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HIPPOS/79: Kein normales Pferd springt freiwillig (SB)


Hoppe, hoppe Reiter

... und wenn er springt, dann würd' das Pferd gern schreien


Von seiner Veranlagung und seinem ausgeprägten Fluchtreflex her ist jedes Pferd quasi aus dem Stand zu enormen Leistungen fähig, wenn es entsprechend motiviert ist. Genau genommen kann es die durch seine Vorfahren ererbten Schnelligkeits- und Kraftreserven, die in der Wildnis das Überleben sichern, nur in einer entsprechenden Angst- oder Streßsituation mobilisieren. Und dies macht sich der Mensch unfairerweise zunutze, wenn er Pferde für den Sport mißbraucht. Und da ist jede noch so meisterhaft eingesetzte, kaum sichtbare "Hilfe" des Reiters wie der bloße Schenkeldruck ein von außen ausgeübter Zwang bzw. eine künstliche geschaffene Enge, aus der sich das Pferd mit einem Sprung befreien muß. Vorbildlich ausgeführt wird dies als harmonisches Zusammenspiel zwischen Pferd und Reiter mißverstanden.

Leider ist es eine traurige Wahrheit, daß viele Pferde, die im Hochleistungssport alles geben, ihre Altersgrenze und somit einen geruhsamen Lebensabend nicht erreichen. Doch die fortgesetzte Anspannung, unter der die Tiere während des Transports und des Wettkampfes stehen (und die schließlich der Reiter in der sogenannten "Versammlung" des Tiers zu einem gespannten Bogen von der Hinterhand bis zum Hals fördert und auf seine Führung ausrichtet), die künstlich geschürte Angst, mit der jede Hochleistung erst möglich wird, und schließlich der über alle Gebühr beanspruchte Bewegungsapparat würden jedes Lebewesen frühzeitig verschleißen, selbst wenn es zu der von ihm verlangten Tortur aus freien Stücken bereit wäre (wie manche Legenden von "Wunderpferden" zu berichten wissen).

Das ist nämlich der kleine Unterschied, der die sogenannten Hochleistungsportler trennt, zu denen sich ja auch die Reitsportler zählen. Während sich die Leichtathleten, Turner, Kraftsportler und andere Athleten nur selber bis an die eigenen Belastungsgrenzen quälen, sitzen die Reiter relativ gemütlich auf einem Tier, das sich selten freiwillig für ihren persönlichen Ehrgeiz schindet, sondern - und das ist die Regel - zu den geforderten Höchstleistungen gewaltsam gezwungen werden muß. Hier werden viele passionierte Reiter einwenden, bei ihrem persönlichen Reitpferd sei das nicht so. Doch zum einen gehen die Verdrängungsmechanismen seitens des Reiters, der nicht als Tierquäler dastehen und doch seinen Ritt genießen will, seltsame Wege. Und zum anderen bietet sich das Pferd, das ein ausgesprochen soziales Wesen ist und von der Zuwendung seines "Herrn und Reiters" abhängig, oft regelrecht selbst an, da das schmerzhafte Gerittenwerden gewissermaßen die soziale Kontaktfläche ist, bei der es die meiste Bestätigung erhält.

Natürlich gibt es ebenso wie bei den Menschen auch unter den Pferden ausgesprochene Naturtalente, die die sportlichen Leistungsansprüche ihrer Reiter sogar spielend meistern. Hier haben die Meister der subtilen Unterdrückung im Pferdesport das junge Talent rechtzeitig erkannt (dafür müssen schließlich schon Fohlen ihre Leistungsbereitschaft im freien Springen (ohne Reiter) beweisen) und schon im Fohlenalter mit entsprechendem Lob gefördert. So wird es allgemein tatsächlich als sanfte Ausbildungsmethode angesehen, wenn man schon Fohlen und Einjährige beim "Freigang" auf die Weide kleine Hindernisse bewältigen läßt. Auf diese Weise werden die Angst vor dem Sprung mit der Freude auf die Belohnung und der freundlichen Zuwendung des künftigen Reiters verbunden. Doch bleibt bei jedem Sprung, selbst wenn er für die Tiere leicht zu schaffen ist, die Angst, ohne die sie ihn nicht ausführen könnten. Wir Menschen kennen eine ähnlich nervliche Anspannung als eine Form von Nervenkitzel vor Tätigkeiten, zu denen wir uns überwinden müssen. Pferde brauchen diesen Adrenalinstoß um das Hindernis überhaupt bewältigen zu können.

