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HIPPOS/88: Gewaltverhältnis Reitsport - Der Fall Christine W. (SB)


Dressur - Balanceakt zwischen sanfter Bestechung und Gewalt


Vor wenigen Tagen gingen Meldungen über die Pferdetrainerin Christine Wels durch die Medien, bei denen jedem Pferdefreund der Atem stockte. 470 mal soll diese in nur 32,5 Minuten auf ein Pferd eingeschlagen haben, was von einer versteckten Kamera dezidiert festgehalten wurde. Unmittelbar fragt man sich, wer das ungerührt und stillschweigend zählen und beobachten konnte, ohne der gequälten Kreatur beizustehen. Schließlich war die Trainerin schon früher wegen ihrer "umstrittenen" Methoden aufgefallen. Der Beobachter (Hamburg on air) wollte offensichtlich weiteres Beweismaterial sammeln. Die betroffenen Pferde gingen ihn dabei genauso wenig an, wie die nun angeklagte Dressurtrainerin. Die Presseberichte sind sich in ihrem Urteil längst einig:

Die 60-Jährige soll von September 2006 bis Juni 2007 in Norderstedt und Halstenbek bei Hamburg in 15 Fällen Pferden "aus Rohheit erhebliche Schmerzen zugefügt und deren Wohlbefinden erheblich beeinträchtigt" haben. Ein Team der Produktionsfirma Hamburg on air hatte die deutsche Dressurreiterin in Dänemark mit versteckter Kamera gefilmt und die Methoden von Christine W. öffentlich gemacht.
(Nachrichten.Aol.de, 18. November 2008)

Drastischer wurden die im Film festgehaltenen Trainingsmethoden von der Bildzeitung geschildert:

Die Fuchsstute Wolke hat keine Chance. Die Reiterin auf ihrem Rücken schlägt immer wieder mit der Peitsche zu, stößt ihr die spitzen Rädchensporen mit aller Kraft in den Bauch. Wolke kann den Kopf kaum bewegen, das eng gebundene Zaumzeug nimmt ihr jegliche Bewegungsfreiheit. Aus Verzweiflung schlägt die Stute aus. Die Reiterin setzt zur harten "Ruckparade" an, reißt so den Kopf des Pferdes herum. Nach etwa 60 Minuten Martyrium hat Wolke offene Wunden an den Flanken und dicke Striemen am Köper, ihr Maul ist verletzt, der ganze Leib schaumnass.

Die Reiterin, die Wolke so zugeritten haben soll, wird später behaupten, dass ihr Verhalten "mit Tierquälerei nichts zu tun hat". Und: "Natürlich habe ich eine strenge Hand, aber manche selbstbewussten Pferde brauchen das, damit sie den Reiter als Alphatier akzeptieren." Die Frau, die diese Meinung vertritt, ist die ehemalige Dressur-Weltcup-Reiterin und Pferdeausbilderin Christine W. (60) aus Norderstedt bei Hamburg. In der Dressurszene keine Unbekannte. Die gebürtige Rostockerin hat einige Pferde geschliffen, die später bei den Olympischen Spielen antraten. Viele Nachwuchspferde, die sie ausbildete, konnten gewinnbringend verkauft werden.
(BILD, 16. November 2008)

In diesen Tagen wird der Fall der ehemaligen Dressurreiterin und Weltcup-Teilnehmerin vom Kieler Landgericht verhandelt.

Der Fall Christine Wels hatte die Richter schon früher beschäftigt. Erst im September 2006 verhängte das Amtsgericht Norderstedt rechtskräftig zwei Jahre Berufsverbot über die Trainerin. Das Amtsgericht Plön verurteilte sie ein Jahr später zu 6.300 Euro Geldstrafe. Über die Berufung ist noch nicht entschieden.

Damals konnte man ihr schwere Tierquälerei in drei Fällen nachweisen, wobei die Trainerin die ihr anvertrauten Pferde mit einer Gerte und scharfkantigen Sporen (Metalldornen, die Dressurreiter normalerweise an ihren Stiefelabsätzen tragen, um ihren physischen, sogenannten "Hilfen" Nachdruck zu verleihen und die gemeinhin nicht als "brutale" Mittel angesehen werden... Anm. d. SB-Red.) traktiert hatte. Die Pferde sollen anschließend geblutet und gelahmt haben. Ein Tier mußte sogar eingeschläfert werden.

