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BERICHT/076: Mondscheintarif im Theater Die Komödianten in Kiel - Die Schöne und der Arzt ... (SB)


Premiere von Ildikó von Kürthys Komödie Mondscheintarif in Kiel am 10. November 2016

Vom Glück und Elend des Wartens


Die Tage, als das Telefonieren von der Uhrzeit abhing, weil man günstiger nach 18:00, noch besser ab 22:00 Uhr zum sogenannten Mondscheintarif mit seinen(m) Liebsten Gespräche ohne Ende führen konnte, gehört angesichts von Handymania und Freeflats längst der Vergangenheit an.

Ebenfalls auf dem Müllhaufen der Geschichte vermutete man respektive frau Zuschreibungen an das weibliche Geschlecht, nachdem der Sinn eines Frauenlebens darin erschöpft ist, sich für den Mann optimal zu präsentieren und dafür ggf. zu malträtieren, Problemzonen zu verstecken und Brüste mittels Wonderbra oder Schlimmerem ins rechte Licht zu heben. Bildungsbestrebungen und anderweitige intellektuelle Anstrengungen richten sich allenfalls darauf, den Mann zu beeindrucken und in Gesprächen auf unterhaltsame Weise mithalten zu können.

Alles Schnee von gestern? - Weit gefehlt.

Folgt man den Ausführungen von Ildikó von Kürthy ("Ich stehe dazu, dass ich mich für meine Oberschenkel mehr interessiere als für Weltpolitik.") in ihrem Erstlingsroman Mondscheintarif, so focussiert sich - allen Frauenbewegtheiten zum Trotz - weibliches Problembewußtsein in erster Linie auf das andere Geschlecht und den Umgang damit. Fernab von jeglicher Berührung mit Hunger, Krieg und Krisen ist die "verwirrte moderne Frauenseele" (Der Spiegel) von heute vor allem mit Selbstoptimierung und Fettverbrennung beschäftigt, die Emanzipation beschränkt sich darauf, daß man Skype zwar nicht einrichten kann, aber weiß, wie man den Techniker dafür bezahlt. Eine Lektüre der Zeit taugt bestenfalls als Vorbereitung auf ein Rendezvous und der Deutschlandfunk als Hintergrundkulisse für Telefonate, bei denen frau intellektuellen Eindruck schinden will.

Die Tatsache, daß die Autorin mit ihrem Buch, das 2001 auch für das Kino verfilmt wurde, eine Millionenauflage erreichte, zeugt davon, daß man diese Einstellung zwar ärgerlich finden, nicht aber so leicht ignorieren kann. Leserinnen lobten, daß frau "im Laufe der Geschichte immer stolzer darauf (wird), eine Frau zu sein, mit all den Macken, Manien und Fehlern, die wir weiblichen Geschöpfe nun mal haben."

Die Premiere des nach dem Roman benannten Theaterstücks am 10. November im Theater der Komödianten in Kiel rief dann auch wahre Begeisterungsstürme hervor - bei Frauen und Männern. Vielleicht lag es an jenem möglichen Wiedererkennungswert, ganz sicher und vor allem aber an einer vielseitigen und absolut glaubhaften Sina Schulz in ihrer ersten Solorolle als Cora Hübsch.


Mit Rosen in der Hand beim Schlußapplaus - Foto: © 2016 by Schattenblick

Premiere gelungen: Schauspielerin Sina Schulz und Regisseur Christoph Munk
Foto: © 2016 by Schattenblick

Cora Hübsch ist 33 Jahre alt - und Single. Ihr Problem: der Mann, in den sie sich verliebt und eine erste Nacht verbracht hat, ruft nicht an. Dabei sei es ein absolutes Tabu, nach dem ersten Sex selbst zum Hörer zu greifen, sagt auch Freundin Johanna. So heißt es warten - und davon handelt das Stück. "Wieviele Jahre ihres Lebens wartet eine Frau auf den Anruf von einem Mann? 5,10 Jahre oder mehr und dabei wird sie immer älter, trinkt, ißt tonnenweise Schokolade und ruiniert ihre Figur, und damit jede reelle Chance auf einen Anruf am Samstagabend?"

