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INTERVIEW/011: Konstanze Ullmer zur Uraufführung von Kafkas "Der Bau" am 17.08.12 im Hamburger Sprechwerk (SB)


Ein ganz besonderes Stück Theater



Sinn und Zweck einer Förderung der freien Theaterszene bzw. freier Produktionen aus dem Bereich der darstellenden Kunst liegen auf der Hand. Neue Ideen kommen eben nicht nur aus großen Häusern mit teuren, ausgereiften Produktionen, sie entstehen - vielleicht sogar eher - auf der Straße, in Wohnstätten oder an Arbeitsplätzen, wo die Bewältigung von Konflikten Menschen überfordert, verunsichert und zudem häufig schmerzlich scheitern läßt. Stoff für die Kunst, die sich gerne avantgardistisch nennt und allen Trends voraus zu sein beansprucht, wächst aus den Widersprüchen alltäglicher Verhältnisse, die unleidbar sind und nach Veränderung drängen. Eine Kunstszene, die nicht darauf angewiesen ist, mit gesellschaftlich vorherrschenden Regeln Einklang vorzutäuschen, könnte nach den vielfältigen Möglichkeiten der Kunst einem potentiell umfangreichen Publikum, das mit derartigen Widersprüchen zu leben hat und sich damit auseinandersetzt, abstrakt oder konkret Zugänge weisen und freilegen, wie man sich einer Bewältigung von Zwängen annähern könnte.

Das Hamburger Sprechwerk bietet freien Künstlern Raum und Möglichkeiten zu ungewöhnlichen und innovativen, auch interdiziplinären Projekten. Mit Aufführungen aller Sparten, vom Drama über die Komödie bis hin zu Kabarett und Kindertheater, vom indischen Tanz bis zu zeitgenössischem Tanztheater, von neuer Musik über Musical bis Rock, hat sich das Hamburger Sprechwerk als Spielstätte der freien Hamburger Theaterszene etabliert.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Konstanze Ullmer
Foto: © 2012 by Schattenblick

Als wir Konstanze Ullmer, die zusammen mit Andreas Lübbers für die künstlerische Leitung des Sprechwerks verantwortlich ist, in der Spielstätte in Hamburg-Borgfelde am Abend des 17. August zum Gespräch treffen, haben sie und ihr Team gerade die beeindruckende Uraufführung von "Der Bau" nach einer der letzten Erzählungen von Franz Kafka hinter sich - mit einem ganz unglaublichen Joachim Bliese in der Rolle des Protagonisten in Jürg Amanns Ein-Personen-Stück, in dem Frau Ullmer auch Regie führte.

Schattenblick (SB): Es war zu lesen, daß Joachim Bliese selbst mit dem Wunsch an das Sprechwerk herangetreten ist, Kafkas Stück in der Fassung von Jürg Amann hier und nirgendwo anders zur Aufführung zu bringen. Was wissen Sie über die Gründe?

KU: Ich weiß, daß Joachim seit ungefähr acht Jahren dieses Stück mit sich herumträgt. Nun ist es aber so, daß es bei den Theatern, an denen er hauptsächlich arbeitet, nicht in den Spielplan paßt. Das kann man nicht beim Ohnsorg spielen und auch beim Ernst-Deutsch nicht unbedingt. Ich kenne Joachim Bliese seit ungefähr 25 Jahren, weil er einmal mein Schauspiellehrer auf der Fritz-Kirchhoff-Schule war. Das hat zwar mit der jetzigen Zusammenarbeit nichts zu tun, nur ist vielleicht so eine Art Grundvertrauen da. Der Kontakt kam eigentlich über den Oberspielleiter vom Ohnsorg-Theater, Frank Grupe, zustande. Der hatte 2010 unter meiner Regie "Knut und Will" gespielt. Auch Frank ist so ein Mensch, der gerne mal was anderes macht als Ohnsorg. Er ist ja auch Schauspieler, nicht nur Regisseur. Wir haben ihn kennengelernt, weil er das Beckett-Solo, "Ein Stück Monolog" bei uns zur Premiere bringen wollte. Dadurch kennt Frank Grupe das Sprechwerk als einen Ort, wo man so etwas machen kann. Zwei Jahre später hat er dann unter meiner Regie "Knut und Will" gespielt und mich als Regisseurin kennengelernt; das muß ihm anscheinend gefallen haben. Denn als der Joachim auf ihn zukam: "Ich hab' hier einen tollen Text, ich weiß nicht, wo ich den aufführen soll", da sagte er: "Geh doch mal zur Konstanze und zum Sprechwerk". Und so kam das zustande.

