flog. Während eines aufziehenden Gewitters am 3.8. wurde der Vogel von einer Windbö erfasst und war weg. Drei Tage später tauchte er in Mannheim auf, wenige Kilometer von seinem Geburtsort in Leimersheim entfernt. Man könnte meinen, der Züchter habe eine Brieftaube eingekreuzt!

Am 22. August hat der überglückliche Eigentümer aus Thüringen seinen Vogel in der Auswilderungsstation des DFO in Karlsdorf abgeholt. Dort war das Tier während des Urlaubs der BNA-Ringstelle in einer Flugvoliere versorgt worden. Ohne die Auswilderungsstation sähe es für derartige Fundvögel schlecht aus, denn in einem Papageienkäfig lässt sich ein so großer und bewegungshungriger Vogel nicht einmal kurzfristig unterbringen! Vielleicht wäre es ja möglich, in Zukunft eine Notfall-Nr. einzurichten, denn die Adresse eines Züchters lässt sich in einem solchen Fall durch Mausklick am PC des BNA ermitteln, und das könnte manchem Vogel viel Leid ersparen!

Andererseits erfuhr der Autor zwischenzeitlich, dass vom BNA alle Daten ausgegebener Ringe elektronisch an die verschiedenen Behörden gemeldet werden, sodass jedes RP in der Lage sein sollte, jederzeit die Herkunft eines solchen Vogels zu ermitteln, ohne den BNA einzuschalten. Aber Theorie und Praxis liegen offenbar auch hier weit auseinander.


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Quelle:
BNA-aktuell 1/2008, S. 57-59
Herausgeber: Bundesverband für fachgerechten Natur- und Artenschutz e.V.
Geschäftsstelle: BNA-Postfach 11 10, 76707 Hambrücken
Tel.: 07255/28 00, Fax: 07255/83 55
E-Mail: GS@bna-eV.de
Internet: www.bna-ev.de und www.bna-sachkkunde.de

Erscheinungsweise vierteljährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2008