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BERICHT/065: Zoo - Null-Toleranz für Verhaltensstörungen (tierrechte)


tierrechte 3.07 - Nr. 41, August 2007
Menschen für Tierrechte - Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.

Null-Toleranz für Verhaltensstörungen

Interview mit Prof. Dr. Hanno Würbel von Marion Selig


Der Leiter der Professur für Tierschutz und Ethologie am Fachbereich Tiermedizin der Justus-Liebig-Universität in Gießen, Prof. Dr. Hanno Würbel, spricht deutliche Worte, wenn es um das Wohlergehen von Tieren im Zoo geht. So hält er eine 'Null-Toleranz' für haltungsbedingte Störungen des Verhaltens von 'Zootieren' für notwendig. tierrechte sprach mit dem Experten für Verhaltenskunde.


TIERRECHTE: Herr Prof. Würbel, Zoos haben sich im Laufe der Zeit verändert. Vom bloßen Zurschaustellen im Käfig geht der Trend dahin, den Tieren größere Gehege anzubieten. Geht es den Tieren darin automatisch besser?

HANNO WÜRBEL: Ja, wenn auch nicht automatisch. Platz allein garantiert noch kein Wohlergehen, dazu braucht es zusätzlich artspezifische Reize und Strukturen. In den meisten Zoos ging diese Entwicklung jedoch Hand in Hand, und reizarme, unstrukturierte Gehege werden glücklicherweise zunehmend seltener. Diese Veränderung beruht allerdings teilweise auf einer veränderten Inszenierung der Tiere. Man will Tiere in natürlichen Lebensräumen zeigen, um den veränderten Zuschauer-Erwartungen gerecht zu werden. Natürlich aussehende Gehege müssen allerdings nicht notwendigerweise tiergerecht sein, und die Illusion natürlicher Lebensräume kann Probleme kaschieren.

TIERRECHTE: Bei welchen Tierarten sehen Sie besondere Probleme?

HANNO WÜRBEL: Probleme sehe ich in erster Linie bei einigen großen Raubtieren, bei Elefanten und bei Menschenaffen. Das natürliche Nahrungssuch- und Beutegreifverhalten von Raubtieren wird im Zoo nicht oder nur sehr eingeschränkt ermöglicht. Aus Frustration und Langeweile entwickeln diese Tiere oft Verhaltensstörungen, insbesondere Stereotypien, also sich ständig wiederholende Verhaltensmuster ohne erkennbaren Zweck. Dabei besteht ein Zusammenhang zwischen der Größe des natürlichen Reviers und der Schwere dieses Problems. Eisbären, mit den größten Revieren aller Raubtiere, neigen in Zoos auch am stärksten zu Stereotypien. Offenbar kann man diesen Tieren im Zoo nur sehr schlecht gerecht werden, wobei dies nicht in erster Linie am mangelnden Platzangebot liegt, sondern an den fehlenden Herausforderungen, die mit Beutezügen in freier Wildbahn verbunden sind.

TIERRECHTE: Welche Schwierigkeiten treten bei Elefanten und Menschenaffen auf?

HANNO WÜRBEL: Bei Elefanten überwiegen soziale Probleme, da es oft schwierig ist, langfristig stabile soziale Gruppen zu bilden und aufrechtzuerhalten, was zu sozialem Stress führen kann. Zudem werden Weibchen oft zu früh in die Nachzucht eingebunden, was mit Problemen im mütterlichen Verhalten und dadurch mit erhöhter Jungensterblichkeit verbunden ist. Eine beeinträchtigte Sozialisierung durch mangelhaftes mütterliches Verhalten und instabile soziale Gruppen kann später zusätzlich zu sozialen Spannungen sowie Verhaltensstörungen führen. Den sozial und kognitiv sehr hoch entwickelten Menschenaffen ist in Gefangenschaft grundsätzlich kaum gerecht zu werden. Insbesondere bei diesen Tieren stellt sich zunehmend die Frage, ob wir es ethisch überhaupt noch vertreten können, sie zum Zweck der Zurschaustellung zu instrumentalisieren. Doch auch bei manchen Vogelarten in ihren doch meist sehr begrenzten Volieren habe ich ein ungutes Gefühl. Allerdings liegen hierzu leider kaum gute Untersuchungen zu den Auswirkungen auf das Wohlergehen vor.

