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INTERVIEW/021: Feiern, streiten und vegan - Jugend, Politik und Tiere ...    Aktivistin Ziska im Gespräch (SB)


Libertäre Antispe Bergedorf - Engagement im selbstverwalteten Jugendzentrum

Interview auf dem Veganen Straßenfest in Hamburg am 13. September 2014



Die Libertäre Antispe Bergedorf versteht sich als anarchistische und freiheitliche Gruppe, die ihren Fokus auf den Kampf gegen die Diskriminierung und damit verbundene Ausbeutung von Individuen auf Grund ihrer Spezieszugehörigkeit ausrichtet. Sie sieht diese in Strukturanalogie zu anderen Diskriminierungsformen wie etwa Rassismus und Sexismus. Am östlichen Stadtrand Hamburgs versucht sie, den Gedanken der Befreiung von menschlichen und nichtmenschlichen Tieren in der dort lebenden Bevölkerung zu verwurzeln.

Mittelpunkt ihres Engagements ist Unser Haus e.V., ein seit mehr als 30 Jahren selbstverwaltetes und unkommerzielles Jugendzentrum in Bergedorf. Der eingetragene und gemeinnützige Verein ist Träger der freien Jugendhilfe. Der gesamte Betrieb des Hauses wird unentgeltlich in ehrenamtlicher Arbeit aufrechterhalten. Schwerpunkte der Arbeit sind nachhaltiges, ökologisches Wirtschaften und die gewaltfreie Konfliktlösung. Durch das Engagement in dem Jugendzentrum werden die Grundwerte gesellschaftlicher Verantwortung vermittelt. Öffentlicher Anlaufpunkt des Hauses ist das vereinseigene Café Flop, das täglich veganes Essen mit biologischen Produkten aus der Region anbietet. Über das Haus hinaus werden lokale und regionale Initiativen unterstützt. [1]

Auf dem ersten nichtkommerziellen veganen Straßenfest im Hamburger Stadtteil St. Georg war die Libertäre Antispe Bergedorf mit einem Infostand präsent. Dort beantwortete die Aktivistin Ziska dem Schattenblick einige Fragen zum Selbstverständnis der Gruppe, zu der Verbindung des Kampfs für Tierrechte mit anderen politischen Themen wie auch zu ihren Erfahrungen im Jugendzentrum und in der Öffentlichkeit.

Schaubild mit Kästchen und Pfeilen - Foto: © 2014 by Schattenblick

Diagramm einer vernetzten Tierrechtsarbeit
Foto: © 2014 by Schattenblick

Schattenblick: Ziska, wie nennt ihr euch und was sind eure Ziele?

Ziska: Wir hießen früher Gruppe Artgerecht und haben uns in Libertäre Antispe Bergedorf umbenannt. Wir sind eine offene Gruppe, zu uns kann jeder kommen, der sich für das Thema Veganismus in Verbindung mit dem Thema Tierrecht beschäftigen möchte. Für uns sind diese beiden Themen untrennbar miteinander verbunden. Uns reicht es nicht, nur vegan zu leben, wir wollen uns vielmehr auch für die Rechte von Tieren einsetzen.

SB: Warum reicht es euch nicht, nur vegan zu leben? Worin seht ihr dabei die zu eng gezogenen Grenzen?

Z: Wenn man vegan lebt, setzt man sich automatisch damit auseinander, daß Tiere ausgebeutet werden. Es ist ein Anfang und cool, wenn Leute sich vegan ernähren, wofür wir natürlich niemanden kritisieren. Aber es ist eben nur ein Einstieg, weil man der Problematik weiter nachgehen sollte. Jeder entscheidet sich aus bestimmten Gründen, vegan zu werden. Bei uns sind es moralische Gründe, aus denen wir mit der Tierausbeutung nicht einverstanden sind. Das möchten wir in die Öffentlichkeit tragen, so zum Beispiel durch Infostände oder wenn wir vor einem Zirkus stehen.

SB: Ihr macht also auch Aktionen in der Öffentlichkeit, indem ihr die entsprechenden Orte aufsucht. Bekommt ihr dabei manchmal Probleme mit eurer direkten Kritik?

Z: Probleme eigentlich weniger. Es kommen viele Leute auf uns zu, man hat viele Diskussionen. Aber daß wir angefeindet werden, kommt eher weniger vor. Unser Schwerpunkt liegt nicht auf Aktionen, sondern vor allem in unserem Haus. Wir sind ein selbstverwaltetes Jugendzentrum in Bergedorf, in das jeder kommen kann. Dort versuchen wir, die Leute in eine Politisierung einzubinden, sie also zuerst einmal für das Thema zu öffnen und zu sensibilisieren, so daß sie bei uns einen ersten Anlaufpunkt haben. Wir haben zudem eine Tierrechtsbibliothek, in der sich die Leute auch theoretisch informieren und intensiver mit dem Thema beschäftigen können.

