Schattenblick →INFOPOOL →TIERE → REPORT

INTERVIEW/004: Fortschrittsfluch Tierversuch - Seht, die Tiere brauchen Rechte (SB)


Interview mit Martina Kunze von der Kampagne LPT schliessen! am 29. Juni 2013 in Hamburg Neugraben



Seit mehreren Jahrzehnten führt das Labor LPT (Laboratory for Pharmacology and Toxicology) in Hamburg Neugraben und rund 16 Kilometer weiter südlich im niedersächsischen Mienenbüttel im Auftrag der Industrie Tierversuche durch. Anfang der achtziger Jahre hatten dort Aktivistinnen und Aktivisten insgesamt über einhundert Beagles aus der Gefangenschaft befreit und sie vor dem ihnen zugedachten Los des Labortods bewahrt. Noch in den neunziger Jahren wurde gegen die Firma LPT protestiert, doch dann war es von Seiten der Tierbefreierinnen und Tierbefreier viele Jahre still um das Forschungslabor geworden.

Mit der (Friedhofs-)Ruhe ist es nun offenbar vorbei. Am 29. Juni riefen mehrere Hamburger Tierrechtsgruppen, die sich zur Kampagne LPT schliessen! zusammengefunden haben, zu einer Auftaktdemonstration gegen das Tierversuchslabor auf. Vom Treffpunkt an der S-Bahnstation Neuwiedenthal ging der Demonstrationszug bis vor die Tore des LPT in einem Neugrabener Wohnviertel. [*]

Vor Beginn des Protestmarsches konnte der Schattenblick der Kampagnensprecherin Martina Kunze einige Fragen zu Zielen und Hintergrund der Aktion stellen.

Demonstrierende tragen breites Banner mit Bildern von Versuchstieren und der Aufschrift 'LPT schliessen - Tierversuche abschaffen' - Foto: © 2013 by Schattenblick

Man sammelt sich und schließt die Reihen
Foto: © 2013 by Schattenblick

Schattenblick: Martina, könntest du einmal eure Kampagne vorstellen und sagen, was ihr hier heute vorhabt?

Martina Kunze: Wir von der Kampagne LPT schliessen! sind ein Bündnis aus verschiedenen Tierrechtsgruppen, die sich zusammengetan haben, um gegen das Tierversuchslabor LPT in Hamburg Neugraben zu protestieren. Unser Ziel ist die Schließung des Labors. Heute machen wir dazu die Auftaktdemonstration. Das Labor LPT hat abgesehen vom Hauptstandort hier in Neugraben mitten im Wohngebiet noch einen weiteren Standort in Mienenbüttel und einen in Schleswig-Holstein.

SB: Den Bannern und Plakaten zufolge, die hier gerade nach und nach hervorgeholt werden, ist euer Ziel die generelle Abschaffung der Tierversuche?

MK: Genau. Unsere Initiative kommt aus der Tierrechts- und Tierbefreiungsbewegung. Hier in Neugraben geht es uns natürlich konkret um die Schließung von LPT, im größeren Rahmen wollen wir aber, daß alle Tierversuche abgeschafft werden. Wir denken, daß Tiere nicht für Menschen da sind und wir sie nicht für Experimente benutzen dürfen. Insofern setzen wir uns nicht nur für eine Abschaffung von Tierversuchen ein, sondern auch für die Abschaffung von Tierausbeutung und Tiernutzung überhaupt. Das bezieht sich dann eben auch auf den Konsum von Fleisch und anderen Tierprodukten, auf Tiere, die im Zoo zur Schau gestellt oder im Zirkus zu irgendwelchen Kunststücken gezwungen werden. Somit steht die Demonstration hier in Neugraben in einem größeren Rahmen.

Aber konkret vor Ort muß erst einmal Öffentlichkeit für dieses Labor hergestellt werden. Wir hatten hier letzte Woche einen Infostand aufgebaut, und viele Passanten waren ganz entsetzt oder auch erstaunt und sagten: "Ach, das gibt es immer noch?" Oder: "Ach, daß hier im Wohngebiet so ein Tierversuchslabor steht, wußte ich gar nicht." Das wollen wir in die Öffentlichkeit tragen, das wollen wir thematisieren und problematisieren. Und natürlich wollen wir Druck aufbauen, damit das Labor dann endgültig schließt.

