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INTERVIEW/023: "Immer weiter" - Gesten, Raum und Empathie ...     Gesche Groth im Gespräch (SB)


Die Schauspielerin und Theaterpädagogin Gesche Groth zum Stück "Immer weiter" am 8. Februar 2015 im FUNDUS THEATER in Hamburg


In dem Theaterstück "Immer weiter" über eine obdachlose Frau wird ein schwieriges Thema aufgegriffen, belastet mit Vorurteilen und vor allem mit Unkenntnis. Das war einer der Beweggründe für die Inszenierung des Theaterstücks "Immer weiter", konzipiert für Kinder ab 8 Jahren. Keine leichte Aufgabe für die Schauspielerin Gesche Groth, die einmal als obdachlose Frau und dann als Erzählerin eine Doppelrolle übernimmt. In dem Stück werden Kinder mit einer Lebensrealität konfrontiert, die sie, wenn überhaupt, nur aus der Ferne kennen. Durch das intensive, oft sehr emotionale Spiel, gelang es der Darstellerin, Betroffenheit, Traurigkeit, Mitgefühl, Empörung und eine Nachdenklichkeit hervorzurufen, die vielleicht über die Aufführung hinaus anhält und dazu beiträgt, mit einigen Vorurteilen aufzuräumen. Nach der Premiere am 8. Februar 2015 im FUNDUS-THEATER gab Gesche Groth, deren Arbeitsschwerpunkt im Bereich Kindertheater liegt, in einem kurzen Gespräch mit dem Schattenblick einen Einblick in ihre Vorbereitung auf die Rolle und ihre Theaterarbeit mit Kindern.


Obdachlose Frau auf der Straße mit vollbepackten Wagen - Foto: © 2015 by Andreas Schwarz

Plakatfoto von Gesche Groth als obdachlose Frau
Foto: © 2015 by Andreas Schwarz

Schattenblick (SB): Waren Sie, bevor Sie die Arbeit an dem Stück "Immer weiter" aufgenommen haben, mit der Situation Obdachloser, speziell obdachloser Frauen, vertraut?

Gesche Groth (GG): Nein, eigentlich nicht. Klar sieht man obdachlose Frauen und macht sich Gedanken. Es kommt auch darauf an, wie sie wirken, denn oft spielt Alkohol eine Rolle und ich merke, ich guck nicht mehr so genau hin. Dann gibt es die anderen Frauen, die man immer wieder sieht - ich wohne in der Nähe vom Hauptbahnhof -, die fast wie Figuren wirken, die beinahe so etwas wie eine eigene Inszenierung haben, in ihrer Kleidung, in ihrem Habitus, und die nehme ich wohl wahr als Person. Aber ich gucke anders, seit ich mich mit dem Thema beschäftigt habe.

SB: Haben Ihnen diese Eindrücke und die Recherche bei der Ausgestaltung Ihrer Rolle geholfen?

GG: Ja, auf jeden Fall. Ich fand erstaunlich, was es für Organisationen und Anlaufstellen gibt. Es entstehen Tagesrhythmen, die ganz genau getaktet sind. Morgens zwischen 7:00 und 9:00 Uhr, glaube ich, können die Schlafsachen im "Stützpunkt für obdachlose Menschen" vom Caritasverband für Hamburg e.V. [1], in der Nähe des Hauptbahnhofs, abgeben werden. Danach gibt es zu einer bestimmten Zeit Frühstück im "Café mit Herz" und am Freitagnachmittag steht in St. Georg ein Mittagessen zur Verfügung. Außerdem können Obdachlose an diesem Tag dort das Krankenmobil aufsuchen. Es ist also möglich, sich als Obdachloser einen Wochenplan aufzustellen, um die verschiedenen Angebote wahrzunehmen. Die "Kemenate" zum Beispiel ist ein Treffpunkt für obdachlose Frauen in Eimsbüttel. Zu den Frauen dort haben wir Kontakt aufgenommen, Beziehungen aufgebaut und viele Interviews geführt.

SB: Was sind die häufigsten Gründe, die Frauen in die Obdachlosigkeit drängen?

