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BERICHT/070: Heiße Nebel, kalte Dämpfe ... (SB)


'Eyes Wide Open' von Barbara Schmidt-Rohr
oder wie ich in der Dunkelheit Farben, nicht aber ihre Schönheit fand

Uraufführung und Premiere am 11.05.2016 auf Kampnagel in Hamburg


"Hereinspaziert, gleich hier. Kommt rein, ihr könnt es ruhig berühren. Schmeckt ihr es? Könnt ihr es riechen? Willkommen in meiner Welt."


Aus einem hüttenähnlichen Raum blicken drei Kinder in Fantasiekleidung stumm und ernst in die Kamera. - Foto: © 2016 by Jens Hasenberg

Foto: © 2016 by Jens Hasenberg

So oder so ähnlich hätte es wohl geklungen, wenn die ersten Minuten der Premiere zu 'Eyes Wide Open' von den Darstellern kommentiert worden wären. Was an anderen Theaterabenden der Einlass ist, versetzt einen hier sofort und recht unvorbereitet mitten hinein in die Performance. Durch einen Seiteneingang geht es für das Publikum direkt und ohne Worte auf die Bühne der K1, des kleinsten Theaters auf Kampnagel. Ebenfalls direkt und etwas unvorbereitet trifft einen hier der bedrückende Anruch einer Apokalypse. Oder sind es doch einfach nur ein paar merkwürdige Gebilde, in Nebel getaucht? Etwas irritiert ist man außerdem von der Gruppe Kinder, die da im Zuschauerraum zusammensitzt. Sie reden. Man kann sie jedoch nicht verstehen. Eine Kunstsprache? Oder doch Portugiesisch? Nein, da war doch ein deutsches Wort zu hören? 'Kennt wohl irgendwer hier diese Sprache?', schießt es mir noch durch den Kopf, als die Jungen und Mädchen unvermittelt aufstehen und die Bühne betreten, die wir allerdings noch nicht verlassen hatten.

Wie sich herausstellt, wird das an diesem Abend auch nicht geschehen. Die Choreografin Barbara Schmidt-Rohr hat hier mit ihren jungen Darstellern ein kleines Universum erschaffen, das direkt von hinten durch die Brust ins Auge führt und einen als Zuschauer in einem ständigen Zustand gleichzeitiger verlassener Unsicherheit und leichter Überforderung verweilen lässt.

Wir werden Zeuge von kleinen Ritualen und Spielen. Merkwürdige Pflanzen aus Rauch werden gegossen und möglicherweise ein Feuer gemacht? Ganz bald jedoch werden wir von den Kindern auf Bänke verfrachtet, die sie aus dem Foyer herein- und auf die Bühne tragen. Zugleich oder auch danach sind sie auch schon mit ihren Tablets beschäftigt, die sich überall auf der Bühne liegend finden.

Und dann, unversehens, bekommen wir - das Publikum - Steine in die Hand gedrückt. Die sollen wohl an unseren Sitznachbarn weitergereicht werden.

Aber Moment - ich möchte doch sehen, was vor mir geschieht, bin jedoch zu konzentriert auf die Weitergabe meiner Steine, von denen ich auf einmal ganz viele in der Hand habe.

Noch damit beschäftigt, diese Gleichzeitigkeit zu bewältigen, halte ich auf einmal selbst ein Tablet in der Hand.

Ist das Bambi, was da läuft?
Die Kinder gehen durch die Reihen.
Jetzt ist es nicht mehr Bambi.
Die Kinder legen uns ihre warmen Hände auf Schultern und Arme.
Was läuft da? Die Bilder werden immer schneller.

Ich sehe auf. Ein Junge hat ein Kaninchen auf dem Arm. Was hat das Kaninchen mit all dem zu tun? Und ist das überhaupt die Chronologie der Dinge, wie ich sie hier berichte?

Genauso unvermittelt, wie wir mit den Steinen umgehen mussten, treffen wir nun wohl, gemeinsam mit den Kindern, auf ein Licht oben rechts im Zuschauerraum. Es erscheinen zwei Tänzer, so schillernd und skurril kommen sie daher, als wären sie Giraffen, die das Studio 54 gerade verlassen, um einer altägyptischen Zeremonie beizuwohnen. Die Kinder filmen mit den Tablets. Und während ich noch merke, wie auch diese Erscheinung sich wie zufällig ganz logisch in das Konglomerat des Abends einfügt, finde ich mich auch schon draußen wieder, im Foyer.

Hinausbegleitet wurde ich von einem der Kinder, die, wie aus der Zukunft kommend, uns für eine Stunde direkt in ihre und unsere Gegenwart entführt haben.


Ein Kind mit großem Kopfhörer wandert durch eine utopische, dunkle, karge Landschaft - an einem Baum das Ankündigungsflugblatt der Aufführung - Foto: © 2016 by Judith Hilgenstöhler

Foto: © 2016 by Judith Hilgenstöhler

Barbara Schmidt-Rohr ist Kuratorin, Choreografin, Dramaturgin. In ihrer Rolle als Choreografin und Dramaturgin hat sie hier eine Performance erschaffen, die uns die klebrige Dunkelheit schmecken lässt, welche übrig bleibt, wenn man das Tempo und die Gewalten, denen die Kinder heute und in der Zukunft ausgesetzt sind, einmal auf Pause stellt.


Weitere Aufführungen gibt es am Donnerstag, den 12.05.2016 um 19:00 Uhr, Freitag, den 13.05.2016 um 19:00 Uhr und Samstag, den 14.05.2016 um 20:00 Uhr.

12. Mai 2016


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