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VETERINÄR/205: Blauzungenkrankheit heruntergespielt (PROVIEH)


PROVIEH Heft 4 - Dezember 2007
Magazin des Vereins gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.

PROVIEH ARBEITSKREISE
Blauzungenkrankheit - unterschätzt und heruntergespielt?

Von Sabine, Zentis, Arbeitskreis Tierseuchen


Als im August 2006 die ersten Fälle der Blauzungenkrankheit bei Rindern und Schafen festgestellt wurden, reagierten die Veterinärbehörden mit Unglauben. Die Krankheit verlief in den meisten Fallen nicht schwer und die Tiere gesundeten bald wieder. Die Krankheit trat regional gehäuft in Nordrhein-Westfalen auf und in anderen Bundesländern gab man sich der trügerischen Hoffnung hin, dass Ländergrenzen einen ausreichenden Schutz böten.

Da man annahm, dass das Virus im Winter aussterben würde, weil die Überträgerinsekten Frost nicht überstehen könnten, wurde auf Abwarten gesetzt. Fachleute, die vor einem Wiederauftreten der Krankheit warnten, wurden ignoriert.

Auch die Forderung nach der schnellstmöglichen Entwicklung eines Impfstoffes gegen das Blauzungenvirus wurde von den Behörden nur belächelt und als Panikmache abgetan. Insbesondere die Rinderzuchtverbände fürchteten um ihre Exportmärkte und haben von Beginn des Krankheitsgeschehens an die Impfung als Mittel, die Krankheit zu bekämpfen, abgelehnt.

Anscheinend ist es diesen Organisationen nicht bewusst geworden, dass sie mit kranken oder toten Tieren keine Geschäfte machen können. Dass die von ihnen "betreuten" Rinderzüchter mit einer Krankheit, die große wirtschaftliche und Tierschutzprobleme mit sich bringt, alleine gelassen werden, kommt schon einem Dolchstoß in den Rücken gleich.

Wie sich nun in diesem Jahr gezeigt hat, ist die Taktik nicht aufgegangen. Die Insekten, sogenannte Gnitzen, überstanden den Winter vorzüglich und mit ihnen kam das Virus im Sommer zurück.

Die ersten Fälle in diesem Jahr wurden bereits im Juli registriert und seitdem hat die Krankheit sich nicht nur flächendeckend in Deutschland ausgebreitet, sondern auch zu schwersten Krankheitsausbrüchen, zum Teil mit Todesfolgen, geführt. Eine Krankheit, die von winzigkleinen, blutsaugenden Insekten übertragen wird, ist nicht beherrschbar. Da können noch so viele Transportverbote ausgesprochen werden, die Tiere von oben bis unten mit "Insektiziden" besprüht und aufgestallt werden - die Gnitzen finden immer einen Weg, die Tiere zu stechen und mit dem Virus zu infizieren.

Die Schafhalter in den am schlimmsten betroffenen Regionen in NRW und Hessen verzweifeln. Immer neue Krankheitswellen dezimieren die Herden, die Tiere leiden an schwersten Lahmheiten, die Schwellungen im Kopf und Halsbereich sind so stark, dass keine Futteraufnahme mehr möglich ist, und Lämmer werden zu früh, tot oder lebensschwach geboren. Ein Teil der Schafe verendet plötzlich, ohne Krankheitsanzeichen. Die überlebenden Tiere sind geschwächt und es dauert zum Teil Monate, bis sie wiederhergestellt sind.

In den Rinderherden bietet sich ein ähnliches Bild. Hier ist zwar die Krankheitsrate nicht ganz so hoch wie in den Schafbeständen, aber die Tiere leiden an Lahmheiten, haben Probleme zu fressen und sind zum Teil so geschwächt, dass sie zum Festliegen kommen. Auch hier werden immer wieder missgebildete, lebensschwache oder tote Kälber geboren.

Während der kalten Jahreszeit werden die Krankheitsausbrüche zurückgehen, da die Insekten bei kühlerer Witterung nicht aktiv sind. Um für das nächste Jahr einen wirksamen Schutz von Schafen, Rindern und Ziegen zu gewährleisten, ist es unbedingt erforderlich, die Tiere vor Beginn der Flugzeit der Insekten zu immunisieren. Aber womit?

Nach nunmehr 15 Monaten ist auch den Behörden klar geworden, dass dieser Erkrankung nur mit einem Impfstoff beizukommen ist. Inzwischen arbeiten drei Firmen an der Entwicklung bzw. Herstellung eines inaktivierten Impfstoffes gegen das in Deutschland und den angrenzenden Ländern vorkommende Blauzungenvirus (BTV 8).

Nach Aussagen aus dem Landwirtschaftsministerium hat Deutschland bei den Herstellerfirmen Merial und Intervet angefragt, ob die Lieferung von 15 Mio. Impfdosen möglich sei.

Dieser Impfstoff würde aber gerade einmal reichen, die Hälfte der deutschen Wiederkäuer für ein Jahr zu schützen. Was mit der anderen Hälfte geschehen soll oder wie eine weitere Vermehrung und Ausbreitung der Krankheit unterbunden werden soll, ist ein Rätsel.

Die Blauzungenkrankheit wird als Seuche mit aller Härte der zur Verfügung stehenden Gesetze verwaltet. Bekämpft wird sie nicht, obwohl doch die Tierseuchenbekämpfung Verpflichtung des Staates ist.

Der Staat lässt die Tierhalter und Landwirte, und ganz besonders die Tiere, allein. Das Leiden wird also im nächsten Jahr weitergehen, wenn auch vielleicht in einem "geringeren" Ausmaß. Die Verantwortung hierfür liegt bei der Verwaltung und der Politik, die verfolgte Strategie im Zusammenhang mit der Blauzungenkrankheit ist ein Indikator für den Stellenwert der landwirtschaftlichen Tierhaltung in Deutschland. Eine Dosis Impfstoff soll laut Herstellerangaben zwischen 30 und 50 Cent kosten.

Kann sich unser Staat das nicht leisten?


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Quelle:
PROVIEH Heft 4, Dezember 2007, Seite 36-37
Herausgeber: PROVIEH - Verein gegen tierquälerische Massentierhaltung e.V.
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PROVIEH erscheint viermal jährlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum . April 2008