GG: Frauen landen nicht so leicht auf der Straße, weil sie sich eher Hilfe holen als Männer. Bei Männern gehört dieser Stolz noch mit dazu: 'Ich melde mich nicht und sage, ich brauche Hilfe', das machen Frauen eher und vielleicht wird ihnen auch eher Hilfe angeboten. Aber es gibt Frauen, die aus den verschiedensten Gründen auf der Straße leben. Ich glaube, daß oft psychische Probleme eine Rolle spielen, sicher auch als Folge von gescheiterten Beziehungen, Alkohol spielt eine Rolle, und daß eine Anbindung an eine Familie fehlt. Hinzu kommt die Unfähigkeit, sich mit seinen Problemen auseinanderzusetzen oder zu spiegeln und zu erkennen, daß man Hilfe braucht. Oder es ist eine Art Flucht aus dem Leben, einfach raus zu wollen - was nicht funktioniert.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Gesche Groth mit SB-Redakteurin im Gespräch
Foto: © 2015 by Schattenblick

SB: Sie haben auf Bühnen gespielt, die eher Erwachsene ansprechen. Wie sind Sie zum Kindertheater gekommen?

GG: Ich bin schon länger im Kindertheaterbereich tätig. Das war eine Entwicklung, die natürlich auch etwas mit meinen Kollegen, Freunden und einfach meinem Interesse zu tun hat. Vielleicht liegt es doch auch an meinem Sohn, denn in dem Moment, wo man ein eigenes Kind hat, wendet man sich auch diesem Bereich, dem Kindertheater, mehr zu.

SB: Ungezwungenes Spiel, ungehemmte Bewegung, nicht bewertete oder beschränkte Kreativität von Kindern fallen oft den lern- und ergebnisorientierten Beschäftigungen zum Opfer. Ist das Theater eine Möglichkeit, hier einen Freiraum zu erhalten?

GG: Auf jeden Fall kann man durch das Theaterspiel Kindern die Möglichkeit eröffnen, all das, was in ihnen steckt, zu nutzen, ihre Körperlichkeit, ihre Stimme, das Miteinander oder die Raumerfahrung.

SB: Bei "Spieltiger e.V." [2] haben Sie viele Spieleaktionen entwickelt ...

GG: Ja, das ist allerdings eine andere Art von Arbeit, ein Mischmasch aus allem, was ich mag: Menschen direkt gegenüber zu sein, sie anzuleiten, dieses Interaktive, ganz im Moment mit Kindern zu sein und dann auf die Theaterebene zu gehen und etwas einzuüben. Das heißt, man hat ein Stück, eine Geschichte, eine Figur, probt etwas mit Kindern und dann führt man es für Kinder auf. Es ist für mich schon ein buntes Potpourri im großen Kindertheaterbereich, in dem es die verschiedensten Elemente gibt.

SB: Was glauben Sie, was Kindern am Theaterspielen gefällt?

GG: Das ist einmal die Freiheit zu spielen, sich ausdrücken oder sich reinschmeißen zu dürfen, ohne daß bewertet wird und nicht so viele Vorgaben gemacht werden, die natürliche Impulse abschneiden. Man guckt, wo ist die Energie und wie kann man die ins Spiel holen.

SB: Sind Kinder eigentlich gute Schauspieler?

GG: Es kommt ein bißchen aufs Alter an. Dann ist es auch unterschiedlich, wie sich Kinder auf Übungen einlassen können. Manchmal ist es eine Frage der Konzentration oder auch der Gruppendynamik. Klar sind Kinder tolle Schauspieler!

SB: Frau Groth, vielen Dank für das Gespräch.


Anmerkungen:

[1] Der "Stützpunkt für obdachlose Menschen - Caritasverband für Hamburg e.V." am Klosterwall 4 in Hamburg bietet kostenlose Gepäckaufbewahrung, Nutzung sanitärer Anlagen, Internetnutzung und soziale Beratung für Betroffene.

[2] "Spieltiger e.V. Hamburg" leistet mit seiner Arbeit einen Beitrag zur Verbreitung einer Bewegungskultur, in deren Mittelpunkt Körpererfahrung und Kooperation stehen.


Einen Bericht über die Uraufführung und ein Interview mit der Regisseurin Christiane Richers finden Sie unter
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BERICHT/058: "Immer weiter" - verstehen trotzdem ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpb0058.html

INTERVIEW/022: "Immer weiter" - Mitgefühl und bühnenreif ...     Christiane Richers im Gespräch (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpi0022.html



5. März 2015


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