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BERICHT/059: Kampnagel verkündet ... (SB)


Pressekonferenz zur Spielzeit 2015/2016 auf Kampnagel in Hamburg am 3.9.2015

'Kampnagel says No!'


Es herrscht gute Stimmung in der Kampnagel-Intendanz. Man ist stolz auf das, was man geschafft hat - Deutschlands größte freie Spielstätte hat im vergangenen Jahr 190.000 Besucher angelockt - man ist stolz auf das neue, spartenübergreifende Programm, und man ist stolz auf die Arbeit mit den Flüchtlingen, die, und das ist nur ein Beispiel, in der Regel ohne Eintritt zu zahlen, die Veranstaltungen besuchen können, und auf die vielen Initiativen und Anstöße, die es auf Kampnagel gibt.


Foto: © 2015 by Schattenblick

Gregor Zoch, Uta Lambertz, Amelie Deuflhard und Melanie Zimmermann während der Pressekonferenz (von links nach rechts)
Foto: © 2015 by Schattenblick

Mit einem Feuerwerk an Informationen und spannenden Ausblicken wurde die Vorstellung der neuen Spielzeit schon zum ersten Event dieser Saison. Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und drei ihrer Dramaturgen, Melanie Zimmermann, Uta Lambertz und Gregor Zoch, stellten die Highlights des prall gefüllten Programms vor und erläuterten das Motto der neuen Saison: 'Kampnagel says No!' Man definiere sich nicht über das, was man sei, sondern ganz konkret darüber, was man nicht sei, also etwa No-Pegida, No-Rassismus, No-Mainstream, und, ganz großes Thema dieser Spielzeit: No-Postkolonialismus. Auch die Einteilung in Sparten, Genres, Kategorien und sonstige Differenzierungen bekam ein fettes 'No!'. Fast wie immer präsentiert sich die neue Spielzeit nicht nur auf den ersten Blick, sondern programmatisch als ein "wilder Mix aus Tanz, Theater, Musik, Bildender Kunst und Theorie" im Zeitgeist der zurückliegenden und noch zu erwartenden unruhigen Wochen.

Das 'No' wird auf Kampnagel zum 'NoISM' und reiht sich ein in die schon in der letzten Spielzeit eingeführten 'ISMS', die gewissermaßen der Ersatz für das Spartendenken sein sollen. Man kreierte Begriffe wie 'MainstreamISM', 'CollectivISM', 'TransculturalISM', 'QueerISM', 'AnalISM' oder 'FreakISM'. Es soll sogar ein Glossar entstehen. Spielerei? Auf Kampnagel ist man jedenfalls begeistert davon. Die 'ISMS' sollen neue Ordnungssysteme vortäuschen und dabei heimlich assoziative Denkräume eröffnen, wünscht man sich und fragt: "Was passiert, wenn QueerISM auf GlamourISM trifft?" Man könnte meinen, gar nichts. Bei Kampnagel hofft man auf: "Fragen ohne klare Antworten, dafür mit umso mehr Raum zum Fantasieren, Spekulieren und dem Durcheinanderwirbeln von Thesen!"

Der neu hinzugekommene 'NoISM' will als politisches Manifest, als klares Statement verstanden werden. "Nein zu Rechtsradikalismus, nein zu Ausgrenzung von Migranten und Flüchtlingen hier in unserem Land, nein zu einem Aufbau der Festung Europa, aber auch zu der Überschrift unseres Auftaktfestivals Themenschwerpunkt 'We don't Contemporary'", erklärt Deuflhard auf der Pressekonferenz.


Riesiges, fest installiertes Banner mit der Aufschrift 'REFUGEES WELCOME' vor dem Haupteingang - Foto: © 2015 by Schattenblick

Ein klares Statement
Foto: © 2015 by Schattenblick

Der Titel des ersten Festivals der neuen Spielzeit, 'We don't Contemporary', absichtsvoll falsches Englisch, das wörtlich übersetzt soviel wie 'Wir machen nicht Zeitgenössisch' bedeutet, sei aus der Auseinandersetzung mit dem Postkolonialismus entstanden. Da sich der Postkolonialismus, die über die politische Herrschaft der Kolonialstaaten hinausgehende Dominanz des Westens über die ehemaligen Kolonien, auch auf den Kunstbetrieb beziehe, definiere der Westen, was zeitgenössische Kunst ist, so Deuflhard. Mit 'We don't Contemporary' will man etwas anderes behaupten, nämlich: "Wir bestimmen es nicht". Deshalb hat man sich auf Kampnagel entschieden, fünf Kuratoren aus unterschiedlichen afrikanischen Ländern einzuladen, mit denen man gemeinsam das Festival-Programm entwickelt und entschieden hat, was zur Zeit die interessanteste Kunst ist. Mit den Kuratoren hat man im übrigen nicht die Katze im Sack gekauft, mit allen arbeitet Kampnagel schon länger zusammen, so daß man auf gemeinsame künstlerische Sichtweisen bauen kann.

