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BERICHT/110: demut vor deinen taten baby - wie das Leben so spielt ... Theater Die Komödianten Kiel (SB)


Nicht zeitlos, sondern zeitgemäß schreiben, das hat sich die Dramatikerin Laura Naumann, 1989 in Leipzig geboren und mehrfach für ihre Arbeiten ausgezeichnet, auf die Fahnen geschrieben. "Ich will ja keinen Text schreiben, der in 500 Jahren noch gültig ist, sondern ich hoffe eigentlich, daß sich die Welt in 500 Jahren so radikal verändert hat, daß es meine Texte wirklich nicht mehr braucht." Sie versuche, "an etwas dran zu sein, was jetzt, genau jetzt ist.", wirft Fragen auf, wie wir als Menschen auf diesem Planeten zusammen leben wollen und auf die Umstände einwirken können, die aus ihrer Sicht für die meisten Menschen inakzeptabel sind. [1]

Um Veränderung, sprich Verbesserung der Welt geht es auch in ihrem 2012 entstandenen Stück demut vor deinen taten baby, das am 20. Februar 2020 beim Theater Die Komödianten in Kiel Premiere hatte. Aus der Gefahr eines Terroranschlages soll ein Instrument zum Glücklichsein und Miteinander werden, die Mittel dazu sind radikal - und zeitgemäß.


Die drei Schaupielerinnen auf der Bühne simulieren das Hocken bzw. Stehen in nebeneinander liegenden Klokabinen. Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Eingeschlossen auf der Toilette eines Flughafens v.lks.: Bettie (Rafaela Schwarzer), Lore (Marie Dollenberg) und Mia (Anke Pfletschinger)
Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Auf der Toilette eines deutschen Flughafens werden drei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, wegen eines Bombenalarms eingeschlossen: Bettie, die der Frustration ihres Liebeslebens mit einem pornogeilen Jungen, "denn ein Mann ist er nicht", mit nur vorgetragener Toleranz zu begegnen versucht, Lore, die nahezu alles in Kauf nimmt, um ihrer religiösen Familie zu entrinnen und die vom Erfolg und von kollektiver Christenverbrennung träumt und Mia, die in ihrer Phantasie im wilden Westen mit einem sprechenden Pferd lebt und für die Schießen das Mittel der Wahl ist: "Einfach schießen, wenn es mit den Worten nicht klappt. Und das tut es ja meistens nicht."

Unter der Bedrohung des Terrors und der gemeinsam durchlebten Todesangst nähern sich die drei an, und als Entwarnung gegeben wird, sind aus den Einzelgängerinnen beste Freundinnen geworden, an die Stelle von Unzufriedenheit, Einsamkeit und Lebensflucht tiefste Glücksgefühle getreten.

Um dieses Glück in die Welt hinauszutragen und auch andere daran teilhaben zu lassen, beschließen die Frauen, fortan als Trio eben solche Terroranschläge zu fingieren. Sie tragen zusammen, was jede Einzelne zu bieten hat: Bettie ein dominantes, unerschrockenes Auftreten, Mia Waffenkenntnis und Lore Gewissenlosigkeit. Die ersten Schauplätze sind schnell ausgemacht: Clubs von Betties Ex-Lovern, mit denen frau sowieso noch abzurechnen hatte. In Camouflage-Kampfkleidung, gut trainiert und mit Schußwaffen ausgerüstet starten sie ihr Projekt, in dem der Terror allen Menschen zu Gute kommen soll - und haben Erfolg.

Das nächste Ziel, ein Supermarkt, ist dann aber doch eine Nummer zu groß. Die Polizei rückt an, aber statt einer Verhaftung warten auf die drei zwei ältere Herren, die sie und ihr Projekt engagieren für Schulen, Weihnachtsmärkte, Krankenhäuser oder auch mal einen Wahlkampf - gegen ein angemessenes Gehalt natürlich und eine eigene Sekretärin. Aus anarchisch Agierenden werden Marionetten der Mächtigen.

Die Kieler Inszenierung konfrontiert die Zuschauer mit einer Textmenge und -dichte, die gefühlt den Rahmen von tatsächlichen 75 Minuten, die das Stück dauert, deutlich sprengt. Die Fülle von Ereignissen und Erzählsträngen, die Sprünge von Zeit und Räumlichkeit gelingen nachvollziehbar in einer rasanten Abfolge und schnellen Wechseln von Sprech- und Spielebene. Anke Pfletschinger, Rafaela Schwarzer und Marie Dollenberg, die sowohl ihre Figuren spielen als auch die Geschichte erzählen, bewältigen diese Herausforderung an Flexibilität, Präzision und Rollenswitch auf beeindruckende Weise.


Die drei Freundinnen schreiend und mit erhobenen Fäusten - Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Kämpfen für eine bessere Welt: Lore, Bettie und Mia
Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Die Utopie Schönere Welt scheint sich zu erfüllen, die Menschen verlieren ihre Zukunftsängste, hören auf zu arbeiten, konsumieren mehr und widmen sich Wohlgefühl und Wellness, kündigen ihre Versicherungen und haben einfach Spaß.

