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BERICHT/071: Delfintherapie - Heilungs-Chance oder Kommerz? (tierrechte)


tierrechte 1.08 - Nr. 43, Februar 2008
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Delfintherapie - Chance zur Heilung oder Kommerz?


Kranke oder behinderte Kinder, die nach Jahren das erste Mal wieder lächeln, anfangen zu sprechen oder endlich wieder Lebensfreude haben - immer wieder berichten die Medien über Erfolge der Therapie mit Delfinen. Doch was ist dran an diesen Geschichten? Können Delfine wirklich zur Heilung beitragen oder geht es in erster Linie gar nicht um die kleinen Patienten? Und was bedeutet dies eigentlich für die Delfine? tierrechte wollte es genauer wissen und sprach mit dem Meeresbiologen und Verhaltensforscher Dr. Karsten Brensing.


TIERRECHTE: Herr Dr. Brensing, Sie haben verschiedene Untersuchungen zur Delfintherapie und zum Verhalten von Delfinen durchgeführt. Zunächst einmal, was genau ist unter dem Begriff 'Delfintherapie' zu verstehen?

KARSTEN BRENSING: Die Delfintherapie ist eine Form der tiergestützten Therapie, auf englisch auch 'Dolphin Assisted Therapy' oder kurz DAT. Dabei wird mit Delfinen als Interaktionspartnern gearbeitet.

TIERRECHTE: Welche Art von Krankheiten sollen mit der Delfintherapie behandelt oder sogar geheilt werden?

KARSTEN BRENSING: Wenn man sich die Webseiten der Anbieter ansieht, heilt die Delfintherapie praktisch alles, angefangen von Essstörungen über Depressionen und alle Arten von mentalen und körperlichen Behinderungen bis hin zu Autismus, Down-Syndrom, Krebs und altersbedingten Erkrankungen. Dies ist ein Unterschied zu anderen Tiertherapien, z. B. mit Pferden oder Hunden, die sehr speziell auf die einzelnen Patienten zugeschnitten werden und wo bestimmte Fähigkeiten entwickelt oder verbessert werden sollen, z. B. im Bereich Persönlichkeitsbildung oder bei der Überwindung von Ängsten.

TIERRECHTE: Warum versprechen sich Menschen gerade von der Delfintherapie Hilfe?

KARSTEN BRENSING: Ich halte dies für die Folge von zwei verschiedenen, sich verstärkenden Mechanismen: Zum einen handelt es sich bei den Anbietern von Delfintherapien um kommerzielle Unternehmen, Delfinarien, die davon leben, dass sie in Gefangenschaft gehaltene Delfine zur Schau stellen. Für die ist die Delfintherapie ein neuer Zweig der Einnahmemöglichkeit. Der andere Aspekt ist, dass Fotos von Kindern oder Tieren immer ansprechend sind und sich schon immer gut verkaufen ließen. Damit kriegt man eine hohe Auflage oder Einschaltquote. Bei der Delfintherapie hat man beides, Kinder und Tiere, noch dazu in einer schönen Umgebung - das wollen die Leute sehen. Dazu kommt noch, dass Delfine auch kulturell bedingt einen mythischen Beiklang haben. Viele glauben an den 'Geist in den Wassern' und daran, dass hinter den Delfinen mehr steckt als man bei anderen Tieren vermutet. Es ist ganz viel Glaube und Erwartungshaltung dabei.

Anbieter von Delfintherapien sind immer sehr erfreut, wenn Journalisten darüber berichten und liefern ihnen gute Bilder. Durch mehr Öffentlichkeit entsteht mehr Nachfrage und so schaukelt sich dies gegenseitig nach oben.

TIERRECHTE: Kann der Kontakt zu Delfinen, das Schwimmen mit ihnen, Patienten tatsächlich helfen?