SB: Wie siehst du die Verbindung von Tierrechten zu anderen politischen Fragen? Die traditionelle Linke hat ja ursprünglich überhaupt keinen Sinn für Tierrechte gehabt. Inzwischen haben verschiedene Parteien und Organisationen dieses Spektrums angefangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Z: Wir finden es wichtig, daß das Thema Tiere immer größeren Anklang in der Öffentlichkeit findet. Uns reicht es nicht zu sagen, daß es dem Menschen schlecht geht. Die Tiere sind die Schwächeren, und im Zweifelsfall sollte meines Erachtens immer das Recht des Schwächeren gelten. Tiere haben keine Lobby und können nicht für sich sprechen, deshalb muß man sie ihnen verschaffen. Daher muß dieses Anliegen in die Politik hineingetragen werden, weil nur wir Menschen den Tieren eine Stimme geben können.

SB: Der Tierschutz wurde 2002 ins Grundgesetz als § 20a aufgenommen. Zugleich nimmt das Tierschutzgesetz jedoch die Einschränkung vor, daß man Tieren nicht aus ungerechtfertigten Gründen Leid zufügen dürfe. Wie siehst du diese Hierarchie, den Menschen an die Spitze zu stellen, gefolgt von den Primaten, und diese Kette bis zu den sogenannten niederen Tieren hinunter zu staffeln?

Z: Wir nennen uns deswegen Antispe, weil wir den Antispeziesismus vertreten. Für uns heißt es nicht, daß die Rechte von Menschen über denen von Tieren stehen. Wir finden, daß Tiere die Rechte auf Leben und Unversehrtheit haben wie jeder Mensch auch.

SB: Welche Erfahrungen macht ihr mit den Leuten, die ins Jugendzentrum kommen? Sind sie ansprechbar für eure Themen?

Z: Auf jeden Fall. Bei uns kommt jeder erst einmal freiwillig und aus eigenem Interesse. Es ist bunt gemischt, angefangen von Leuten, die mit Politik gar nichts am Hut haben, aber bei uns die Möglichkeit haben, sich zu politisieren. Die Leute, die zu uns ins Haus kommen, finden es gut. Wer einmal da war, kommt immer wieder. Es kommen Kinder von zwei Jahren an, aber auch Leute von 50 oder 60 Jahren. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf der Jugend, aber dennoch ist es altersmäßig sehr gemischt, weil wir auch niemanden ausgrenzen wollen.

SB: Wie erlebst du in der Öffentlichkeit die Reaktionen auf das Thema Tiere und Tierschutz? Manche Kampagnen zu punktuellen Problemen werden sehr deutlich wahrgenommen, während viele andere Fragen wiederum ausgeblendet bleiben.

Z: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Ich habe das Gefühl, daß die Leute erst einmal in eine Abwehrhaltung gehen, wenn man sie mit dem Thema konfrontiert. Die meisten Menschen haben meines Erachtens ein Unrechtsbewußtsein und wissen schon, daß es nicht in Ordnung ist, wenn die Packung Wurst nur einen Euro kostet. Aber sie hinterfragen es nicht. Wenn dann so ein Thema öffentlich gemacht wird und die Leute direkt damit in Berührung kommen, gehen sie erst einmal auf Abwehr. Sie wissen, da ist etwas Wahres dran, aber sie müßten ihr Leben ändern, wenn sie dem nachgingen. Sie könnten nicht so weitermachen wie bisher. Es ist nicht der bequeme Weg, nicht der Standardweg. Und das schreckt viele zunächst ab. Aber genau solche Leute wollen wir in unserem Haus treffen: Wir halten es niedrigschwellig, keiner wird verurteilt. Und dann kommen wir mit den Leuten ins Gespräch.

SB: Wenn dann jemand sagen würde, ich sehe es ja theoretisch ein, doch müßte ich auf ungeheuer viele Dinge verzichten, wenn ich so leben wollte wie ihr. Was würdest du darauf antworten?

Z: Dann würde ich sagen, es muß klick machen, denn es ist ja eine moralische Entscheidung. Wenn ich wirklich etwas moralisch will, bin ich auch bereit, Dinge zu verändern. Davon abgesehen sehen wir das überhaupt nicht als Verzicht, denn man gewinnt ganz viele neue Sachen dazu, sowohl in der Theorie, indem man sich mehr Gedanken macht und mit der Zeit einen ganz anderen Blickwinkel gewinnt, als auch praktisch: Man lernt neue Produkte kennen, es ist überhaupt kein Verzicht - im Gegenteil! Und man lernt auch viele interessante Menschen kennen.

SB: Ziska, vielen Dank für dieses Gespräch.

Stand der Libertären Antispe Bergedorf gut besucht - Foto: © 2014 by Schattenblick

Antispe als integraler Bestandteil der Politisierung
Foto: © 2014 by Schattenblick


Fußnote:

[1] http://www.unserhausev.de/



Berichte zum Veganen Straßenfest unter

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BERICHT/008: Feiern, streiten und vegan - Konfliktbereit für Mitgeschöpfe ... (SB)
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25. September 2014