Doch solche Ausnahmeerscheinungen unter den Pferden kommen trotz aller Zucht recht selten vor und derart geförderte Leistungssportler bezahlen den Sport darüber hinaus mit frühzeitigen Verschleißerscheinungen.

Ein solch seltenes Talent soll auch die Wunderstute Halla von Hans- Günther Winkler gewesen sein. Die Geschichte von dem legendären Ritt am 16. Juli 1956 in Stockholm beim Preis der Nationen wird unter Pferdebegeisterten immer wieder gern als Beispiel für die gute Teamarbeit von Pferd und Reiter erzählt, aber auch, um die Springfreude dieses Pferdes zu dokumentieren.

Für diejenigen, die die Begebenheit noch nicht kennen sollten, sei sie hier kurz zusammengefaßt: Winkler hatte sich beim ersten Umlauf einen Muskelriß in der Leistengegend zugezogen. Normale Schmerztabletten halfen ihm nicht mehr, aber ein Ausscheiden von Winkler und Halla hätte der deutschen Mannschaft die schon beinahe sichere Goldmedaille gekostet, für die nur ein Nullfehlerritt fehlte. Keiner der anderen hatte das bisher geschafft. Man wußte, Halla konnte den schwierigen Parcour ohne weiteres bewältigen.

Was heute undenkbar wäre, damals jedoch als regelrechte Heldentat gefeiert wurde, Winkler bekam ganz öffentlich eine Morphiumspritze, so daß er weniger Schmerzen spürte, sich aber selbst kaum noch auf dem Pferd halten konnte. Er schaffte es gerade noch, Halla die Richtung zu weisen.

Nun, kurz gesagt: Unter Umständen, unter denen wohl jedes normale Pferd keinen Sprung geschweige Schritt getan hätte, flog die zierliche Stute über die Hindernisse des Parcours und schleppte dabei auch noch die störende Last eines im Sattel und an der Mähne hängenden reiterlichen Mehlsacks sicher mit über alle Hindernisse. Sie war die einzige, die an diesem Tag einen Nullfehlerritt zustande brachte.

Im Nachvollzug dieser reiterlichen "Heldentat" muß man sich fragen, wie überhaupt ein Mensch oder eine Mannschaft ein solches Risiko eingehen konnte. Wäre nur ein Sprung daneben gegangen, und das konnte niemand vollkommen ausschließen, dann wäre möglicherweise wieder einmal ein erstaunliches Sprungtalent dem sportlichen Ehrgeiz zum Opfer gefallen. Und dies ist nicht das einzige Beispiel in der Geschichte des Pferdesports, bei dem ein Bein- oder Genickbruch der wehrlosen Kreatur bewußt in Kauf genommen wird.

Nur wenige Pferde - auch Winkler konnte Halla in seiner langen, erfolgreichen Laufbahn nie wirklich ersetzten - haben tatsächlich Veranlagungen und körperliche Voraussetzungen zum Springsport.

Um das Gros des Bedarfs all jener Reiter abzudecken, die unbedingt mit ihren Pferden Auszeichnungen und Lorbeeren erringen wollen (und das werden zur Freude der "Reiterlichen Vereinigung in Deutschland" jährlich mehr), reichen diese wenigen Ausnahmeexemplare nicht aus, zumal sich schon der Körperbau des Pferdes nicht so zum Springen eignet wie vergleichsweise der einer Katze.

Obwohl ein normales Pferd in Freiheit lieber einen Umweg von fünf und mehr Kilometern in Kauf nehmen würde, ehe es auch nur einen Graben von einem Meter Breite überspringt, ist es, in Flucht versetzt, jederzeit bereit und in der Lage, kleine Hindernisse unbeschadet zu überwinden. Wie beim Menschen gibt es aber auch in diesem Fall mehr oder weniger sportliche Pferde.

Fehlendes Sprungtalent oder auch mangelnde Ausbildung des noch jungen Pferdes glauben allerdings immer noch viele Reiter durch Reißen, Hacken, Schlagen, Stoßen und Schreien ersetzen zu können und setzen damit den Bewegungsapparat der ihnen anvertrauten Vierbeiner großer Beanspruchung und Überbelastung aus.

Leider wird dieser "unsachgemäße Umgang" mit dem "Sportgerät Pferd" jährlich durch zu Tausenden ausgeführter Nervenschnitte bestätigt, mit denen eine durch die Überbeanspruchung aufgetretene Hufrollenerkrankung im Sprunggelenk nicht geheilt, sondern nur schmerzfrei gestellt werden kann.

