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VETERINÄR/231: Mit Fachwissen und Improvisationstalent in den Busch (Forschungsreport)


ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz 2/2008
Die Zeitschrift des Senats der Bundesforschungsanstalten

Mit Fachwissen und Improvisationstalent in den Busch Tierkrankheiten machen nicht an Grenzen halt

Von Dr. Michael Welling, Senat der Bundesforschungsinstitute


Die Luft flimmert über der geflickten Startbahn von Juba, Südsudan. Ohne jegliches Anzeichen eines geordneten Einsteigeverfahrens werden wir über eine Treppe in den Flieger, eine ehemalige russische Militärmaschine, gedrängt. Es riecht nach Schweiß. Die Fenster sind abgedunkelt und die Sitze müssen erst umgeklappt werden, damit man Platz nehmen kann. Ein ganz eigener Standard eben - nicht besonders vertrauenserweckend, aber typisch für viele Entwicklungsländer. Nach drei Wochen Feldeinsatz bei 40°C im Schatten geht es jetzt zurück nach Khartum und dann wieder nach Hause ins kühle, heimische Deutschland. Aber jetzt erst einmal alles der Reihe nach.


Im Jahr 2007 wurde am Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) unter dem Eindruck der Geflügelpest ("Vogelgrippe"), die im Vorjahr auch Deutschland erreicht hatte, die Arbeitsgruppe Internationale Tiergesundheit (AG-ITG) gegründet. Die Grundidee dabei war, eine Gruppe von Spezialisten zur Verfügung zu haben, eine Art "Task Force", die in außereuropäischen Ländern beim Auftreten von Geflügelpest schnell und unbürokratisch Hilfestellung geben kann. Betroffene Länder sollten die Möglichkeit haben, Unterstützung anzufordern, damit sich lokale Seuchengeschehen nicht unkontrolliert weiter ausbreiten.

In der Folgezeit zeigte sich, dass weniger ein schnelles Eingreifen im Krisenfall, sondern hauptsächlich Projektarbeit benötigt wurde - vor allem Beratung und Training für Epidemiologen und spezialisierte Labors in den betroffenen Saaten. Diese Mission hat das vierköpfige Team in die verschiedensten Regionen der Welt geführt, vor allem nach Afrika, aber auch auf den Balkan, in den Kaukasus und in asiatische Länder, oft auch in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Partnern. Hauptauftraggeber waren die GTZ (Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit) und die FAO (Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen). Und im Fokus stand nicht nur die Geflügelpest, sondern eine ganze Reihe von bedeutenden Tierkrankheiten und Zoonosen.


Land der Gegensätze: Sudan

Der Sudan - flächenmäßig der größte afrikanische Staat - ist ein Land voller geographischer und ethnischer Gegensätze. Der Norden ist arabisch-muslimisch geprägt, der Süden traditionell christlich-animistisch. Ölfunde haben, neben den kulturellen Spannungen, zu heftigen Verteilungskämpfen zwischen Nord und Süd geführt.

Tierarzt Dr. Manfred Tanner von der AG-ITG berichtet: "Dr. Filippo Cilloni aus Padua und ich bildeten das deutsch-italienische Team, welches zur Probenentnahme und zu Ausbruchsuntersuchungen von der FAO in den Sudan entsandt wurde. Die Schwierigkeiten be-ginnen schon bei der Einreise: Am Flughafen Khartum steckt unser Equipment im Zoll fest. Doch dank der Hilfsbereitschaft unserer örtlichen Kollegen aus dem Veterinärlabor können wir unsere Arbeit trotz fehlender Ausrüstung zügig beginnen.

Nach zwei Wochen in den nördlichen Provinzen unter glühender Hitze folgt in der letzten Woche der Flug in den Süden, nach Juba. Dort ist es zwar nicht ganz so heiß, aber dafür so schwül, dass wir bereits schweißgebadet sind, als wir aus dem Flughafengebäude treten. Wenigstens dürfen wir hier kurze Hosen tragen. Die Bevölkerung vor Ort begegnet uns äußerst freundlich, wir werden tatkräftig unterstützt, wobei sich vor allem die Kinder mit ihrem unermüdlichen Einsatz hervortun. Mit großem Hallo werden Hühner und Enten für die Untersuchungen herbeigeschafft. Um festzustellen, ob die Tiere mit dem Geflügelpestvirus Kontakt hatten, werden Proben entnommen. Die Laborarbeit ohne Labor, unter einem Schatten spendenden Notdach, fordert ein gehöriges Maß an Improvisationstalent. Entschädigt werden wir durch die große Gastfreundschaft: Am Ende unseres Aufenthalts laden uns die Honoratioren des Dorfes zu einem üppigen Festmahl mit landestypischen Spezialitäten wie gekochten Okraschoten, rohen Innereien und anderen 'Überraschungstellern' ein."