Die Idee, so führte Deuflhard weiter aus, gehe zurück auf einen großen Fonds der Kulturstiftung des Bundes, der es Kampnagel ermöglicht, überhaupt so viele Projekte, die sich mit Afrika beschäftigen, zu finanzieren. Dieser Fonds, der 60 Millionen Euro im Jahr vergibt, rief vor etwa drei Jahren deutsche Kulturschaffende und Institutionen dazu auf, Kooperationen mit Afrika zu machen.

Für den Antrag bei der Kulturstiftung griff man bei Kampnagel das Manifest einer afrikanischstämmigen Aktivistin auf, die ein Pamphlet gegen eben diese Kulturstiftung geschrieben hatte, mit dem Titel 'Africa is not a country'. Afrika besteht zur Zeit aus 54 Ländern. Die Aussage 'Deutschland macht etwas mit Afrika' ignoriert das völlig. Außerdem habe man, fügt Deuflhard noch hinzu, in der Zusammenarbeit mit den Kuratoren von dort das Programm wirklich gemeinsam erstellt, mit den Menschen eben, die sich in ihren Ländern auskennen, in einer sehr intensiven Zusammenarbeit. Der Antrag scheint sehr gut angekommen zu sein, denn tatsächlich werden in dieser Spielzeit viele Projekte von der Kulturstiftung des Bundes gefördert. 'Postkolonialerweise' sind einige der Künstler und Künstlerinnen in Deutschland kaum bekannt, obwohl sie international bereits ein großes Renomee haben.

Ebenfalls für den gesamten Spielplan von Bedeutung und für Amelie Deuflhard sehr wichtig ist der Ansatz, global und lokal zusammenzudenken. In den thematischen Strängen, die sich durch die Spielzeit ziehen, sollen lokale und internationale Künstler im gleichen Fenster auftreten.

Ein kleiner Ausflug in die Finanzen: Kampnagel bekommt 4,5 Millionen Euro an festen Zuwendungen von der Stadt Hamburg, hat aber einen Umsatz von 8,6 Millionen Euro - ein Umsatz, der nur einen Teil der Veranstaltungen abdeckt, die auf Kampnagel stattfinden, weil sowohl die gesamte lokale Szene mit eigenen Budgets arbeitet, als auch Kooperationen, wie zum Beispiel ein Festival mit der Elbphilharmonie, oftmals im Budget des Partners landen. Das reale Budget ist also noch viel größer. Die Einnahmen setzen sich zusammen aus Drittmitteln, zusätzlich akquirierte Mittel, in der letzten Spielzeit waren das knapp 1,5 Millionen Euro, die teilweise aus Hamburg, viele aus Bundesmitteln, von der Kulturstiftung des Bundes kommen. Man befindet sich im Wettbewerb mit ungefähr fünfmal so vielen Anträgen, wie am Schluß bewilligt werden. Dieses Jahr werden mindestens 15 Projekte aus Kulturstiftungsmitteln gefördert.


Die Intendantin während der Pressekonferenz - Foto: © 2015 by Schattenblick

Amelie Deuflhard
Foto: © 2015 by Schattenblick

Darüber hinaus ist Kampnagel Mitglied mehrerer europäischer Netzwerke. Neben den großen Förderern gibt es viele kleine. Hamburger Kulturstiftung, Mara und Holger Cassens-Stiftung, Privatgelder, Botschaften, Goethe-Stiftung und, und, und. Es sind bestimmt 100 unterschiedliche Geber, die Projekte kofinanzieren. Letztes Jahr wurden von Kampnagel an die 150 Anträge geschrieben. Eine Spielzeit positiv abzuschließen, so wie 2014 geschehen, sei jedes Mal ein Kraftakt, zumal man immer in die laufende Spielzeit gehen müsse, ohne daß sie voll finanziert sei, weil das ganze Fördersystem so laufe, daß zeitnah finanziert wird - eine Gegebenheit, die kaufmännische Leiter immer ein bißchen nervös mache, scherzte Deuflhard. Etwa 700.000 Euro kommen außerdem durch Vermietungen herein. Der Lohn der Mühe: Die Zuschauerzahl von Kampnagel entspricht einem gut laufenden Stadttheater. Und: Es gibt kein vergleichbares Haus mit einem internationalen, zeitgenössischen Programm mit so vielen Zuschauern.