SB: Und wie ist Ihre Beziehung zu Herrn Amann?

KU: Wir haben uns heute das erste Mal gesehen, aber vorher miteinander telefoniert. Das war sehr interessant, weil er nämlich unter dem Eindruck von 9/11 auf die Idee gekommen ist, diesen Text, der sich um Verfolgungswahn dreht, zu dramatisieren. Damals hat Amerika ja in fast jedem bärtigen Menschen, der irgendwo aus Arabien kam, gleich einen Terroristen gesehen, da sind die unsinnigsten Sachen zustande gekommen. Das war der Background.

SB: Das Stück ist ja eigentlich sehr ernst, im Publikum wurde es aber offensichtlich als unterhaltsam empfunden.

KU: Das haben wir extra so gemacht. Joachim legte zwar starken Wert darauf, daß es keine Komödie wird, denn es ist natürlich ein ernstes Thema, aber ich finde, daß man auch über solche Sachen lachen darf. Ich muß da immer an Dario Fo denken, der sinngemäß einmal gesagt hat: "Wenn die Leute ein Drama oder eine Tragödie sehen, dann heulen sie in der Vorstellung, gehen nach Hause und sagen, 'Hach, was habe ich schön geheult', und vergessen es. Wenn aber die Leute lachen über ein ernstes Thema, dann gehen sie mit Nägeln in den Köpfen nach Hause." Und er plädierte eher für die Nägel in den Köpfen. Das Stück ist ja absurd und von Kafka natürlich auch so gemeint. Und über Absurdes muß man auch einfach lachen dürfen - das macht es nicht weniger wahr!

Foto: © malzkornfoto/Hamburg

Joachim Bliese
Foto: © malzkornfoto/Hamburg

SB: "Der Bau" ist ein ganz besonderes Stück Theater in einem ganz besonderen Theater. Können Sie uns kurz etwas über die Geschichte des Sprechwerks erzählen?

KU: Das Sprechwerk ist 2004 von Andreas Lübbers eröffnet worden, ich bin kurz danach mit der ersten Produktion dazugestoßen. Ursprünglich hatte Andreas - er ist von Hause aus Dramaturg - eine freie Gruppe unter dem Namen Hamburger Sprechwerk, hatte hier und da ein paar Aufführungen zustandegebracht und ist darüber auf Sebastian Hellwig gestoßen, den Geschäftsführer des Bühnenwerks, einer Schule für Veranstaltungstechnik. Der war früher technischer Leiter bei "Buddy - das Musical" und als das zumachte, hat er ganz viel Technik von da und dort zusammengekauft und eine Schule für Veranstaltungstechnik hier in diesem Gebäude gegründet. Unsere Bühne ist eigentlich vom Bühnenwerk gebaut worden. Zwei Jahre später lief ihm dann Andreas über den Weg, der feststellte, daß hier ein voll eingerichtetes Theater stand, das aber nur zu Schulungszwecken benutzt und überhaupt nicht bespielt wurde.