KARSTEN BRENSING: Ganz oft wird angeführt, dass Down-Syndrom-Kinder hervorragend auf die Interaktion mit Delfinen reagieren. Aber diese Kinder reagieren auch hervorragend auf andere Tiere oder darauf, wenn man sich mit ihnen beschäftigt, einfach weil ihnen jede Interaktion Spaß macht. Deshalb werden sie gern für Fotos genommen; da sind dann glückliche Gesichter von Down-Syndrom-Kindern zu sehen und es wird gesagt, das hat alles die Delfintherapie gemacht. Aber dafür sind keine Delfine notwendig, das ist auch anders zu erreichen. Autisten dagegen sind sehr schwer zu erreichen und auf etwas zu konzentrieren. Es gibt die Idee, dass Delfine bei Autisten eine sogenannte Icebreaker-Funktion übernehmen können. Dafür gibt es allerdings keine wissenschaftlichen Belege. Im Gegenteil, Verbände zur Hilfe und zur Förderung autistischer Menschen beziehen Position gegen die Delfintherapie, u. a. weil Therapien für Autisten über Jahre hinweg nötig sind, um positive Effekte erzielen zu können. Eine zwei- oder dreiwöchige Delfintherapie nutzt da wenig.

TIERRECHTE: Sie haben ja auch eigene Untersuchungen durchgeführt, was ist dabei herausgekommen?

KARSTEN BRENSING: Als Verhaltensbiologe habe ich mich ausschließlich für das Verhalten der Tiere und nicht für den Therapieerfolg bei den Kindern interessiert. Ich habe allerdings untersucht, ob es im Verhalten der Delfine Hinweise darauf gibt, dass sie ihren Ultraschall während der Therapie so einsetzen, dass eine Wirkung auf den menschlichen Organismus möglich wäre. Dies war nicht der Fall und so sollte ein möglicher Erfolg auch nicht dem Ultraschall zugesprochen werden. Trotzdem wird vor allem von Delfintherapie-Anbietern in Russland und der Türkei damit geworben, dass der Ultraschall der Delfine Krankheiten heilt. Meiner Meinung nach kompletter Unsinn! Abgesehen davon habe ich mich mit dem Thema Attraktion befasst, also wie attraktiv Menschen tatsächlich für Delfine sind. Verfechter der Delfintherapie führen oft an, dass die Tiere von sich aus ein Interesse an uns Menschen haben und unsere Nähe suchen. Ich wollte wissen, ob das stimmt. In Florida habe ich allerdings genau das Gegenteil herausgefunden. In den Schwimmprogrammen schwimmen die Delfine von den Menschen weg. Es gab tatsächlich nur ein einziges Tier, das Interesse an den Patienten gezeigt hat. Das hinterlässt natürlich einen tiefen Eindruck. Wenn man sich dann jedoch ansieht, wie viel Zeit dies ausmacht, stellt man fest, es sind nur wenige Sekunden einer Therapie-Session, in denen dieses Tier ein solches Interesse gezeigt hat. Diese wenigen Sekunden reichen aber aus, dass wir Menschen glauben, dort passiert etwas ganz Besonderes.

Was die tatsächliche Wirksamkeit der Delfintherapie angeht, so gibt es eine Reihe von Studien, die aber nicht nur nach meiner Bewertung keinen Beleg dafür erbracht haben. Die meisten Studien genügen nicht den Erfordernissen einer objektiven wissenschaftlichen Untersuchung. So fehlt oft eine Vergleichsgruppe, also eine Gruppe von Patienten unter ähnlichen Bedingungen, die aber nicht mit der Delfintherapie behandelt wurde. Eine Studie, die im Delfinarium in Nürnberg durchgeführt wurde, hat lediglich belegt, dass die Eltern den Eindruck haben, dass die Delfintherapie eine positive Wirkung auf ihre Kinder hat. Normalerweise geht dies in keiner medizinischen Studie durch, weil Eltern als befangen gelten. Sie haben eine Erwartungshaltung und wollen ein positives Ergebnis sehen. Therapeuten dagegen, die die Kinder aus einem neutralen Blickwinkel betrachtet haben, haben keinen Unterschied zwischen dem Zustand vor und nach der Delfintherapie festgestellt.

Ich vermute außerdem, dass bei den Studien häufig ein gewisser Eigennutz eine Rolle spielt. Denn einige Wissenschaftler, die selbst im Geschäft mit der Delfintherapie stecken, bewerben mit ihren Forschungsergebnissen und Publikationen ihre eigene Therapie.