Nachdem sie ihren Beruf in Deutschland nicht mehr ausüben durfte, fand sie offenbar eine Möglichkeit in Dänemark, weiter mit Pferden zu "arbeiten". Auch von dort mehrt sich inzwischen Kritik an ihren "strengen" Methoden:

Auch aus Dänemark kommen Vorwürfe gegen die Frau. Medienberichten zufolge soll sie in einem dänischen Reitstall ebenfalls Pferde bei der Ausbildung misshandelt haben. Drei der betroffenen Pferde seien in den Stall des schleswig-holsteinischen Dressur-Landesmeisters Wieger Derk de Boer gebracht worden, berichteten die "Kieler Nachrichten". Der Experte habe die Methoden der Beschuldigten als "grausam" und "völlig sinnlos" bezeichnet.
(2008 Norddeutscher Rundfunk, 18. November 2008)

Christine Wels bestreitet die Vorwürfe. Der "Bild am Sonntag" sprach sie deutlich aus, was bei dem verklärten Thema "Reitsport" normalerweise vermieden werden soll:

"Ich bin nicht das schwarze Schaf des Dressursports, alle anderen Leistungsträger arbeiten wie ich. Die reiterliche Ausbildung war auch immer so und wird es bleiben. Es sei denn, ein höchstrichterliches Urteil in Deutschland würde die professionelle Dressurausbildung letztlich als tierschutzwidrig ansehen."
(Nachrichten.Aol.de, 18. November 2008)

Natürlich distanzierte sich die Reiterliche Vereinigung in Deutschland (FN), allen voran der Dressur-Bundestrainer Holger Schmezer, von den "Machenschaften" und Methoden dieser Trainerin. Sie sehe keinen Widerspruch zwischen den Anforderungen an Dressur und Tierschutz und weise die speziell gegen sie und den Stand der Dressurreiter gerichteten Anschuldigungen vehement zurück. Schmezer versicherte gegenüber der dpa:

"Als Bundestrainer habe ich den Überblick über die gesamte Dressurspitze in Deutschland und kann meine Hand dafür ins Feuer legen, dass diese ihre Pferde korrekt und im Sinne des Tierschutzgesetzes ausbildet."
(Nachrichten.Aol.de, 18. November 2008)

Und Christoph Hess, der bei der FN die Abteilung Ausbildung leitet, meinte:

"Die Bilder, die ich von Frau W. gesehen habe, haben mit der Ausbildung eines Pferdes nicht das Geringste zu tun. Das ist reine Tierquälerei. Mit den gezeigten Methoden versucht sie das Pferd nur zu unterjochen. Mit tierquälerischen Techniken kann man ein Pferd nicht auf weiterführende Aufgaben im Sport vorbereiten."
(Nachrichten.Aol.de, 18. November 2008)

Der Sprecher der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, Dennis Peiler, betohnte, daß bereits 2007 ein Ausschlußverfahren gegen Wels eingeleitet worden sei. Dem wäre diese jedoch durch einen Austritt zuvorgekommen. Darüber hinaus hätte die FN nach den jüngsten Berichten über ihre Trainingspraktiken in Dänemark sofort entsprechende Konsequenzen gezogen:

"Es ist wohl die fürchterlichste Art, in der man ein Pferd behandeln kann. Das hat mit der Ausbildung eines Pferdes nicht das geringste zu tun", sagt der Generalsekretär der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, Dr. Hanfried Haring. Er kündigte nach dem Auftauchen des neuen Videos an: "Wir werden eine Strafanzeige wegen Tierquälerei bei der zuständigen Staatsanwaltschaft stellen. Darüber hinaus haben wir den dänischen Pferdesport-Dachverband informiert."
(Schleswig-Holstein am Sonntag, 16. November 2008)

Wie immer in solchen Fällen, in denen Einzelpersonen wegen besonders drastischer Exzesse (die letztlich nur die Spitze des Eisbergs darstellen) ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt werden, versuchen die offiziellen Vertreter der fraglichen Disziplin, ihre Hände in Unschuld zu waschen: Ein guter Pferdetrainer quält seine Pferde nicht! Das ist die Grundaussage, die man hinter all der vehement geäußerten Kritik heraushören kann und gleichzeitig wird damit auch die Rechtfertigung installiert, ansonsten so weiterzumachen wie bisher.

Für jeden, der es wissen will, scheint klar zu sein, daß es "gute" wie "schlechte" Reiter und Pferdetrainer geben kann, wobei die Grenze zwischen schwarz und weiß, gut und böse durch ein an Gewalt überschrittenes Maß angegeben wird, das noch genau festzulegen ist.

Wer aber bestimmt über die zulässige, für Pferde noch erträgliche Gewalt und über das, was die vertretbare Schmerzgrenze überschreitet? Das Pferd sicher nicht?! Die bestehende Hierarchie zwischen Pferd und Reiter wird durch die Betonung scheinbar "guten" gegenüber "schlechten" Verhaltens auf diese Weise festgeschrieben.