Und dann hat Sebastian, der ein sehr theaterfreudiger Mensch ist, zu Andreas gesagt: "Mensch, versuch doch mal Dein Glück hier!" Ohne Sebastian Hellwig gäbe es das Hamburger Sprechwerk nicht. Hätten wir damals noch die volle Miete zahlen müssen, wäre es nicht möglich gewesen. Eröffnet wurde 2004 und kurz danach bin ich dazu gestoßen. Ich bin eigentlich ausgebildete Schauspielerin, habe jahrelang gespielt und dann Kulturmanagement studiert. Direkt nach meinem Studium habe ich als Produktionsleiterin ein Jugendmusical gemacht. Dabei bin ich über Andreas und sein gerade eröffnetes Sprechwerk gestolpert. Er sagte: "Super, Euer Musical nehmen wir als Weihnachtsmärchen rein!" und fand das ganz toll, während ich ein wenig skeptisch war, ob das an einem nicht etablierten Spielort wohl funktioniert. Aber Andreas besitzt die Fähigkeit, andere mit seiner Euphorie anzustecken und dann haben wir das Musical hier aufgeführt. Manchmal waren oben auf der Bühne mehr Leute als unten, aber ich habe gesehen, ich bin hier an der richtigen Stelle und bin einfach nicht mehr weggegangen.

SB: Ist der Name Sprechwerk Programm?

KU. Nicht ganz. Wir kommen zwar beide vom Sprechtheater, weil wir aber eine riesige Bühne haben und auch sonst alles, was man braucht, um Tanz zu machen, hat es sich einfach so entwickelt, daß auch die Hamburger Tanzszene hier ganz stark vertreten ist.

An der Kasse des Sprechwerks - Foto: © 2012 by Schattenblick

Leere Kassen - nicht nur ein Problem der Freien Theater
Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Das Sprechwerk ist Teil der freien Theaterszene Hamburgs, die sich, nach ihrem Selbstverständnis, durch den Anspruch auszeichnet, nur der Kunst verpflichtet zu sein.

KU: Freedom's just another word for nothing left to lose.

SB. Inzwischen werden auch Sie von der Kulturbehörde Hamburgs gefördert. Welchen Preis bezahlt ein freies Theater für ein bißchen finanzielle und damit Planungssicherheit?

KU: Sie meinen, ob wir deswegen unsere künstlerischen Ideale aufgeben müssen? Nein, überhaupt nicht. Ich bin für die Förderung sehr dankbar und die ist an keinerlei Verpflichtung gebunden. Sie hilft uns zu existieren. Die ersten fünf Jahre haben wir keine Förderung bekommen und haben das Ganze nur auf Selbstausbeutungsbasis gemacht. Ich hab damals Erziehungsgeld bekommen und konnte dadurch überleben. Die ersten zwei Jahre habe ich kein Geld verdient, genauso wie viele andere, die hier mitgearbeitet haben, seien es die 1-Euro-Jobber, die vom Arbeitsamt bezahlt worden sind, oder viele, die es aus Liebe zur Kunst gemacht haben. Freie Szene ist immer Selbstausbeutung. Und es ist toll, daß die Stadt Hamburg das auch so sieht: Wer eine lebendige Kulturszene haben will, sollte dann auch Geld investieren.

SB: Was hat es mit dieser Jury auf sich, der man die Stücke vorstellt und die dann entscheidet, was gefördert wird und was nicht?

KU: Es gibt einmal einen Fördertopf für Privattheater für Projekte, die diese sich sonst nicht leisten könnten und es gibt einen Topf für die freie Szene. Das sind zwei unterschiedliche Töpfe, die oft verwechselt werden. Wir haben für "Der Bau" eine Förderung aus dem Privattheaterprojekt-Fördertopf bekommen.

Es bewerben sich natürlich immer mehr Leute - für welchen Topf auch immer -, als Gelder da sind. Also muß irgend jemand entscheiden und die Entscheidung kann ja nur eine künstlerische sein. Deshalb sitzen Leute in der Jury, die Ahnung von Theater und möglichst wenig mit den Förderantragstellern zu tun haben, Journalisten etwa - in unserem Fall war Elisabeth Burchhardt vom NDR Mitglied der Jury und auch jemand vom Schauspielhaus und von der Volksbühne.

SB: Die Jury hat aber der Hamburger Senat bestimmt?

KU: Ja, die Kulturbehörde.

SB: Und haben Sie auch schon mal die Erfahrung gemacht, daß ein Stück, was Ihnen am Herzen lag, abgelehnt wurde?

