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BERICHT/101: Auflehnung - gezieltes Streben ... (SB)




Die in eine Toga gekleidet Figur des Pentheus deklamiert, rechts und links zwei Tänzerinnnen im Sprung mit in den Ellbogen hochgezogenen Armen und gesenkten Köpfen - Foto: © Jakob Schnetz

Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen
Foto: © Jakob Schnetz

Premiereabend im Lichthof Theater Hamburg. "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen", so der Titel der Aufführung. Mehr als zwei Stunden lang intensiver körperlicher Einsatz von drei Schauspielerinnen und einem Schauspieler. Stets volle Konzentration, ob in der Gebundenheit der klassischen Vortragsform oder der Spontaneität der Improvisation. Tanz und Theater, Theater und Tanz, mal im fließenden Übergang, mal als harter Schnitt, oder auch beides gemischt. Texte und Ausdrucksformen der traditionellen ebenso wie des postmodernen Dramas in zwangloser Abfolge.

Was von dem Regisseur Henri Hüster an literarischen Quellen verschiedener historischer Epochen zusammengestellt und von Vasna Aquilar, Julia Franz Richter, Pauline Stöhr und Lukas Gander aufs Lebhafteste in Szene gesetzt wurde, ließ trotz aller Buntheit des Wechselspiels doch stets den thematischen roten Faden erkennen: die Schwierigkeit nein zu sagen.

Der Titel dieses in einem Freien Theater aufgeführten Stücks ist dem gleichnamigen Essay des Religionsphilosophen Klaus Heinrich (geb. 1927) entlehnt. Mit seinen 218 Seiten langen Aus- und Einlassungen hatte sich der frühere studentische Mitbegründer der Freien Universität Berlin im Jahr 1964 habilitiert. Hüster hat nun, über weite Strecken losgelöst vom Essay, diesen jedoch als Ausgangspunkt und wiederkehrendes Motiv gewählt, um verschiedene Konstellationen des Neinsagens zu den gesellschaftlichen Bedingungen durchzuspielen.

Zur Einstimmung erfahren wir etwas über jemanden, der nicht nein sagen möchte und sich mit allem und jeden identifiziert: "Aber er kann sich nicht mit allem und jeden identifizieren", heißt es da, den Essay zitierend. Und weiter: "Nicht-Identität, freiwillig auf sich genommen, soll vor dem Identitätsverlust bewahren. Der Opfernde kommt den Zwängen zuvor. Doch auch er entrinnt nicht den Zwängen (...) Kann der Sich-Identifizierende seine Identität bewahren? Kann der Sich-nicht-Identifizierende sie vor dem Zerreißen retten? Neinsagend zur formzerstörenden Vielheit der Formen sucht er vergeblich nach einer Form, die ihn vor formzerstörender Formlosigkeit bewahrt."

Wuchtige Worte, einem insgesamt nicht minder sprachgewaltigen Werk entlehnt, die zu reflektieren ganz und gar dem Publikum überlassen bleibt. Das ist denn auch ein durchgängiges Merkmal dieser Aufführung. Es wird nicht analysiert, sondern präsentiert. Es wird eine Fläche geschaffen, auf der, einem Buffet gleich, nebeneinander gestellt allerlei literarische Leckereien dargeboten werden, von denen man sich wie's beliebt bedienen kann, aber es nicht muß. Offensichtlich hat der Regisseur nicht beabsichtigt, eine Gewichtung oder Bewertung vorzunehmen. So stehen Zitate unter anderem aus Bertolt Brechts "Das Leben des Galilei", Rainald Goetz' "Krieg", Elias Canettis "Der Ohrenzeuge", Alice Birchs "Revolt. She Said. Revolt Again." und Roberto Bolanos "Amuleto" neben Aussagen aus Euripides' Tragödie "Die Bakchen" über Pentheus, den König von Theben, und den vielfältigen Sinnesfreuden zugeneigten Dionysos.