Sind doch schon das Aufzäumen und Satteln eines Pferdes, seine Belastung mit dem Gewicht von Sattel und Reiter, wie schon die schlichte Forderung an das Lebewesen überhaupt, dem Reiter bedingungslos zu gehorchen, rohe Formen der Gewalt, die das Pferd an seiner natürlichen Entfaltung und ursprünglichen Lebensweise hindern.

Wir haben schon in früheren Artikeln darauf hingewiesen, daß dieses Gewaltverhältnis bestenfalls als eine auch von dem sozial handelnden Herdentier Pferd durchaus bewußt eingegangene Geschäftsbeziehung zum Menschen betrachtet werden kann. Wenn ein Tier scheinbar nur durch Zuwendung und freundliche Bestätigung dazu gebracht wird, wie es in der Reitersprache heißt: "durchlässig zu werden" oder die "Hilfen des Reiters anzunehmen" (anders gesagt, gehorsam und gefügig das zu tun, was der Reiter wünscht), dann vergißt man dabei, daß es durchaus in der Lage ist, seine existenzielle Abhängigkeit zu begreifen und seinen eigenen Vorteilen gemäß zu handeln.

Sicher läßt sich ein Pferd, das körperlich dazu in der Lage ist, allein mit sehr viel Zeit und Freundlichkeit dazu bringen, körperliche Höchleistungen mit einer zusätzlichen Last auf dem Rücken zu vollbringen. Doch sollte man sich nichts darüber vormachen, daß auch die sanfteste Bestechung immer noch eine Form der Dominanz ist.

Wo aber sanfte Bestechung von Tierquälerei zu scheiden ist, darüber scheinen sich selbst die Experten nicht einig zu sein. Nicht umsonst heißt es in der Meldung der Deutschen Presseagentur, daß nun das Gericht in Kiel klären müsse (was für empörte Pferdefreunde eigentlich klar auf der Hand liegt), ob nämlich die Dressurmethoden von Christine Wels überhaupt zulässig sind.

Tatsächlich gibt es Stimmen, die an Wels' Dressurmethoden nichts auszusetzen haben. "So will ein langjähriger Dressurreiter (62) aus Molfsee die namhafte Pferdetrainerin "fast täglich" mindestens drei Stunden bei der Arbeit beobachtet und nie Mißhandlungen bemerkt haben", hieß es in der Internetzeitschrift "Tier-kompakt" (Beiträge und Tests rund um die lieben Vierbeiner):

"Ich würde auch überhaupt nicht zulassen, dass mein Pferd gequält oder drangsaliert wird", beteuerte der Diplomvolkswirt, der aus seiner Verbundenheit mit Frau W. keinen Hehl macht: Nur ihrem intensiven und konzentrierten Training habe er es zu verdanken, dass eines seiner Tiere nun auf 200.000 Euro taxiert werde. Dabei würde die Angeklagte ("eine impulsive Frau") natürlich Schenkel und Gerte "etwas auffordernder" einsetzen und das Pferd per Schlaufzügel "etwas tiefer einstellen".
(Tier-kompakt, 22. Februar 2008)

Letzteres, d.h. das tiefe Ausbinden des Pferdehalses, um die oben erwähnte Durchlässigkeit des Pferdes gewissermaßen zu erzwingen, gilt tatsächlich nicht als Tierquälerei, ist aber aus Sicht eines unvoreingenommenen Betrachters schon äußerst brutal und für das Pferd sehr unangenehm, da es seinen Kopf nicht mehr frei bewegen kann.

Christine Wels, der hier nun die Rolle des Sündenbocks und Negativbeispiels für Pferdetrainer zugeschoben wird, damit der Reitsport an sich nicht in Frage gestellt werden muß, ist zumindest selbst auch davon überzeugt, ihre Pferde zu lieben, und unterscheidet sich darin kaum von anderen vermeintlichen Pferdefreunden:

Das Gericht in Kiel muss nun klären ob Christine W.s Dressurmethoden zulässig sind. Sieben Verhandlungstage sind dafür angesetzt. Im Fall einer Verurteilung drohen nach Medienberichten bis zu drei Jahre Haft oder eine Geldstrafe. Christine W. selbst ist überzeugt, den Tieren nichts Böses anzutun. Der "Bild am Sonntag" sagte sie: "Meine Pferde lieben mich und ich liebe meine Pferde."
(Nachrichten.Aol.de, 18. November 2008)

20. November 2008