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BERICHT/066: "Szenen einer Ehe" - Wünsche, Wirklichkeit und Konvention ... - Premiere im Theater Die Komödianten in Kiel (SB)


Ohne jede Hoffnung?

"Szenen einer Ehe" von Ingmar Bergman
Premiere im Theater Die Komödianten in Kiel am 14. Januar 2016


"Hier kommt zur Sprache und ins Bild, was die Zuschauer millionenfach an sich selber erfahren haben oder erfahren könnten; hier formuliert ihnen ein Regisseur etwas vor, was die meisten beschäftigt, was aber, im Leben, in Unverständnis, Ungeduld, Panik untergeht..." schrieb DIE ZEIT [1] 1975 über das von Ingmar Bergmann zunächst als sechsteilige Fernsehserie konzipierte Drama, das 1973 in einer gekürzten Fassung in die Kinos kam und ab 1975 auch in der BRD zu sehen war. Das dialogzentrierte Stück, bei seiner Erstsendung ein Straßenfeger, hat auch in Zeiten vermehrten Single-Daseins, erhöhter Scheidungsraten und von vornherein auf Zeit setzenden Lebensabschnittspartnerschaften an Aktualität nichts verloren, bleibt doch die Auseinandersetzung mit dem Problem, daß die Menschen nicht miteinander, und sei der gute Wille noch so groß und die Fähigkeit zur Fassade noch so versiert, aber offensichtlich auch nicht ohne einander können, eine ungelöste Menschheitsfrage schlechthin.


Das Paar beieinander stehend und in verschiedene Richtungen blickend - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

In der Nähe die größtmögliche Entfernung - Antje Otterson als Marianne, Ivan Dentler als Johan
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Daß die Geschichte von Marianne, 35, Rechtsanwältin und Johan, 42, Naturwissenschaftler, einem Vorzeigepaar, das erkennen muß, daß auch ihre Ehe nach zehn Jahren eher ein Scheingerüst denn eine stabile, geschweige denn liebevolle Beziehung ist und dessen Handlung sich vorwiegend in immer heftigeren Dialogen abspielt, in einer Bühnenfassung in die Theater kam, lag nahe. 1981 inszenierte Ingmar Bergmann sein Stück erstmals in München mit sechs Rollen, kurz danach entstand eine Version für zwei Schauspieler, die seitdem immer wieder auf den verschiedensten Bühnen zu sehen war, so in Dortmund, Stuttgart, Lübeck, Rostock, Bremerhaven und anderswo. Jetzt hatten die "Szenen einer Ehe" Premiere bei den Komödianten in Kiel.

Theaterchef Markus Dentler hat sich, der Größe seines Zimmertheaters und dem begrenzten Budget angemessen, sofort für die Zwei-Personen-Fassung entschieden. Mit Antje Otterson, die sich den Kielern in jedem Sommer im Innenhof des Kieler Rathauses als "Kleiner Prinz" präsentiert und Ivan Dentler, 10 Jahre jünger als der Protagonist bei Bergman, der sich, bei den Komödianten in etlichen Solorollen - "Macho Man", "Ich, Per Gynt", "Nipple Jesus" oder "Fully Committed" - bewährte und in "Acting" die Aufgaben von Regisseur und Hauptdarsteller übernahm, wurden Akteure ausgewählt, die dem Komödiantenpublikum aus anderen Stücken in bester Erinnerung sind. Als Regisseur wurde Christian Lugerth gewonnen, der bereits "Männer und andere Irrtümer" oder "Macho Man" für die Komödianten inszeniert hat.

Man durfte gespannt sein, ob die eher klamaukig-komischen Aspekte, die die immer gleichen und eingefahrenen Auseinandersetzungen abgestandener Beziehungen zweifellos mit sich bringen, überwiegen würden oder ob und wie weit sich die Inszenierung an die gegenseitigen Erniedrigungen, an den Haß und den Ekel, an jene eben wegen ihrer Klarheit von Bergmann selbst durchaus intendierte "ästhetische Übelkeit" heranwagen würde, an die fast grausame Schonungslosigkeit einer Offenlegung von Scheitern und Unmöglichkeit als Voraussetzung eines Nachdenkens über andere, neue Formen einer Begegnung freier Individuen, ohne unbedingte Forderungen aneinander, die sprechen könnten, ohne sich weh zu tun, ohne den Zwang, über den anderen zu herrschen oder auf ihn angewiesen zu sein.