Ghana: Es geht alles, wenn man nur will

Nachdem 2007 in Ghana der hochpathogene Typ H5N1 des Geflügelpestvirus um sich gegriffen hatte, sollte die Arbeitsgruppe im Auftrag der GTZ eine zweiwöchige veterinärmedizinische Trainingsmaßnahme durchführen. Ziele waren die Etablierung einer verbesserten Virus-Diagnostik (RT-PCR und ELISA) und die Ausbildung des Laborpersonals in der Anwendung von Schnelltests. Gleichzeitig sollten die Infrastruktur der Labore erfasst und die fachliche Kompetenz des vorhandenen Laborpersonals einschätzt werden.

Die Planung sah vor, zunächst im Zentrallabor in der Hauptstadt Accra, wo alle Untersuchungen zur Geflügelpestdiagnostik stattfinden, die Mitarbeiter zu trainieren und die Arbeitsmöglichkeiten zu verbessern. Danach sollten in zwei Regionallaboren in der Zentralregion und im Norden die Mitarbeiter in der Anwendung von Schnelltests geschult werden.

Die ersten Tage der Reise sind nach Aussage des Teams, Dr. Anja Globig und Dr. Detlef Höreth-Böntgen, chaotisch: "Unsere Ankunft in Accra fällt mit dem dreitägigen Gipfeltreffen der Staatschefs der Afrikanischen Union und den Feierlichkeiten aus Anlass des 50. Jahrestags der Unabhängigkeitserklärung in Ghanas Hauptstadt zusammen, was die Arbeiten nicht gerade erleichtert. Alle Behörden sind geschlossen, die Zollabfertigung am Flughafen lahmgelegt und jede Fahrt vom Hotel zum Labor oder zu Gesprächen mit Vertretern internationaler Organisationen benötigt viel mehr Zeit als gewöhnlich. Trotz alledem wird das Training durchgeführt, auch wenn tagelang kein Wasser und kein Strom zur Verfügung stehen und auch das Notstromaggregat wegen Dieselmangel versagt. Improvisation, Geduld, Hartnäckigkeit und Toleranz sind unter diesen Bedingungen die wichtigsten Tugenden.

Die beiden anderen Trainingseinheiten machen eine Reise in einem Fahrzeug der GTZ durch das ganze Land erforderlich. Zuerst hoch in den Norden nach Pong Tamale an der Grenze zu Burkina Faso, wo die Engländer 1912 ein Veterinärlabor errichtet hatten. Für die Strecke von 530 km Luftlinie benötigen wir 17 Stunden, Reifenplatzer inklusive.

Das Training selbst verläuft sehr gut, es ist nur etwas schwierig, in der Stadt Fotokopien der Trainingsunterlagen für die Teilnehmer zu erstellen. Doch weil die Geschäftsleute dort sehr flexibel sind, gelingt auch das: Da der Laden mit dem Kopiergerät in einem Stadtviertel ohne Strom liegt und der tragbare Generator nicht ausreichend Strom erzeugt, wuchtet der Ladenbesitzer seinen Kopierer kurzerhand in unser Auto und wir fahren durch die Stadt, bis wir ein Viertel finden, das von der Stromabschaltung verschont ist. Der Kopierer wird in ein Haus gebracht und die umfangreichen Kopien werden im Schlafzimmer einer auch dem Ladenbesitzer völlig fremden Person gegen Zahlung eines kleinen Obolus angefertigt.

Die letzte Trainingseinheit findet am Regionallabor der Zentralregion in Kumasi statt und verläuft nahezu problemlos."


Erreger machen nicht vor Grenzen halt

Die geschilderten Eindrücke aus dem Sudan und Ghana mögen nach Abenteuerurlaub klingen. Man mag sich auch fragen, ob es die Aufgabe einer deutschen Ressortforschungseinrichtung ist, Staaten in weit entfernten Regionen der Welt bei der Bekämpfung von Tierseuchen unter die Arme zu greifen.