Paarweise im Tanz, alle vier dicht nebeneinander - Foto: © Jakob Schnetz

Sorgten für eine dynamische Aufführung: (Von links) Pauline Stöhr, Julia Franz Richter, Vasna Aquilar und Lukas Gander
Foto: © Jakob Schnetz

Indem Hüster einen Bogen von der Antike bis in die Gegenwart spannt, greift er das Sujet des von alters her geltenden Ringens des Menschen mit den gesellschaftlichen Bedingungen auf, denen ein Nein entgegengehalten wird - ein Ringen, das in mancher Lesart zugleich mit dem eigenen Selbst und der Rolle, in die sich ein jeder und jede in der Gesellschaft einfindet, geführt wird. Daß sich von dieser Rahmensetzung nicht jede der zitierten Textstellen fassen läßt, notwendigerweise fassen lassen muß, könnte man wiederum als Charakteristikum dieses Stücks bezeichnen. Es ist mit Absicht in viele Richtungen offen.

So ist das Nein, das in der griechischen Sage Pentheus gegenüber den Ausschweifungen des blondgelockten Dionysos, den festzusetzen er befiehlt, kraft seiner Stellung durchzusetzen sich bemüht, von seinem Ausgangspunkt, seiner Absicht und den Konsequenzen her ein vollkommen anderes Nein als beispielsweise das Nein der Ulrike Meinhof, die in der Aufführung mit den Worten zitiert wird: "Protest ist, wenn ich sage, das und das paßt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß das, was mir nicht paßt, nicht länger geschieht. Protest ist, wenn ich sage, ich mache nicht mehr mit. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, daß alle andern auch nicht mehr mitmachen." (aus: "Vom Protest zum Widerstand", konkret, Mai 1968).

Die bestehende Hierarchie mit ihm als Herrscher zu sichern, wie es Pentheus' Anliegen ist, oder sich wie dessen Widersacher Dionysos in den gesellschaftlichen Verhältnissen aufs Lustvollste einzufinden, ist gewiß nicht gleichzusetzen mit der Protest und widerständige Verweigerung überwindenden Konsequenz, die jene im Jahre 1968 noch für die"konkret" schreibende Journalistin Meinhof gezogen hatte, als sie zu der Einsicht gelangt war, daß die vorherrschende gesellschaftliche Wirklichkeit nicht allein journalistisch aufs Korn genommen werden darf, sollte Widerstand nicht genau wieder in jenes etablierte System münden, gegen das sie angeschrieben hatte.

In dem Theaterstück "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" werden die aus dem Nein hergeleiteten Lebensentwürfe im wesentlichen verworfen. Da wird zum Beispiel der zunächst mit Zuversicht vorgetragene Satz, "am besten wäre ein autoritärer Herrscher, der ganz gut ist und lieb und ordentlich", immer nachdrücklicher und schriller wiederholt, so daß die Verzweiflung hinter dieser etwas naiven Vorstellung hervortritt. Schließlich kann es keinen Herrscher ohne diejenigen geben, die beherrscht werden - also als positiver Gesellschaftsentwurf von zweifelhafter Tauglichkeit.

Wobei an dieser Szene deutlich wird, wie gut sich Tanz und Theater ergänzen können, verloren doch die Bewegungen der Vortragenden, die sich einen autoritären Herrscher wünschte, Schritt für Schritt ihre Anmut und Leichtfüßigkeit. Gelungen war auch das Bühnenbild, das von vier riesigen Schaumstoffwänden dominiert war, die als Bestandteil der Inszenierung von den Schauspielerinnen und dem Schauspieler mal hierhin und mal dahin geschoben wurden und das Geschehen unaufdringlich zu unterstützen vermochten. Aufgerichtet bildeten sie ein unüberwindliches Hindernis, flach auf den Boden gelegt eine bequeme Lagerstatt, übereinandergestapelt eine zu erklimmende Anhöhe.

Selbst die gegen Ende des Stücks beschworene Liebe hält nicht, was sie verspricht. Wenngleich der Wunsch, dem Nein ein Ja gegenüberzustellen, als Möglichkeit der Problemlösung aufrechterhalten bleibt, wird nicht näher ausgeführt, worauf die vielbeschworene Liebe denn eigentlich hinauslaufen soll.