Bei diesem Eingriff werden die Nerven im Fesselgelenk durchtrennt, so daß das Pferd keine Schmerzen aber auch kein Gefühl mehr unterhalb des Sprunggelenks verspürt. Es kann dann wohl noch geritten werden, wobei fraglich bleibt, ob es mit tauben Hufen auch noch Hochleistungen erbringen kann.

Es wird allgemein wohl wie eine Reparaturmaßnahme betrachtet, die immer dann nötig wird, wenn noch unausgewachsene junge Pferde zu früh und zu stark belastet werden (von einem sinnvollen Training kann man in diesem Fall überhaupt nicht mehr sprechen).

Der Verschleiß des Pferdes wird aber auch durch die Prüfungsverordnungen der Turniere gefördert. Statt Pferdesachverstand und die Reitfähigkeit des Reiters, seinen Sitz oder sein Einfühlungsvermögen zu bewerten, zählt bereits beim Springen der Klasse "A" (Anfänger) ausschließlich das fehlerfreie Überqueren der Hindernisse und die schnellste Zeit! Dazu ist schon in dieser Klasse beinahe alles erlaubt, abgesehen von der tierquälerischen Kandarre, mit der den Pferden bei unsachgemäßer Handhabung enorme Schmerzen zugefügt werden könnte, und die Anfängern "noch" nicht erlaubt ist.

Dafür versuchen selbst Anfänger schon mit Sporen und Peitsche, schnellstmöglich mit kurzen brutalen Wendungen die Pferde zum fehlerfreien Überwinden von Hindernissen zu zwingen. Die grell bemalten Hindernisse wie die rote Mauer, der Türme-Sprung, Oxer mit bunten Stangen, Elefantensprung und Tonnensprung - um nur wenige zu nennen, schüren die Angst des Tieres und tragen so dazu bei, seine letzten Reserven zu mobilisieren. Abgesehen davon weiß jedes Pferd (und für diese Erfahrung wird in seiner Ausbildung gesorgt), daß es einfach sehr schmerzhaft ist, ein Hindernis zu reißen. Diese massive Bedrohung im Nacken läßt es springen, wohin es der Reiter führt.

Laut Fred Rai, der diese Zusammenhänge in seinen Büchern "Natürliches Reiten - die neue Schule für Freizeitreiter" und "Ohne Peitsche - Ohne Sporen" sehr anschaulich schildert und der als früherer Sport- und Springreiter mit den Verhältnissen des Einreitens und Trainings bestens vertraut ist, werden beispielsweise in den höheren Springklassen L, L/M, M und S nicht nur die Hindernisse breiter und höher, sondern auch die Abmessungen zwischen den Sprüngen so unnatürlich zum normalen Galoppsprung eines Pferdes verkürzt aufgebaut, daß ein normales Pferd, welches nicht durch das gezielte Training und entsprechende Versteifungen in der Galoppade an die Verhältnisse angepaßt wurde, unweigerlich den Abwurf der schweren Stangen und Mauerkästen herbeiführen würde.

Wird beispielsweise nach einem Weitsprung, bei dem die Pferde vollen Schwung und schnelles Tempo benötigen, direkt ein Steilsprung gesetzt (wie es häufig nach einem Wassergraben geschieht), kann ein Pferd gewöhnlich das Tempo nicht so schnell verlangsamen, daß es den Steilsprung in der erforderlichen Versammlung (inneren Körperspannung) meistert. Es sei denn, der Reiter ist bereit, ihm Schmerzen zuzufügen.

Auch der Abwurf von Stangen und Kästen ist für das Fluchttier Pferd eine schmerzhafte und angstbesetzte Katastrophe, die es demzufolge auch zu vermeiden trachtet. Dieser zusätzliche Streß für das Tier wird von "Sportreitern" aber bewußt in Kauf genommen, um den "Besten", d.h. den geschicktesten Reiter zu ermitteln, letztlich also den, der sein Pferd am effektivsten quält.

Selbstverständlich gibt es immer einige rühmliche Ausnahmen, wie die mit der Fairneß-Medaille ausgezeichnete Inken Johannson, die seinerzeit nicht bereit war, ihr noch nicht vollständig ausgebildetes, aber schon sehr erfolgreiches Vielseitigkeitspferd Brillante für Olympia qualifizieren zu lassen. Dazu hätte sie es in den vielen Vorausscheidungen überfordern müssen.