TIERRECHTE: Sie haben das Delfinarium in Nürnberg erwähnt. Gibt es in Deutschland noch andere Einrichtungen, die Delfintherapie anbieten?

KARSTEN BRENSING: In Deutschland gibt es außer in Nürnberg noch weitere Delfinarien, u. a. in Münster und Duisburg. In allen Delfinarien gibt es Interesse und Bestrebungen, die Delfintherapie anzubieten. Die einzigen, die sie derzeit aber tatsächlich kommerziell anbieten wollen, sind die Betreiber des Nürnberger Delfinariums. Dort soll das Delfinarium ausgebaut und ein Therapiepool eingerichtet werden. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, wie sinnvoll die Delfintherapie ist, sehe ich aber gerade in Nürnberg auch gravierende Tierschutzprobleme. Delfine kennen in ihrer natürlichen Umgebung keine Wände und keine Tore oder ähnliches und meiden dies normalerweise. Das in Nürnberg geplante Becken ist relativ beengt und es ist noch nicht einmal ein abgeteilter Rückzugsraum für die Tiere geplant.

Eine weitere Möglichkeit zur Delfintherapie in Deutschland soll in absehbarer Zeit in Glowe auf Rügen angeboten werden. Dort soll nach Angaben der künftigen Betreiber ein reines Delfintherapie-Zentrum gebaut werden. Allerdings sind auch Shows mit den Delfinen geplant - also handelt es sich um nichts anderes als ein Delfinarium -, womit der Tourismus angekurbelt und Zehntausende Menschen angelockt werden sollen. Der Betreiber hat auch viele Arbeitsplätze in Aussicht gestellt. Nicht nur alle großen Natur- und Tierschutzverbände haben sich dagegen ausgesprochen, sondern auch das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund, das die artgerechte Haltung mariner Säuger in Gefangenschaft nicht für möglich hält und ihre Zurschaustellung ablehnt.

TIERRECHTE: Was ist, wenn Eltern ihren Kindern die Delfintherapie anbieten möchten, in Deutschland aber keine Kapazität dafür vorhanden ist?

KARSTEN BRENSING: Viele Eltern reisen mit ihren Kindern zur Delfintherapie nach Florida, wo es eine ganze Reihe von Zentren und Anbietern gibt und alles sehr kommerziell ausgerichtet ist, oder nach Eilat in Israel. Auch in der Türkei ist dies ein wachsender Markt. Hier war ich in einer Einrichtung, in der aus Russland importierte Belugas eingesetzt wurden. Belugas sind Polarwale, die in Wasser leben, das eine Temperatur um den Gefrierpunkt hat. In der Türkei wurden sie in Gehegen im Mittelmeer gehalten, bei sommerlichen Wassertemperaturen bis 29 Grad! Diese Tiere waren als sehr junge Tiere - als Babys - gefangen und nur eingeschränkt gefüttert worden, damit sich nicht die Speckschicht bildet, die die Tiere normalerweise entwickeln, um gegen das kalte Wasser geschützt zu sein. In dieser für sie völlig unnormalen Umgebung in der Türkei haben sie aber gesundheitliche Probleme bekommen, u. a. Augenentzündungen, und bekamen jeden Tag mit einer Spritze Salbe in die Augen verabreicht. Eine entsetzliche Tierquälerei! Und im Gegensatz dazu standen dann die glücklichen Gesichter der Eltern, die ihre Kinder dort im Wasser mit den Belugas sahen und keine Wahrnehmung für den Zustand der Tiere hatten!

TIERRECHTE: Handelt es sich auch bei den Delfinen um Wildfänge?

KARSTEN BRENSING: Die allermeisten Delfine in Gefangenschaft sind Wildfänge. Darüber hinaus sind Delfine nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen - CITES* - geschützt und mit ihnen darf nicht kommerziell gehandelt werden. Sie dürfen daher auch nicht in die EU eingeführt werden. Für 'wissenschaftliche Zwecke' ist aber eine Sondergenehmigung möglich und so kam die Bestandserweiterung der in Europa gehaltenen Tiere ausschließlich durch Wildfänge zustande.