Auf einem roten Plüschsofa, im Bademantel, der ab und zu einen Blick auf das Darunter erlaubt, läßt Cora ihr bisheriges Leben Revue passieren, erzählt von frühkindlichen Blamagen, Mißgeschicken und Peinlichkeiten ihrer Jugend, Selbstzweifeln und -quälereien, von Frustrationen ihres Alltags, Neid unter Freundinnen, von vergeblichen Träumen und bislang unerfüllten Sehnsüchten. Und eben jenem denkwürdigen Ereignis, als sie dem Mann ihrer Träume unter sehr speziellen Umständen in einem Restaurant in der Schwingtür eines Klos begegnet. Bei allem vorgetragenen Wortwitz und manchmal durchscheinender Selbstironie bleibt als roter Faden dieses: Frauen sind und bleiben peinlich und müssen eine Menge auffahren, um in der Welt, und das heißt für sie in erster Linie vom Mann, akzeptiert zu werden. Denn Frauen erleben von Mädchenbeinen an: Sie genügen nie. "Meine Brüste, die sind nicht der Rede wert. Die liegen so weit auseinander, wenn ich die eine angucke, habe ich die andere schon aus dem Auge verloren."

Gerade, daß es sich um ein Frauenstück handelt, sagte Regisseur Christoph Munk in einem Pausengespräch dem Schattenblick, habe ihn gereizt, obwohl er durchaus ein anderes Frauenbild habe, nämlich, "daß eine Frau wesentlich emanzipierter handelt und nicht nur fixiert ist auf den Mann. Ich stamme aus der 68er Generation, mir passte das eigentlich gar nicht, aber ich habe viele Frauen unterschiedlichster Altersgruppen und unterschiedlichsten Bildungsgrades in meinem Umfeld befragt und alle Frauen haben gesagt, ja, wenn wir verliebt sind, dann sind wir so. Dann handelt man unvernünftig, unselbstständig und, so gesehen, vielleicht reaktionär."

Sina Schulz, die mit 28 Jahren etwa dem Alter ihrer Protagonistin entspricht, bestätigt den notwendigen Diskussionsbedarf während der Proben. Ärgern sie die im Stück abgehandelten Frauenklischees oder entsprechen sie ihrer eigenen Erfahrung, wollten wir nach der Premiere auch von ihr wissen. "Die entsprechen total meiner eigenen Erfahrung, eine verliebte Frau, die ist so, die handelt so. Die ist irgendwie Gaga und hat den Kopf ausgeschaltet. Genauso sind wir. Jede Frau hat Probleme damit, wenn ihr ein Mann richtig gut gefällt, da weiß man nicht, wie man damit umgehen soll, da muß man erstmal einen Zugang finden wie zu seinen Problemzonen." Vielleicht war ihr Spiel als Cora Hübsch auch deshalb so glaubhaft und das Publikum mitgerissen.

Er habe, so der Regisseur, nicht einfach Boulevard machen wollen. "Für mich wäre es als reine Unterhaltung zu flach - eine Frau lernt einen Arzt kennen und wartet, daß er sich nun endlich auch in sie verliebt -, das kennt man aus Lore- oder Arztromanen. Mir war daran gelegen, daß wir dieser Frau auch in die Seele blicken können, daß man ihr eine Tiefe gibt. Das ist das, was sonst immer fehlt, was durch klischeehafte Verhaltensweisen ersetzt wird." Auch deshalb habe er für diese Inszenierung auf eine Monologfassung zurückgegriffen, weil es darin mehr Möglichkeiten gibt, "diese Frau über sich selbst nachdenken und reflektieren zu lassen, ein bisschen Ironie aufzubauen, zu sagen, wie dusselig bin ich eigentlich, was mache ich denn hier - und das hat mich dann gereizt."