Über den offenen Bekenntnissen Mariannes aus ihrem Tagebuch ist Johan längst eingeschlafen. - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Keine Chance der Annäherung
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Die Kieler Inszenierung erwies sich bei der Premiere am 14. Januar 2016 vor ausverkauftem Haus - als keins von beidem. In einer ausgesprochen sorgfältigen und stimmigen Komposition von Dialogen und Bühnenbild (Bruno Giurini) zeichnete der Regisseur glaubhaft und ohne schrille Übertöne mit sparsamst wie wirkungsvoll gesetzten Szenenwechseln - mal durch das Umräumen eines Stuhles, mal durch das Aufspannen eines Regenschirmes, mal durch den Wechsel der Bildvorlagen an der Wand - die eskalierende Entwicklung von Marianne und Johan nach, deren Konfliktlage bereits in den anfänglichen, scheinbar harmlosen Dialogen aufscheint - so wie im wahren Leben. Wieviel Distanz in einem Alltag, in dem alles verplant ist, wenn Marianne sagt, sie stritten nie und wenn, fänden sie immer einen tragfähigen Kompromiß, wieviel Abfälligkeit in Johans scheinbar zugewandtem "Mein Liebling". Genial gespielt der Wandel von Antje Otterson alias Marianne von der braven, angepaßten Ehefrau, die alles richtig machen, aber für nichts verantwortlich sein will, zu einer selbstbewussten eigenständigen Persönlichkeit, für dessen absolute Überzeugungskraft es des Wechsels vom grauen Business-Outfit zum grellroten Kleid nicht einmal bedurft hätte. Etwas schwerer tat sich Ivan Dentler, der sich erst in der 2. Hälfte richtig freispielte, sei es der Premierenanspannung geschuldet, vielleicht aber auch, weil ihm die differenziertere Rolle des schwächelnden, scheiternden Ehemanns, der eben auch Angst hat, mehr lag als die des eher belehrend-betulichen Besserwissers, der ihre Wut "süß" findet und dessen Sexleben aus seiner Sicht eindeutig zu kurz kommt, weshalb er sich mit Paula außereheliche Abhilfe schafft und damit den Anfang vom Ende seiner Ehe besiegelt.

Dabei ist die Entwicklung zu mehr Offenheit und Schonungslosigkeit beider Akteure - als ein scheinbarer Fortschritt - ebenso virulent wie quälend immer auch die ewige Rückkehr in das Altgewohnte, in das Entweder-und-auch.


Marianne und Johan in Umarmung vor ihrem Konterfei, das ihre Distanz voneinander dokumentiert. - Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Laß mich, lieb mich - Dilemmastrategie einer ganz normalen Beziehung
Foto: © 2016 by Thomas Eisenkrätzer

Am Ende weiß der aufmerksame Zuschauer, daß die nach der Trennung vorgestellte Harmonie der endlich Geschiedenen trotz Mariannes verallgemeinerbarem Wunsch "Ohne jede Hoffnung - das geht doch nicht!" ebenfalls von kurzer Dauer sein wird.

Nicht nur der minutenlange Schlußapplaus des Premierenpublikums bewies, daß "Szenen einer Ehe" eine unbedingte Bereicherung im Spielplan der Komödianten ist. Die nächsten Spieltermine sind am 29. und 30. Januar, weitere Termine gibt es jeden Donnerstag, Freitag und Samstag im Februar und März.

Weitere Informationen unter:
www.kielertheater.de


Anmerkung:

[1] Dieter E. Zimmer in DIE ZEIT vom 14. März 1975, "Analphabeten des Gefühls"

27. Januar 2016


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