TIERRECHTE: Was bedeutet es für die Tiere, in solchen Zentren eingesetzt zu werden?

KARSTEN BRENSING: Zunächst handelt es sich natürlich um eine Gefangenschaftshaltung. Hier in Deutschland werden die Tiere in räumlich sehr begrenzten Becken gehalten. Die Verhaltensweisen, die ein Delfin in freier Natur zeigt und mit denen er seine arteigenen Bedürfnisse deckt, kann er in Gefangenschaft nur sehr, sehr eingeschränkt ausleben. In Delfinarien in Florida und Israel werden die Tiere in Gehegen mit Meerwasser gehalten, was ihnen etwas mehr Möglichkeiten - z. B. auch zum Tauchen - bietet. Ein grundsätzliches Problem in allen Delfinarien ist aber, dass eine natürliche - und damit artgerechte - Gruppenstruktur in Gefangenschaft praktisch nicht durchführbar ist. Ab einem bestimmten Alter kommt es bei männlichen Tieren zu Rangkämpfen. In freier Natur können sich die Tiere dann aus dem Weg gehen, aber in Gefangenschaft ist dies nicht möglich. Daher müssen die männlichen Tiere einzeln gehalten werden. Die sowieso schon kleinen Delfinarien werden dann noch mal geteilt, um die männlichen Delfine separat zu halten. Die zwei in Nürnberg geborenen und überlebenden Delfin-Männer leben jetzt einzeln und isoliert von ihrer eigentlichen Gruppe in Münster. Und das Ganze wird dann als Zuchtprogramm bezeichnet.

Was die Interaktion bei der Delfintherapie betrifft, so lassen sich Delfine, wie auch andere wild lebende Tiere, nicht einfach so anfassen, auch wenn dieser Eindruck oft entsteht - vielleicht weil man bei Delfinbeobachtungen in freier Natur manchmal sehr nah an die Tiere herankommt. Die Tiere müssen aber darauf trainiert werden, mit Menschen in Kontakt zu treten, wobei es ganz klar ist, dass dieses antrainierte Verhalten in der Natur nicht vorkommt. Dieses Interagieren mit Menschen kann außerdem großen Stress bei den Delfinen auslösen. Denn es sind ja immer wieder neue und fremde Menschen, die mit den Tieren in Kontakt treten wollen, noch dazu in einem kleinen Therapiebecken, einem eng begrenzten Raum, den Delfine normalerweise meiden würden. Aus meiner Sicht ist dies eine Kommerzialisierung der Tiere - ohne wirklichen Beweis, dass es für die Patienten etwas bringt.

TIERRECHTE: Die Ultraschallwellen, die die Delfine aussenden, werden in den Becken, anders als im offenen Meer, reflektiert. Beeinträchtigt dies die Tiere?

KARSTEN BRENSING: Davon ist man in den 80er- und 90er-Jahren ausgegangen; aber nach meinen Beobachtungen vermute ich, dass die Tiere sich in einem gewissen Maß daran gewöhnen können und in der Lage sind, bestimmte akustische Wahrnehmungen oder Echos, die für sie nicht von Bedeutung sind, auszublenden. Ähnlich wie wir, wenn wir in einem Restaurant sitzen und uns trotz des Geräuschpegels auf das konzentrieren können, was unser Gegenüber gerade sagt. Dennoch ließen sich mit einfachen Mitteln Schallbrecher in den Pools installieren und die meisten Biologen gehen davon aus, dass dies eine Verbesserung der Lebensbedingungen wäre.

TIERRECHTE: Gibt es Kriterien, anhand derer die Anbieter von Delfintherapien beurteilt werden können; gibt es z.B. bestimmte Qualifikationen, die die Therapeuten haben müssen?

KARSTEN BRENSING: Es gibt bislang weltweit keinerlei Regelungen für die Qualifikation der Therapeuten oder für die Anbieter von Delfintherapien. Jedes Zentrum wirbt natürlich damit, dass es besonders gut und seriös ist, aber es gibt keine unabhängige Stelle, die dies prüft.