Die Schauspielerin verträumt sinnierend am Tisch sitzend - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Sina Schulz als Cora Hübsch
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Und in der Tat ging es nach der Pause weniger um Makulatur und Make up und mehr um echte Gefühle. Dicke Beine und kleine Brüste spielten plötzlich nicht mehr die alles entscheidende Rolle und ob das Gegenüber angebissen hat, schien nicht nur von der minutiös auf Karteikarten vorbereiteten, trotzdem oder gerade deshalb aber oft auch mißlingenden Eigenpräsentation abzuhängen. "Natürlich", so die Akteurin, "kommt es auf anderes an. Ich selbst trage ja auch keine Größe 38."

Eigens für Sina Schulz, die neben der Schauspiel- auch eine Musicalausbildung absolviert hat und nach eigenen Angaben leidenschaftlich gerne singt - den Kieler Theaterbesuchern war ihre beeindruckende Stimme noch aus der Musikshow Lola Blond bestens in Erinnerung -, hat die Inszenierung, passend zum Thema, Lieder eingebaut, von Stevie Wonder über Roy Orbinsons Pretty Woman und Anette Humpes Blaue Augen bis hin zu Johannes Brahms. Bei Stevie Wonders I just called und Wolfgang Petry's Wahnsinn fiel das Publikum spontan mit ein. "Das hat mich umgehauen. Das hätte ich nicht gedacht", freute sich die Künstlerin anschließend.

In einem Feuerwerk von gewollter und ungewollter Komik, Verzweiflung, Frustration und Enttäuschung, Lakonie, Verträumtheit und Euphorie erlebte der Premierenabend eine immer sicherer agierende Solistin, die zunehmend nicht nur für, sondern auch mit den Zuschauern zu spielen wußte, und ein Publikum, das lautstark und begeistert mitging.


Portraitaufnahme - Foto: © 2016 by Schattenblick

Sina Schulz beim Gespräch mit dem Schattenblick
Foto: © 2016 by Schattenblick

Spätestens, wenn Cora von Irgendwo im Grünen aus dem Musical Der kleine Horrorladen träumt, von gehäkelten Gardinen selbst auf dem Gästeklo oder vom Zwiebelschneiden in einer Küche, in der alles abwaschbar ist, vernimmt der aufmerksame Zuschauer auch an der Art des Vortrags etwas von der Absicht des Regisseurs, kritische Untertöne mit hineinzumischen. Und wer trotz alledem noch nicht begriffen hat, daß das Stück auch ernsten Tiefgang hat, wird zuletzt Brahms' Drunten im Tale ans Herz bzw. ans Gehör gelegt:

"Sprichst allweil von Liebe, sprichst allweil von Treue, und a bissele Falschheit ist auch mit dabei."

Ist das nun Unterhaltung, Realität oder Gesellschaftskritik? "Ich glaube", meint Christoph Munk, "das kann man alles reinlegen, wenn man will. Das liegt im Auge des Betrachters, würde ich sagen."

Zu einem Dossier über das Märchen von der Gleichberechtigung in der Frauenzeitschrift Brigitte, für die auch Ildikó von Kürthy schrieb, heißt es im Editorial der jüngsten Ausgabe vom 23. November, Feminismus sei zwar gut, wichtig, kämpferisch, Emanzen aber unattraktiv, nervtötend und spaßbefreit. Das Thema, hatte Chefredakteurin Brigitte Huber gehofft, würde sich von selbst erledigen. So ist auch Mondscheintarif vor allem ein Stück über das Warten - und womit man sich dabei die Zeit vertreiben kann - und daß es sich am happy Ende auszahlt, weil das Schicksal es doch gut mit uns meint und am Ende die Liebe siegt. Ganz so wie im Lore-Roman. Hatte Humor nicht schon immer auch die Aufgabe, durch (selbst)ironische Distanz die Verhältnisse erträglicher zu machen - und dabei zu belassen, wie sie sind? Nicht nur Ersatzbefriedigung, sondern auch Ersatzbefriedung?

Passend, daß zum Jahreswechsel und den damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen an eine neue oder alte Zweisamkeit das Stück auch an Silvester gespielt wird, dann nicht im Theater an der Wilhelminenstraße, sondern im Kulturforum Kiel, jeweils um 18:00 und 21:00 Uhr, ansonsten aber noch bis Anfang Februar bei den Komödianten.

5. Dezember 2016


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