Installation mit aus Klebestreifen gebildeten Schriftzug #JA ZUM NEIN und einem Protestplakat mit der Aufschrift WIR SIND VIELE - JEDE*R EINZELNE VON UNS - Foto: © 2019 by Schattenblick

Ohne Worte
Foto: © 2019 by Schattenblick

Zu den eindrücklichen Szenen gehörte, als die Tanzenden von einer dynamischen, vorantreibenden Musik bewegt werden, mit den Gliedern zuckend und Verrenkungen vollführend. Da gelang es einer Tänzerin, neinsagend sich der Vorherrschaft des Rhythmus zu entziehen. Sie kommt zur Ruhe, bemerkt, wie von fremden Kräften gesteuert sich die anderen bewegen, und ruft ihnen ein Nein und nochmals Nein zu. Niemand reagiert, alles zuckt und wird geschüttelt wie zuvor. Da umklammert die besonnene Tänzerin eine der anderen und versucht auf diese Weise, sie aus der Gefangenschaft der krampfenden, von der Musik stimulierten Muskulatur zu befreien. Vergeblich. Nicht nur das zuvor gesprochene Nein scheitert an den Bedingungen, sondern auch der Versuch eines direkten motorischen Übertrags der eigenen, beruhigten Bewegung auf die unkontrollierte Bewegung der anderen.

Wer das Wort "Nein" in die Google-Suchmaschine eingibt, erhält 230.000.000 Einträge. Nicht ganz so viele Neins bietet das Stück "Versuch über die Schwierigkeit nein zu sagen" an. Obwohl sich Hüster bemüht, all die vielen Neins vorurteilungsfrei nebeneinander zu stellen, nimmt er bereits durch die Textauswahl für sein literarisches Remix eine unverkennbare Gewichtung vor. Zweifellos hat das Jahr 1968, das eine Chiffre für die Antihaltung der damals aufbegehrenden Generation ist, das besondere Interesse des Regisseurs geweckt. Das Stück endet mit einem Zitat aus Alexander Kluges zweiten Film "Die Artisten in der Zirkuskuppel: ratlos" (1968). Mit dem variantenreich vorgetragenen Satz, "die Utopie wird immer besser, während wir auf sie warten", und der daraus abgeleiteten direkten Aufforderung, "auf Sie warte ich", werden über gut zehn Minuten hinweg einzelne Zuschauerinnen und Zuschauer aus den Reihen herausgepickt und auf die Bühne gebeten. Es bleibt der eigenen Deutung überlassen - und einen solchen Ansatz trägt das Stück konsequent bis zum Schluß durch -, anzunehmen, daß damit die Distanz zwischen Aufführenden und Zuschauenden aufgehoben werden soll.

An welchem Leisten eine Utopie als "besser" oder "schlechter" zu messen sei, wie Kluge es der Filmfigur Leni Peickert in den Mund legt, erschließt sich dem Rezensenten allerdings nicht. Daß ein Mensch gut beraten ist, ausgerechnet zu warten, bis irgend etwas geschieht, das auf ihn Einfluß hat, widerspricht manchem tatkräftigen Nein aus den verwendeten Zitaten doch wohl sehr. So bleibt abschließend anzumerken, daß nicht wegen, sondern trotz der inhaltlich nicht zu deckenden Gleichsetzung von Zitaten unterschiedlichster Intention und entgegen des Postulats einer "Schwierigkeit nein zu sagen", das bereits in Heinrichs Essaytitel auf Ambivalenz schließen läßt, das Nein, verstanden als entschiedene Verneinung und Bestreiten des Gegebenen, noch immer genügend Unbehagen hinterläßt, um beim Publikum Fragen wachzurufen, die über die Aufmerksamkeitsspanne des bloßen Augenblicks hinaus haften bleiben können. In dem bevorzugten, von An- statt Auflehnen bestimmten gesellschaftlichen Dasein besteht für solch ein überaus lebensbejahendes Nein gar nicht erst der Platz.


Mit Leuchtschrift versehene Außenfassade - 'Lichthof Theater' im 2. Obergeschoß unterhalb von 'Kampfkunst' und 'Bildkunst' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Turm der Lebenskünste - Kampf, Kultur und Kreatives unter einem Dach
Foto: © 2019 by Schattenblick


VERSUCH ÜBER DIE SCHWIERIGKEIT NEIN ZU SAGEN
Lichthof Theater Hamburg
Von und mit: Vasna Aguilar, Julia Franz Richter, Lukas Gander, Pauline Stöhr
Bühne: Lea Burkhalter
Kostüm: Marie Sturminger
Dramaturgie & Produktionsleitung: Lena Carle, Leila Etheridge
Regieassistenz & Kommunikation: Christine Grosche
Bühnenbildassistenz: Tim-Aaron Wiebe
Lichtdesign und Technik: Sönke C. Herm
Konzept, Regie: Henri Hüster


14. Januar 2019


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