TIERRECHTE: Wie hoch sind die Kosten einer Delfintherapie und wer trägt sie?

KARSTEN BRENSING: Da der Therapieerfolg nicht belegt ist, übernehmen die Krankenkassen auch nicht die Kosten. Die Höhe hängt natürlich vom Anbieter und auch davon ab, wo die Delfintherapie durchgeführt wird. Eine Woche mit insgesamt fünf Sitzungen kostet so in etwa 2000 Euro oder noch mehr, darin sind aber die Flüge und Kosten für die Unterkunft nicht enthalten. Wenn man das mit einkalkuliert sowie Verdienstausfälle und eventuell Zuschläge für die medizinische Versorgung noch dazurechnet, können für eine Familie bei einem Aufenthalt im Ausland von zwei Wochen - was meistens empfohlen wird - leicht Kosten von 15.000 Euro entstehen.

TIERRECHTE: Bestehen auch Gefahren für die Patienten bzw. die Tiere?

KARSTEN BRENSING: Durch den Kontakt mit Menschen besteht für die Tiere ein Risiko, dass Infektionskrankheiten übertragen werden. Etliche Delfine sind an solchen Infektionen gestorben und viele Tiere bekommen vermutlich regelmäßig Antibiotika zur Vorbeugung. Aber natürlich besteht dieses Risiko auch umgekehrt für den Menschen. So macht man sich praktisch keine Gedanken darüber, dass die Delfine alle paar Minuten Kot und Urin ins Wasser absetzen, weshalb das Wasser ja auch gechlort wird - was wiederum sowohl bei den Tieren als auch bei den Menschen zu Reizungen der Augen und Haut führen kann.

Außerdem können Patienten in den beengten Becken durch die Delfine verletzt werden, wenn z. B. ein Tier unter Stress gerät. Es sind schon Schürfwunden, Rippenbrüche und auch schwerere Verletzungen verursacht worden. Und bei vielen Patienten handelt es sich ja um Kinder, die mitunter in ihrer Motorik und Bewegungskoordination eingeschränkt sind und oftmals unter einer sekundären Immundepression leiden.

TIERRECHTE: Was würden Sie Eltern sagen, die z.B. ein autistisches Kind haben, sich am Ende ihrer Möglichkeiten sehen und jede noch so kleinste Chance wahrnehmen wollen?

KARSTEN BRENSING: Wenn Eltern oder auch Therapeuten versuchen wollen, Tiere in der Therapie einzusetzen, sollte man nach meiner Ansicht unbedingt nur Tiere in Betracht ziehen, die schon seit Generationen in menschlicher Obhut leben und an den Umgang mit Menschen gewöhnt sind, ihn vielleicht sogar suchen, und für die nicht schon allein die Anwesenheit von Menschen ein Stressfaktor ist. Wildtiere, zu denen natürlich die Delfine zählen, sollten überhaupt nicht eingesetzt werden. Schon allein deshalb, weil das Verletzungsrisiko durch Wildtiere ungleich höher ist, aber natürlich auch wegen der Tiere selbst.

TIERRECHTE: Was wünschen Sie sich für die Delfine?

KARSTEN BRENSING: Ich hoffe, dass es über die nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte, gelingt, einen Sinneswandel bei den Menschen zu erreichen, dass sie erkennen, dass der Mensch die größte Bedrohung für die Delfine ist. Gerade die Liebe zu ihnen produziert oftmals Leid. Ich hoffe, dass die Menschen, die ihren Kindern helfen wollen und denken, Delfine könnten diese Hilfe geben und würden dies gern tun, eine Wahrnehmung dafür entwickeln, welchen Preis Delfine dafür zu zahlen haben.

TIERRECHTE: Herr Dr. Brensing, vielen Dank für das Gespräch.


Das Gespräch führte Marion Selig.