TIERRECHTE: Wie beurteilen Sie das Argument, dass Zoos zum Erhalt bedrohter Arten beitragen?

HANNO WÜRBEL: Das ist schwer zu beurteilen. Zoos bemühen sich zumindest, zum Arterhalt beizutragen, und es gibt ja auch Beispiele geglückter Wiederansiedlungen. Heute setzt sich jedoch zunehmend die Einsicht durch, dass der Erhalt bedrohter Tierarten hauptsächlich über den Schutz der natürlichen Lebensräume vor Ort zu gewährleisten ist. Somit wird sich dieser Beitrag in Zukunft wohl eher noch verringern.

TIERRECHTE: Immer wieder kommt es vor, dass im Zoo gehaltene Tiere ihren Nachwuchs verstoßen. Vonseiten der Zoos wird dies zum Teil als natürliche Verhaltensweise angesehen und mit dem Verhalten in Freiheit gleichgesetzt. Stimmen Sie dem zu?

HANNO WÜRBEL: Dass Neugeborene verstoßen werden, kommt in der Natur durchaus vor. Unter Gefangenschaftsbedingungen kommt es jedoch häufiger vor. Zudem stellt sich nur unter Gefangenschaftsbedingungen die ethische Frage, was mit den verstoßenen Tieren weiter geschehen soll.

TIERRECHTE: Und wie beurteilen Sie sogenannte Handaufzuchten von Jungtieren?

HANNO WÜRBEL: Handaufzuchten stehe ich grundsätzlich kritisch gegenüber. Von verschiedenen Tierarten ist bekannt, dass Handaufzuchten mit einem erhöhten Risiko für spätere Verhaltensstörungen und Probleme bei der Gruppenhaltung verbunden sind. Das bedeutet nicht, dass alle handaufgezogenen Tiere verhaltensgestört enden. Doch allein aufgrund des erhöhten Risikos muss zumindest ein erheblicher übergeordneter Nutzen vorliegen, um Handaufzuchten zu rechtfertigen, beispielsweise wenn es sich um ein im Rahmen eines Artenschutzprogrammes wichtiges Nachzuchttier handelt.

TIERRECHTE: Was passiert mit im Zoo geborenen Tieren nicht bedrohter Arten, wenn für diese Tiere dort kein Platz mehr ist?

HANNO WÜRBEL: Man versucht, die Tiere anderswo zu platzieren, oder sie werden getötet. Man muss sich bewusst sein, dass das Züchten von Tieren auch mit dem Töten von Tieren verbunden ist, da sich in den wenigsten Fällen genau so viele Tiere züchten lassen, wie auch gehalten werden können. Bei fachgerechter Tötung ist dies aus meiner Sicht allerdings kein erhebliches Tierschutzproblem. Das Töten von Tieren wird ja von unserer Gesellschaft für weit trivialere Bedürfnisse toleriert. Den Zoos ist das Thema allerdings unangenehm, da es das gern benutzte Bild der Arche Noah beeinträchtigt. Genau solche Themen müssen jedoch meiner Meinung nach von den Zoos aktiver thematisiert werden, nicht zuletzt im Rahmen ihres eigenen Bildungsauftrags.

TIERRECHTE: Ist ein Zurschaustellen von Tieren - um was es sich auch bei großzügiger angelegten Zoos letztendlich handelt - heute noch zeitgemäß?

HANNO WÜRBEL: Darüber kann man sich streiten. Aufgrund der zunehmenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Tierschutzbelange ist dies bei einigen Tierarten, wie beispielsweise Menschenaffen, zumindest fraglich. Vor allem aber kann das Zurschaustellen von Tieren heute nur noch dann gerechtfertigt werden, wenn die Tiere auch tatsächlich verhaltensgerecht untergebracht und artgemäß ernährt und gepflegt werden. Insofern müssten Zoos noch viel weiter über die Mindestanforderungen an die Käfighaltung hinausgehen, und bezüglich haltungsbedingter Verhaltensstörungen, wie beispielsweise Stereotypien, sollte sich ganz klar eine Null-Toleranz-Haltung durchsetzen.