Festival 'We don't Contemporary' vom 24. September bis zum 3. Oktober

Schriller, greller, provokativer und aufmerksamkeitserregender Start sowohl der neuen Spielzeit als auch des 'We don't Contemporary'-Festivals ist die Deutschland-Premiere der 'Macbeth'-Inszenierung des südafrikanischen Regisseurs Brett Bailey - eine kluge Wahl der Intendantin, die sich vor einigen Jahren dagegen entschied, Baileys polarisierende Installation 'Menschenzoo', die im Stil von Völkerschauen farbige Menschen den Blicken der Besucher aussetzt, sie zum Teil als angekettete Sklaven präsentiert und für das Publikum gewiß schwere Kost ist, nach Kampnagel einzuladen. Obwohl sie gerne auch "spröde" Programme anbietet, muß Deuflhard zumindest bei der Auswahl ihrer Highlights darauf achten, daß der Unterhaltungswert groß genug ist, um sehr viele Besucher anzulocken. Man kann nun Baileys Ruf als "aufregendsten und provokativsten Theaterregisseur Südafrikas" in die Waagschale werfen und hat zugleich eine publikumstaugliche Musiktheaterproduktion auf der Bühne (24. bis 26.9.2015).


Menschenleeres Foyer des Kampnagel-Theaters mit Plakatwand, auf der die Highlights des Festivals 'We don't Contemporary' angekündigt werden - Foto: © 2015 by Schattenblick

Das Foyer ist geöffnet ...
Foto: © 2015 by Schattenblick


Einige weitere Highlights des Festivals sind:

'The Empire Strikes Back: The Kingdom Of The Synthetic' von Ariel Efraim Ashbel and Friends, ein Stück, das eine postkoloniale Reise in die Zukunft von Rasse, Geschlecht und Identität unternimmt (24. bis 26.9.2015).

'Sacré Printemps!' des tunesischen Choreografenduos Aïcha M'Barek und Hafiz Dhaou, ein Stück, das von ihren eigenen Erfahrungen während des arabischen Frühlings inspiriert ist (25. bis 27.9.2015).

'Ottof' von Bouchra Ouizguen, der aktuell erfolgreichsten Choreografin aus Marokko, die mit ihrem Ensemble aus fünf Aïtas, ehemaligen Nachtclubsängerinnen, schon für viel Aufsehen gesorgt hat. Mit kräftigen Stimmen und sinnlichen Bewegungen nutzen sie die Bühne, um gehört zu werden (1.10. bis 3.10.2015).

'Corbeaux', ebenfalls von Bouchra Ouizguen, die ihr Stück als "eine Performance, die Trancezustände mit dem rhythmischen Brüllen weiblicher Wildkatzen verbindet" beschreibt (26. und 27.9.2015).

'Manta' von Héla Fattoumi und Éric Lamoureux behandelt das international kontrovers diskutierte Thema des islamischen Schleiers. In ihrer Choreografie gehen die Künstler an die Grenzen des künstlerischen Umgangs mit dem religiösen Symbol (26.9. und 27.9.2015).

41 eng bedruckte Seiten umfaßt das Programm der neuen Spielzeit und ist noch nicht einmal vollständig, weil, wie schon angesprochen, die Finanzierung noch nicht von allen Projekten gesichert ist. Neben weiteren Festivals, wie dem Hamburger Theaterfestival (13., 14. und 16.10.2015), dem Überjazz Festival (30. und 31.10.2015), dem 9. Hamburger Krimifestival (3. bis 7.11.2015), dem Festival für zeitgenössische Musik (19. bis 22.11.2015) und dem Nordwind-Festival (27.11. bis 5.12.2015) allein in diesem Jahr, gibt es natürlich noch zahlreiche Einzelproduktionen. Genannt seien nur zwei: 'Romeo & Juliet/Rebellion & Johannesburg' der Südafrikanerin und Wahlhamburgerin Jessica Nupen (7. bis 9.10.2015). Der Shakespeare-Klassiker wird bei ihr zur Kulisse für das Leben junger Johannesburger. In 'Them And Us' des Berliner Choreografen Jochen Roller und der samoanischen Performancekünstlerin Yuki Kihara reisen drei samoanische Tänzer durch Deutschland und studieren die Kultur und Gebräuche ihrer weißen Brüder und Schwestern, wobei sie auf merkwürdige Verbindungen zwischen den Kulturen stoßen. In einer Mischung aus Choreografie und Filmaufnahmen entwickeln die Darsteller eine äußerst unterhaltsame, augenzwinkernd anthropologische Sicht (14.10, 16.10. bis 17.10.2015).


Künstlerisch gestaltetes Gartenareal mit lauschigen Ecken und Sitzgelegenheiten - Foto: © 2015 by Schattenblick

Der 'Avantgarden' als Rückzugsort - eines von vielen Projekten auf Kampnagel
Foto: © 2015 by Schattenblick


Eine ausführliche Übersicht über die gesamte Spielzeit 2015/2016 finden Sie im Schattenblick:
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11. September 2015


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