SB: Tierversuche sind fester Bestandteil eines administrativen Genehmigungsablaufs und damit für bestimmte Produkte vorgeschrieben. Wollt ihr auch politischen Einfluß nehmen, damit eine solche Gesetzgebung abgeschafft wird? Steht ihr dazu vielleicht mit politischen Parteien in Kontakt?

MK: Das wäre für uns nicht ausgeschlossen, doch das ist nicht unser primärer Weg. Wir werden auch auf Politiker zugehen und da gegebenenfalls Gespräche führen und gucken, wie weit man da kommen kann. Aber ich denke, gerade die Politiker auf lokaler Ebene haben da keine Einflußmöglichkeiten.

Wir setzen vor allem auf Druck aus der Öffentlichkeit. Wenn sich ein öffentliches Bewußtsein bildet, demzufolge Tierversuche oder andere Formen der Ausbeutung von Tieren abgelehnt werden, dann wird sich auch die Gesellschaft dahingehend verändern und dann müssen dem sowohl die Gesetzgeber als auch Unternehmen folgen. Wir setzen auf zivilgesellschaftliches Engagement und vertrauen nicht auf irgendwelche parlamentarischen Vorgänge, die ja nur einen sehr geringen Einfluß haben in unserer parlamentarischen Demokratie.

Insofern setzen wir an verschiedenen Stellen an und vertreten das Kampagnenprinzip. Damit hatten wir gute Erfolge im Bereich der Pelzindustrie erzielt.

SB: Nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland?

MK: Ja, in Deutschland war die Offensive gegen die Pelzindustrie sehr aktiv, vor allem zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts. Viele große Modeunternehmen sind aufgrund von koordinierten Protesten gegen einzelne Unternehmen aus dem Pelzhandel ausgestiegen und verkaufen keinen Pelz mehr.

Wenn die Unternehmen sich entscheiden, wir wollen mit Pelzen keinen Profit mehr machen - entweder weil sie das selber ethisch vertreten oder weil sie sehen, daß sie sich damit nur ein schlechtes Image einhandeln -, dann gibt es das Angebot nicht mehr, und dann ist es auch nicht mehr Normalität, daß in jedem Laden Pelze verkauft werden. Dadurch sinkt die Akzeptanz und die Industrie wird geschwächt.

Genauso muß man auch im Bereich der Tierversuche und Fleischindustrie den ökonomischen Druck aufrechterhalten, denn die Unternehmen sind die Entscheidungsträger, die die Aufträge vergeben. Das sind natürlich zunächst einmal die Pharma- und Chemiekonzerne, aber eben auch dieses Labor, das sich entscheidet, Versuche weiterhin mit Tieren durchzuführen, und nicht auf tierversuchsfreie Methoden setzt. Die wären ja eine Alternative.

SB: Ihr nehmt also LPT zunächst als konkretes Beispiel, um gegen Tierausbeutung zu protestieren, doch im umfassenden Sinne wollt ihr die Gesellschaft insgesamt verändern?

MK: Ja, absolut. Im großen Rahmen geht es uns um die Veränderung des Mensch-Tier-Verhältnisses in der Gesellschaft, damit Tiere nicht mehr als bloße Ressource und Ware angesehen werden. Wir führen das auch auf eine kapitalistische Wirtschaftsweise zurück, aber nicht nur darauf. Wir wollen eine Bewußtseinsveränderung in der Gesellschaft erreichen.

Plakat mit Aufschrift 'Tiere sind keine Ware' und Zeichnung eines Kaninchens, das eine Nummer im Ohr trägt - Foto: © 2013 by Schattenblick

LPT bietet auch Experimente an Kaninchen an
Foto: © 2013 by Schattenblick

SB: Was sagt ihr zu dem Problem, daß in anderen Kulturen ein ganz anderer Umgang mit Tieren gepflegt wird? Werden euch manchmal Fragen danach gestellt, wie ihr diese Menschen dazu bewegen wollt, auf Tierausbeutung zu verzichten?