TIERRECHTE: Nach eigenen Aussagen wollen Zoos auch zu einem besseren Verständnis für Tiere beitragen und Möglichkeiten bieten, Tiere hautnah zu erleben. Doch braucht es den Zoo dafür wirklich oder geht dies auch anders?

HANNO WÜRBEL: Natürlich geht dies auch anders, und insbesondere das Fernsehen mit immer besseren Tierdokumentationen auf immer größeren Bildschirmen ist da natürlich eine ernsthafte Konkurrenz. Allerdings ist es schon so, dass nichts über den direkten Kontakt geht, wo auch Gerüche und Geräusche zum Tragen kommen und wo man da hinschauen kann, wo man selbst will. Ob es dafür jedoch in jedem Zoo die schwer zu haltenden Exoten wie Eisbären, Elefanten und Menschenaffen braucht, ist fraglich. Stadtzoos könnten heutzutage gut auch Hausrinder oder Hausschweine unter naturnahen Bedingungen oder sogar in einem landwirtschaftlichen Rahmen ausstellen, was ja heute kaum noch ein Stadtkind je zu Gesicht bekommt. Ich habe auch schon Zoos gesehen, in denen Ratten ausgestellt waren in Bühnenbildern verlassener Wohnküchen mit Speiseresten und Küchenabfällen. Auch so was kann ein Renner sein und trägt vermutlich mehr zu einem besseren Tierverständnis bei, zumal es sich dabei um Tiere aus unserer Umwelt handelt, von denen wir mitunter nur sehr eingeschränkte Bilder haben.

TIERRECHTE: Welche Bedeutung messen Sie heute Zoos hinsichtlich Bildung und Erholung zu?

HANNO WÜRBEL: Zoos sind sicherlich immer noch sehr beliebte Freizeitinstitutionen, insbesondere für Familien mit kleinen Kindern. Auf dem typischen Familiengang durch den Zoo kommt der Bildung allerdings ein eher beschränkter Stellenwert zu. Knöpfe, die man drücken kann, um bestimmte Tierstimmen zu hören und Schautafeln, auf denen die Maximalgeschwindigkeiten von Schildkröte, Strauß und Gepard vergleichend dargestellt sind, sind diesbezüglich aber auch eher fragwürdig.

TIERRECHTE: Haben Sie Vorschläge für oder Forderungen an die Zoos?

HANNO WÜRBEL: Einige habe ich bereits angesprochen. Auf schwer zu haltende Tierarten eher verzichten, dafür zum Beispiel sogenannte 'Schädlinge' wie Mäuse oder Ratten in natürlichen oder auch anthropogenen Lebensräumen wie Kanalisationssystemen oder Vorratskammern zeigen. Ebenso Haustiere wie Rind oder Schwein oder auch Hunde und Katzen in naturnahen oder auch landwirtschaftlichen Lebenssituationen ausstellen. Weiterhin könnte der Bildungsanspruch vermutlich besser eingelöst werden, wenn statt der heute üblichen Illusion natürlicher Lebensräume vermehrt künstlich anmutende, dafür wirklich tiergerechte Formen des Reizangebots und der Gehegestrukturierung eingesetzt würden. Diesbezüglich sind landwirtschaftliche Tierhaltungssysteme viel innovativer. Damit ließen sich die artspezifischen Ansprüche von Tieren an ihre Umwelt auch viel besser veranschaulichen. Schließlich muss neben dem zunehmend weniger bedeutenden Artenschutz endlich auch der Tierschutz ein Thema werden. Und zwar nicht nur, indem man ihm Genüge tut, sondern indem Tierschutzprobleme bei der Tierhaltung thematisiert und sichtbar gemacht werden. Auch dies wäre ein ernsthafter Beitrag zum Bildungsanspruch der Zoos.

TIERRECHTE: Herr Prof. Würbel, vielen Dank für das Interview.


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Quelle:
tierrechte - Nr. 41/August 2007, S. 8-9
Infodienst der Menschen für Tierrechte -
Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V.
Roermonder Straße 4a, 52072 Aachen
Telefon: 0241/15 72 14, Fax: 0241/15 56 42
E-Mail: info@tierrechte.de
Internet: www.tierrechte.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. August 2007