KU: Natürlich. Da haben wir uns natürlich gewehrt, aber erfolglos. Eine Jury ist eine Jury und letzten Endes muß man es akzeptieren.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Foto: © 2012 by Schattenblick

SB: Bringen Sie solche Stücke dann trotzdem in der alten Manier der Selbstausbeutung auf die Bühne oder verzichten Sie eher darauf?

KU: Es kommt darauf an. Wir haben bis jetzt die Stücke, die wir beantragt haben und die abgelehnt wurden, dann auch nicht gemacht. Aber wir haben andere Stücke realisiert, wo wir gar nicht erst um Förderung nachgefragt haben. Ich habe zum Beispiel eine Westernkomödie produziert, eigentlich eine Farce von zwei Bergedorfer Autoren, weil ich die einfach total lustig fand. Es hat unheimlich viel Spaß gemacht, war aber super anstrengend und ich bin mit einem Minus rausgegangen. Letzten Endes ist es sehr schwer, kostendeckend zu arbeiten, selbst wenn man eine Komödie macht, die leichter Publikum anzieht und die groß in der Presse steht. Es ist nicht einfach.

Ich hätte gerne - das erzähle ich jedem, der es nicht hören will - ein Abo für die freie Szene. Jeder, der Geld für eine freie Produktion kriegt, fängt ja neu an, die Trommel in der Öffentlichkeit zu rühren. Hätte man eine zentrale Stelle, die alle Produktionen unter ihre Fittiche nimmt, die zumindest den geförderten Produktionen eine einheitliche Pressearbeit ermöglicht und ein Abo-Büro für Zuschauer hat, die gern mal über den Tellerrand gucken und nicht immer nur die großen Theater sehen, sondern sich bewußt auf die freie Szene einlassen wollen, und jetzt einmal zehn Gutscheine für freie Produktionen kaufen - das fände ich super, denn dann wäre der Laden voll. Nicht nur unserer, sondern auch anderswo, die freie Szene sucht sich ja auch gerne andere, spannende Spielorte.

SB: Der Zusammenschluß einiger freier Theater in der Hansestadt im "Hamburg off" - wäre diese Organisation nicht eine Möglichkeit, so etwas ...

KU: Ich finde eigentlich nicht, daß so etwas nur theaterübergreifend sein sollte, sondern es sollte für alle freien Produktionen gelten, egal, wo die dann stattfinden, nicht nur an unseren Theatern, sondern auch im Hafen oder in den Grindelhochhäusern oder wo auch immer schon Sachen stattgefunden haben.

SB;: Wie viele Off-Theater liegt auch das Sprechwerk "etwas ab vom Schuß" an der Peripherie. Was macht Borgfelde mit dem Theater und was macht das Sprechwerk mit diesem Stadtteil?

KU: Ich glaube, wir bereichern Borgfelde auf jeden Fall. Wir denken immer mal wieder darüber nach umzuziehen, weil das Umfeld hier zwar kultig ist, aber nicht wirklich toll. Die Eingangssituation ist schon schwierig, daß uns die Vermieter ein Schiff vor die Tür gestellt haben, daß die Werkstatt alle Parkplätze gemietet hat. Jeder, der auf den Hof fährt, muß sich mit der Werkstatt auseinandersetzen, ob er hier mal eben einen Brief abgeben darf. Es gibt Schöneres. Und ab und zu regnet es durch.

SB: Frau Ullmer, vielen Dank für das Gespräch.

'Parkendes' Schiff vor dem Sprechwerk - Foto: © 2012 by Schattenblick

Erschwerter Zugang
Foto: © 2012 by Schattenblick


siehe auch:
BERICHT/039: Uraufführung von Kafkas 'Der Bau' im Hamburger Sprechwerk (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpb0039.html

INTERVIEW/012: Joachim Bliese zu Jürg Amanns Bühnenfassung von Kafkas "Der Bau" (SB)
https://www.schattenblick.de/infopool/theater/report/trpi0012.html


23. August 2012