Doch was ist in unserer globalisierten Welt mit ihren vielfältigen Verflechtungen noch weit entfernt? Der hochpathogene Virustyp H5N1 der Geflügelpest ist innerhalb kurzer Zeit um den halben Globus verbreitet worden. Auch andere Infektionen, die bislang nur in subtropischen oder tropischen Regionen eine Rolle spielen, können plötzlich bei uns auftreten - siehe das aktuelle Beispiel Blauzungenkrankheit.

Der Erreger der Afrikanischen Pferdepest benutzt in den afrikanischen Verbreitungsgebieten den gleichen Vektor wie der Erreger der Blauzungenkrankheit. Den Sprung in nördlichere Regionen hat eine andere Seuche, die Afrikanische Schweinepest, bereits geschafft. Sie grassiert mittlerweile auch in Armenien, Georgien, Aserbeidschan und Süd-Russland. Tierseuchen wie die Afrikanische Schweinepest stellen in angrenzenden osteuropäischen Ländern die Struktur der tierärztlichen Überwachung vor große Herausforderungen. Ob sie ohne Unterstützung gemeistert werden können, scheint in einigen Regionen fraglich. Dies sind nur zwei von vielen Beispielen, die belegen, dass Krankheitserreger aus anderen Regionen der Welt durch Handelsströme, die erhöhte Mobilität des Menschen und den Klimawandel immer näher heranrücken. Dabei geht es nicht nur um Tierkrankheiten. Mehr als 60 Prozent der derzeit bekannten humanpathogenen Erreger haben zoonotischen Charakter, das heißt sie können von Tieren auf den Menschen übertragen werden.

Die Übertragung vieler Infektionskrankheiten wird durch klimatische Faktoren beeinflusst. Moskitos wie Anopheles, Culex und Aedes sowie Gnitzen wie Culicoides sind Überträger zahlreicher Krankheitserreger. Wenn die Temperaturen steigen, brauchen die Mückenlarven weniger Zeit, sich zu entwickeln, wird die Zahl der Nachkommen anwachsen, werden die weiblichen Mücken öfter Blut saugen. All dies wird für viele Erreger die Übertragungsintensität beschleunigen und die Verbreitungsareale vergrößern.

Das Friederich-Loeffler-Institut verfügt über vielfältige und langjährige Erfahrungen in der Bekämpfung und Überwachung zoonotischer und vektorübertragener Erkrankungen. Die Zusammenarbeit mit anderen betroffenen Ländern und den jeweiligen Veterinärdiensten kann dazu beitragen, Tier und Mensch nicht nur vor Ort, sondern auch bei uns vor neu auftretenden Krankheiten zu schützen. In diesem Zusammenhang sind die Aktivitäten der am FLI eingerichteten Arbeitsgruppe Internationale Tiergesundheit zu sehen.


Armenien: Gute Ansätze, aber Mängel in der Umsetzung

Ein konkretes Beispiel für Gefährdungspotenziale aufgrund von begrenzten Möglichkeiten der lokalen Behörden liefert der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest (ASP) in Armenien.

Tierärztin Dr. Anja Globig schildert ihre Eindrücke: "Lorut, ein abgelegener Ort in den armenischen Bergen an der Grenze zu Georgien, hatte im Sommer 2007 verschiedentlich Verdachtsfälle von ASP bei Hausschweinen gemeldet. Im Oktober 2007 fahren wir - ein zweiköpfiges Team von der Insel Riems und der FAO in Rom - zusammen mit dem zuständigen armenischen Epidemiologen nach Lorut, um einen Eindruck von der Situation zu gewinnen und möglicherweise frische Proben zu nehmen. An der Grenze des Regierungsbezirks ist eine Straßensperre aufgebaut, um Autos und LKWs auf Schweine oder Schweineprodukte zu kontrollieren. Alle Autos müssen außerdem durch ein Desinfektionsbad fahren.

Auf der Fahrt diskutieren wir mit unserem armenischen Kollegen darüber, wie die ASP nach Lorut gelangen konnte. Während vor Ort generell die Annahme vertreten wird, dass die Krankheit von Georgien über die Hauptverkehrsstraße nach Armenien verschleppt wurde, wird der naheliegenden Verbreitung durch Wildschweine leider wenig Glauben geschenkt, obwohl ein stetiger Kontakt zwischen den Haus- und Wildschweinen bekannt ist.