Der wachsende Erfolg hat jedoch einen Haken: Er gefährdet das System. "Zeit für was Richtiges!", beschließen die neuen Arbeitgeber deshalb und ordnen einen echten Anschlag an. Und so wird anläßlich eines Länderfußballspiels Italien-Deutschland statt mit Platzpatronen scharf geschossen. Das Volk soll gezwungen werden, wieder Versicherungen abzuschließen. Es bedarf allerdings einiger drastischer Maßnahmen, um das Publikum von der Ernsthaftigkeit der Bedrohung zu überzeugen, ist das Trio doch inzwischen bekannt und genießt eher Kult- als Terrorstatus. Über die Frage, wie weit frau gehen darf, kommt es zum Zerwürfnis, treten Feindseligkeiten zutage, die bislang kein Thema waren und am Ende sind alle drei Protagonistinnen tot.


Ivan Dentler im Halbprofil - Foto: © 2020 by Schattenblick

Regisseur Ivan Dentler im Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2020 by Schattenblick

Das habe ihn gereizt, sagt Regisseur Ivan Dentler im Gespräch mit dem Schattenblick, "es gibt keine Satzzeichen in dem Stück und es legt schon beim Lesen ein gewisses Tempo vor. Und dann fand ich die Story natürlich total abgefahren: Drei Frauen, die durch einen vermeintlichen Terroranschlag eine Nahtoderfahrung machen, dadurch der Tragik ihres Lebens entkommen, eine Freundschaft und einen neuen Lebenssinn finden und dann eben die Idee haben, allen dieses Glück zu bringen durch Fake-Terroranschläge. Das war einfach abgefahren und witzig, aber auch sehr aktuell: Was daraus entstehen kann, wenn man meint, für andere das Beste zu wissen und das dann durchsetzen will."

Daß die Inszenierung auf Requisiten weitgehend verzichtet und diese immer wieder durch pantomimische Mittel gekonnt ersetzt, konzentriert den Fokus umso mehr auf Text und Darstellung wie auch das Bühnenbild, schlicht nur aus 5 beleuchteten Stellwänden bestehend, Platz schafft für eine variantenreiche Choreografie, nahtlose Übergänge und die Phantasie der Zuschauenden.

Natürlich paßt es zu einem surrealen Plot, daß sich die drei Frauen nach ihrem Tod auf der Bühne aufrichten und die Geschichte zu Ende erzählen. Daß erst Erstaunen herrschte, dann Applaus und dann Versicherungen unterschrieben wurden. Daß eine Gedenkstätte errichtet wurde und die drei ins Wachsfigurenkabinett kamen - trotz oder gerade wegen ihres Scheiterns?

"Utopien müssen scheitern" - sagt Mias Pferd, das sei schon im Wort so angelegt. Aber was wären wir ohne sie? Gehören Angst und Bedrohung zum Glück wie das Salz in die Suppe? Darf man das Thema Terrorismus zum Gegenstand von Unterhaltung machen? Und das einen Tag nach dem Anschlag von Hanau? Darf man fragen, wann was Terrorismus ist und wer die Deutungshoheit darüber hat?

"Lore: Eine Stimme sagt: Dieser Koffer sieht aus wie der eines islamistischen Terroristen. - Mia: Eine Stimme sagt: Oder wie der eines studentischen Terroristen. - Bettie: Eine Stimme sagt: Oder wie der eines amerikanischen Terroristen. - Mia: Das gibt es doch gar nicht!"


Lore mit Sprengstoffgürtel unter der aufgerissenen Jacke - Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Ernst machen
Foto: © 2020 by Thomas Eisenkrätzer

Kunst hat die Möglichkeit, wenn nicht die Pflicht, alles zum Thema zu machen, was uns unter den Nägeln brennt, und dabei die Freiheit, Denkklischees gegen den Strich zu bürsten. Das ist Laura Naumann mit diesem Stück gelungen, das mit dem Begriff Action-Komödie, den Regisseur Ivan Dentler dafür geprägt hat, treffend, aber nicht ganz vollständig beschrieben ist, steckt neben dem rasanten Ablauf und den komischen Momenten doch auch mehr Ernst darin, als es zunächst den Anschein haben mag. Ein sehr inspirierendes Stück, in manchmal leisen, meistens lauten Tönen und einer drastischen Sprache, die keine Moral bereithält, untermalt mit starken Rhythmen, atemlos, dabei ohne jede Hektik inszeniert, bravourös und präzise gespielt. Kurzweilig und auch theaterhandwerklich ein Genuss.

demut vor deinen taten baby gibt es noch bis zum 4. April 2020 an jedem Freitag und Samstag im Theater Die Komödianten in Kiel jeweils um 20 Uhr. Absolut sehens- nein besser, erlebenswert!


Anmerkung:

[1] Interview mit Laura Naumann anläßlich der Autorentheatertage 2018 in Berlin
https://www.youtube.com/watch?v=toPkCGzDqDA


3. März 2020


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