Dr. Karsten Brensing ist Meeresbiologe und hat sich auf Verhaltensbiologie spezialisiert. Er hat an der Freien Universität Berlin über die Interaktion zwischen Menschen und Delfinen promoviert. Dr. Brensing hat sich ganz dem Schutz der Wale und Delfine verschrieben und arbeitet seit einigen Jahren für die WDCS, die Whale and Dolphin Conservation Society Deutschland.
Weitere Informationen: www.wdcs-de.org

Anmerkung:
* Convention on International Trade in Endangered Species of Wild Fauna and Flora



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Delfintherapie: eine Faktensammlung

So lautet der Titel einer aktuellen Studie zur Delfintherapie, die von der Wal- und Delfinschutzgesellschaft Whale and Dolphin Conservation Society (WDCS) im Januar vorgestellt wurde. Die Studie zeigt dass sich hinter der oft als Wundertherapie für geistig und körperlich behinderte Kinder dargestellten Delfintherapie meist die kommerziellen Interessen von Delfinarien verbergen. Weiterhin wird diese Form der 'Therapie', jenseits der durchaus verführerischen Klischees analysiert sowie die Öffentlichkeit über die 'Risiken und Nebenwirkungen' informiert. Dazu gehören auch ein verstärktes Gesundheitsrisiko für Mensch und Tier und die vermehrte Entnahme von Delfinen aus der freien Wildbahn.

Die Studie kann von der Webseite der WDCS heruntergeladen werden:
www.wdcs-de.org


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Der Mythos und der Eremit

Der Grund für den ganzen Mythos, der sich um Delfine rankt und warum wir oft den Eindruck haben, dass Delfine gern zu uns Menschen kommen, uns sogar das Leben retten, ist, dass es einzelne, allein lebende Delfine gibt. Diese solitären Delfine leben nicht mehr in ihrer sozialen Gemeinschaft und versuchen deshalb andere soziale Kontakte aufzubauen. Im Menschen findet ein solches Tier einen Interaktionspartner, der als komplexes soziales Wesen diesen Interaktionsversuch wahrnimmt und darauf reagiert. Dies wiederum verstärkt das Verhalten des Delfins. In diesem Moment können - aus unserer Sicht, vielleicht auch aus der Sicht des Delfins - ganz wundervolle und intensive Begegnungen stattfinden. Dies passiert überall auf der Welt unabhängig voneinander. Aber dieses Verhalten beschränkt sich tatsächlich nur auf die solitär lebenden Delfine. Ein Tier in einer Gruppe, also der normalen Sozialstruktur und Lebensweise eines Delfins, würde eine solche Nähe niemals zulassen. Daher kann man aus dem Verhalten eines solitären Delfins nicht auf das Verhalten der in Gruppen lebenden Delfine schließen. Das wäre, als würde man aus dem Verhalten eines Eremiten, also eines Einsiedlers, auf das Verhalten des Säugetiers Mensch an sich schließen - dann käme man zu ganz falschen Schlussfolgerungen über unser menschliches Verhalten.
KARSTEN BRENSING


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Delfintherapie und ACCOBAMS

Das ACCOBAMS*-Abkommen ist ein bindendes internationales Abkommen zwischen den Mittelmeerländern sowie den Ländern um das Schwarze Meer, um den Schutz der Wale und Delfine in diesen Regionen zu gewährleisten. Es ist im Juni 2001 in Kraft getreten und verbietet den Fang von Walen und Delfinen im Mittelmeer und dem Schwarzen Meer. Der Wissenschaftliche Beirat von ACCOBAMS ist sehr besorgt über die zunehmenden Wildfänge von Delfinen im Mittelmeer und im Schwarzen Meer, die in Delfintherapie-Zentren eingesetzt werden sollen. Diese Fänge finden mit Genehmigung der türkischen Regierung statt. Die Regierungen der Mittelmeerländer und auch die Öffentlichkeit sollen sowohl über den vorwiegend kommerziellen Charakter der Delfintherapie als auch über bestehende Alternativen informiert werden.

Weitere Informationen: www.accobams.org

* The Agreement on the Conservation of Cetaceans in the Black Sea, Mediterranean Sea and contiguous Atlantic Area


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Quelle:
tierrechte - Nr. 43, Februar 2008, S. 10-13
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2008