Doch in der Regel herrschen die häßlichen Bilder vor, gleichgültig, ob man ein Dorfturnier oder die Fernsehübertragung eines internationalen Springturniers kritisch unter die Lupe nimmt. Angespornt durch attraktive Preisgelder wird gerade in der "gehobenen" Klasse sehr viel subtiler, verdeckt und weniger offensichtlich tierquälerische Gewalt angewendet. Und ein Reiter, der heutzutage Springsport betreiben will, muß dazu bereit und in der Lage sein. Das gehört zur Initiation, wenn man zum elitären Kreis der Reiter zählen will, und ist der Preis für die sportliche Anerkennung. Heute kommt vielfach noch dazu, daß ein Sportreiter Erfolge vorweisen muß, um die nötige Förderung entsprechender Sponsoren und letztlich seine Ausrüstung für den Sport einschließlich aussichtsreicher Pferde zu erhalten, die wieder mit der notwendigen Grausamkeit zugeritten werden müssen. Und damit schließt sich der Kreis reiterlicher Gewalt.

Hin und wieder werden einige der Methoden, mit denen man Tiere zu Höchstleistungen zwingt, aufgedeckt und in der Regel mit Strafen (z.B. befristete Sperrungen) für den Reiter belegt. Doch meistens (vor wenigen Jahren war das bei René Tebbel der Fall) ist es sehr schwer, dem Reiter eine strafbare Handlung nachzuweisen, und nach mehreren Gerichtsinstanzen vermindert sich die Strafe oftmals bis zum Freispruch. Zwar haftet dem betreffenden Reiter danach kurzfristig noch der Ruch der Tierquälerei an, und auch die gesamte Sportreiterei empört sich geschlossen über solche Praktiken, doch nur, um von der Tatsache abzulenken, daß es keiner anders, nur eben viel geschickter anstellt. Nach dem nächsten Sieg oder dem Nationenpreis für Deutschland ist man dann auch bereit, den unbewiesenen Straffall wieder ganz zu vergessen, während sich der betroffene Reiter ohnehin keiner Schuld bewußt ist, schließlich hat er nur das getan, was man ihm im Laufe seiner Ausbildung beigebracht hat und was alle tun.

Die allgemeine Praxis, Schmerz und Panik einzusetzen, um das Pferd zu Höchstleistungen anzuspornen, ist u.a. nur deshalb möglich, weil gerade Pferde über keinen Schmerzenslaut verfügen. Sie leiden stumm. Von einem leisen, fast nicht hörbarem und äußerst seltenen Stöhnen abgesehen, stoßen Pferde unter größten Schmerzen mit ihren sensiblen Beinen kiloschwere Stangen herunter oder ertragen mit scharfer Kandarre ausgeführte harte Paraden (wenn das mit Sporen erzwungene Vorwärtsstürmen auf unnatürliche Hindernisse jäh abgebremst wird) in ihrem weichen, empfindlichen Pferdemaul ohne jeden Klagelaut. Wäre es anders, dann wäre ein Reitturnier für den Zuschauer und vermutlich auch den Reiter selbst unerträglich.

Nicht zu schreien, zu weinen oder zu stöhnen ist eine Überlebensanpassung des Fluchttiers, das seine vielen Feinde nicht auf eine etwaige Verletzung oder Schwäche aufmerksam machen will. Der Mensch nutzt das aus, indem er sich selbst etwas vormacht und nicht durch etwaige Schmerzensäußerungen vom Gegenteil überzeugt wird.

Auch bei der Ausbildung der Tiere wird mit Schmerzen gearbeitet. So schlägt man ihnen beim Springen mit Stangen gegen die ungeschützen empfindlichen Vorderbeine ("Barren") oder peinigt sie mit Glasscherben und Heftzwecken bzw. einer stark wirksamen hitzebildenden Rheumasalbe unter vermeintlich schützenden Bandagen, um die fragilen Vorderbeine noch druckempfindlicher zu machen, damit sie die Beine höher ziehen und dann höher oder auch weiter springen. Vor diesen Maßnahmen machen nicht einmal unsere Springsportgrößen und Olympiasieger halt, wie es vor einigen Jahren einmal in einer Dokumentation im Fernsehen zu sehen war. Und Vorkommnisse wie im Fall René Tebbel (der unter dem Verdacht stand, eine schmerzhafte Reizsalbe auf die Vorderbeine seines Pferdes gestrichen zu haben, um sie noch berührungsempfindlicher zu machen) zeigen, daß sich auch heute nichts geändert hat. Man läßt sich nur nicht mehr so leicht in die Karten bzw. unter die Bandagen schauen.

22. Februar 2008