MK: In anderen Kontexten oder in privaten Kontexten werden solche Fragen schon mal gestellt, im Zusammenhang mit der Kampagne LPT schliessen! jedoch nicht. Tierversuche sind ja zumindest in dieser Gesellschaft ein stärker diskutiertes Thema, gleiches gilt für den Fleischkonsum. Es ist ja schon fast trendy, vegan zu leben, und das Thema ist in den Medien sehr präsent. Auf solche Argumente, wie du sie nanntest, steigen wir eigentlich nicht ein, weil das nicht das ist, worüber wir gerade reden und worum es uns geht. Wir leben ja in Deutschland in einer der führenden Industrienationen, in denen es eine Verwertung und Vernutzung von Tieren in Form der Experimente gibt, und dagegen werden wir aktiv.

Im übrigen sind wir international vernetzt. So nimmt an der Demonstration ein italienischer Aktivist teil, der auf einer Veranstaltung heute abend über Aktionen der Tierbefreiungsbewegung in Italien berichten wird. Das sind die gleichen Kämpfe, die in verschiedenen Ländern mit einer gleichen Lebensgrundlage geführt werden. Aber wir erheben jetzt nicht den Anspruch, irgendwelchen Leuten irgendwas vorschreiben zu wollen.

Vielmehr sagen wir: Tiere sind fühlende Individuen, deren Bedürfnisse respektiert werden müssen, und wenn sie geboren werden, haben sie ein Recht auf Leben, auf ein Leben in Freiheit und auf ein Leben in Unversehrtheit. Das ist unsere Prämisse, und da drunter geht für uns nichts!

Da kann auch niemand kommen mit: "Ja, aber wir brauchen doch die Tierversuche auch." Wenn die was bringen würden - ich sage "wenn", denn es ist umstritten, ob die Forschungsergebnisse überhaupt übertragbar sind -, aber selbst wenn sie übertragbar wären, würden wir sagen, daß Tierversuche ethisch nicht vertretbar sind. Wir würden ja auch nicht sagen, wenn Versuche an Menschen unter Zwang irgendwas bringen würden, daß man sie dann machen sollte. Auch bei Tieren heiligt der Zweck nicht die Mittel. Es muß eine Wissenschaft geben, die keine Opfer produziert.

SB: Hier existiert schon eine Bürgerinitiative vor Ort, die heißt Lobby pro Tier. Die hat auf ihrer Website einen merkwürdigen Brief gepostet, in dem sie sich gegenüber eurer Initiative abgrenzt und schreibt, daß sie nicht die Schließung des Labors fordert, sondern die Beendigung der Tierversuche. Hat es da vorher keine Kontakte zu der BI gegeben?

MK: Die Bürgerinitiative Lobby pro Tier ist unabhängig von unserer Kampagne und konzentriert sich auf den Standort Mienenbüttel. Hier in Neugraben sind hauptsächlich Hamburger Tierrechtsgruppen aktiv. Wir hatten Kontakt mit der Bürgerinitiative, aber verweisen alle Fragen, was die BI angeht, an diese selbst. Die machen ihre Arbeit, wir machen unsere Arbeit. Auf deren Website kann man nachlesen, wo die ihren Schwerpunkt sehen, und wir wollen eben hier heute vor Ort protestieren. Aber dazu sind alle eingeladen mitzumachen!

SB: Ein passendes Schlußwort. Vielen Dank für das Gespräch.

Demonstrierende mit Plakaten und Bannern - Foto: © 2013 by Schattenblick

Vor dem Tor des LPT - unerwünschte Aufmerksamkeit für die Tierverbrauchsforschung
Foto: © 2013 by Schattenblick

[*]
Einen Bericht über die Demonstration finden Sie unter:
INFOPOOL → TIERE → REPORT → BERICHT:

BERICHT/003: Fortschrittsfluch Tierversuch - Laborstopp in Hamburg und anderswo (SB)
http://schattenblick.com/infopool/tiere/report/trbe0003.html


5. Juli 2013