In Lorut hat sich bei unserer Ankunft die höherrangige Dorfgemeinschaft versammelt, darunter einige Schweinebauern und der Dorftierarzt. Von insgesamt 3.000 Tieren sind seit Anfang August 500 Tiere gestorben. Eine Keulung der restlichen Schweine hat allerdings nicht stattgefunden. Am Tag unseres Besuches waren zwei Schweine gestorben und eins getötet worden.

Von der Seuchenbekämpfung und 'unschädlichen Beseitigung' der toten Schweine erhalten wir einen aufschlussreichen Einblick: Die Tiere werden ohne Abdeckung in den Kofferraum eines Autos verfrachtet und an den Dorfrand befördert. Desinfektionsmittel ist zwar vorhanden, aber niemand macht Gebrauch davon. Die Überlebensfähigkeit des Virus und auch seine Übertragungswege scheinen nicht bekannt zu sein. Wenn es den Veterinärbehörden nicht gelingt, eine erfolgreiche Aufklärungs-Kampagne zu starten, könnte sich die gefährliche ASP für lange Zeit im Kaukasus etablieren.

Die Veterinärstruktur Armeniens ist eigentlich gut ausgebaut. In jeder Gemeinde gibt es ein bis zwei Tierärzte, doch mangelt es an fachlicher Praxis. So sind selbst bei den akuten ASP-Ausbrüchen so gut wie keine Probenentnahmen ausgeführt worden. Maßnahmen zur Biosicherheit und Hygiene bei der Bekämpfung der ASP wurden wenig beachtet bzw. waren selbst den Tierärzten unbekannt. Eine ähnliche Situation zeigt sich im Laboralltag."

Grundvoraussetzungen wie die uneingeschränkte Versorgung mit Strom und fließendem Wasser sind im von Krisen gebeutelten Armenien nicht immer gewährleistet. Das Personal versucht sein bestes, ist aber häufig überfordert. All diese Faktoren ergeben erschwerte Rahmenbedingungen für die Veterinärdiagnostik; weitere fachkundige Unterstützung durch entsprechende Organisationen und erfahrene Wissenschaftler ist nötig. Daher absolviert auch eine junge Wissenschaftlerin aus Armenien derzeit ein Labortraining im nationalen Referenzlabor für klassische und afrikanische Schweinepest am FLI auf der Insel Riems.


Feuerwehr und langer Atem

Der Januskopf der Globalisierung zeigt sich auch im Veterinärwesen: Nicht nur die Menschen und die Warenströme sind mobiler geworden, auch Krankheiten und ihre Überträger können sich leichter als je zuvor über große Strecken ausbreiten.

In Kooperation mit europäischen und anderen Partnern erstellt das FLI Überwachungs- und Frühwarnsysteme, um die Entwicklung relevanter Krankheiten vorherzusagen und Schäden abzuwehren. Neben den notwendigen "Feuerwehrarbeiten" sind aber auch Langzeituntersuchungen erforderlich, die sich über Jahrzehnte erstrecken. Dies bedeutet, dass das Monitoring ökologischer Parameter und Prozesse in Ländern außerhalb Europas initiiert beziehungsweise verstärkt werden muss. Nur dann kann sich gesellschaftliches Handeln beim Ausbruch von neuen Tierkrankheiten auf eine solide wissenschaftliche Informationsbasis stützen, aus der rationale Anpassungs- und Vermeidungsstrategien abzuleiten sind.


Dr. Michael Welling,
Senat der Bundesforschungsinstitute,
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig.
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de

Dr. Wolfgang Böhle, Dr. Anja Globig,
Dr. Detlef Höreth-Böntgen und Dr. Manfred Tanner,
Friedrich-Loeffler-Institut,
Arbeitsgruppe Internationale Tiergesundheit,
Südufer 10, 17493 Insel Riems.
E-Mail: wolfgang.boehle@fli.bund.de


Diesen Artikel inclusive aller Abbildungen finden Sie im Internet im PDF-Format unter:
www.forschungsreport.de


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Quelle:
ForschungsReport Ernährung · Landwirtschaft · Verbraucherschutz
2/2008, Seite 37-40
Herausgeber:
Senat der Bundesforschungsanstalten im Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Redaktion: Dr. Michael Welling
Geschäftsstelle des Senats der Bundesforschungsinstitute
c/o Johann Heinrich von Thünen-Institut
Bundesallee 50, 38116 Braunschweig
Tel.: 0531/596-1016, Fax: 0531/596-1099
E-Mail: michael.welling@vti.bund.de
Internet: www.forschungsreport.de, www.bmelv-forschung.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Februar 2009