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BERICHT/055: Premiere von Lola Blond bei den Kieler Komödianten - Kleine Kulturen in Krisenzeiten (SB)


Uraufführung der neuen Ensembleproduktion im Theater Die Komödianten am 9. Oktober 2014 in Kiel

Laß uns noch'n bißchen tanzen



Eine Situation, die man kennt. Der Abend ist fortgeschritten, die Kneipe fast leer, eigentlich ist Feierabend. Aber dann gibt's da welche, die wollen noch nicht nach Hause, ganz nach dem Motto: Das kann doch nicht alles gewesen sein, da muß doch noch was gehen.

Viel mehr als diese Ausgangslage, sagt Regisseur Christoph Munk dem Schattenblick zur Uraufführung der neuen Musik Show der Kieler Komödianten, die am 9. Oktober vor vollem Hause Premiere hatte, habe er nicht vorgegeben. Die meisten der Lieder und Songs, die an diesem Abend auf der Bühne des Zimmertheaters in intimer Atmosphäre in teils parodierender Weise vorgetragen werden, hätten die Schauspielerinnen selbst eingebracht. Und so spannt sich in einem bunten, wohl einmaligen Potpourri durch die Musikgeschichte der Bogen vom klassischem Liedgut bis zum deutschen Schlager der 60er und 70er Jahre, von Zarah Leander bis Lady Gaga, vom Chanson bis Schubert, von Neue Deutsche Welle bis Elektro House, von Hildegard Knef bis zu Frida Gold, von Max Raabes Palast Orchester bis Fettes Brot.

Die Schauspieler an der Bar mit Sektgläsern in der Hand - Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

Da geht noch was: Tillmann Dentler als Klavierspieler Murphy, Sina Schulz als Tresenfee Estelle, Rafaela Schwarzer als Erfolgsfrau Victoria, Mathias Lippelt als Barmann Johnny und Anna Nigulis als Risikobraut Rike (v. lks.)
Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

Die meisten Lieder handeln von der Liebe, mehr noch vom Scheitern daran, von Einsamkeiten, Sehnsüchten, Träumen, von Schlappen und schlechten Erfahrungen. Drei Charaktere treffen aufeinander, die unterschiedlicher nicht sein können: die selbstbewußte Erfolgsfrau (Rafaela Schwarzer), mit Bleistiftrock und strenger Frisur, die alles alleine managen kann, nur das Küssen nicht, und die noch was vom echten Leben erhaschen will, die verunglückte Nachtschwärmerin im Spitzenkleid (Anna Nigulis), die alles verspielt hat und so gerne schlank wäre wie ein Mannequin und die Kellnerin im Minirock (Sina Schulz), die von ganz anderen Dingen träumt und die endlich ihre Schürze loswerden und nach draußen will.

Das Stück ist ein Frauenstück oder besser ein Frauenpowerstück. Die Männer, Tillmann Dentler als unermüdlicher Klavierspieler, der alle Musikgenres beeindruckend beherrscht und Mathias Lippelt als genervter Barkeeper treten eher als Dienstleister auf und werden von den drei weiblichen Akteurinnen auf Trab gehalten, die den Abend ansehnlich, selbstbewußt und mit zunehmendem Schwung gestalten.

Die theatralischen Momente sind sparsam gesetzt, die Protagonistinnen erzählen ihre Geschichten mit beeindruckender stimmlicher Bandbreite auf charmante, unverhohlene Weise, die sich weder in Besinnlichkeit einigelt noch dem Publikum Ehrfurcht vor der Zunft der Chansonetten abverlangt. "Man hört nochmal ganz anders hin", sagt der Regisseur zur neuen Inszenierung, und entdeckt, daß die Lieder, die man sonst eher so nebenbei wahrnimnmt, eigentlich Geschichten erzählen. An den erheiterten und zustimmenden Reaktionen des Publikums ist abzulesen, daß sich auch die Zuhörer darin wiederfinden. "Die Liedertexte", habe er zu den Schauspielerinnen gesagt, so Christoph Munk, "sind eure Rollentexte. Und wenn ihr genau zuhört, dann wißt ihr, was eure Rolle ist."

Der Regisseur neben dem Theaterplakat zu 'Lola Blond' - Foto: © 2014 by Schattenblick

Regisseur Christoph Munk
Foto: © 2014 by Schattenblick

Und wer genau zuhört, auch wenn nicht alle Texte trotz der guten Akustik im Theater an der Wilhelminenstraße leicht verständlich waren, entdeckt manch zeitgemäße Anpassung, so in Rita Pavones "Wenn ich ein Junge wär", das in der hier vorgetragenen Version von Nina Hagen die Zeile "Es gäbe keine mehr nebenbei, wär' nur der einen immerzu treu" durch "Ich würde in die Schwulen-Szene geh'n und sexy Boys den Kopf verdreh'n" ersetzt.

Nach anfänglichen, unübersehbaren Animositäten entwickeln sich über die Musik Kontakte unter den Frauen, Überschneidungen, Ergänzungen, Gemeinsamkeiten, die Soli gehen über in Wechselgesang, dann singen sie alle zusammen. Und nach der Pause haben sich die drei Nachtgrazien noch einmal richtig schön gemacht, fürs Publikum, für sich selbst und für das Leben, das, da sind sie sich am Ende einig, gefeiert und genossen werden muß. Die Bar wird zur Bühne, denn "die Nacht ist nicht allein zum Schlafen da, die Nacht ist da, daß was geschieht" (Hildegard Knef).

Tillmann Dentler, Anna Nigulis, Sina Schulz, Rafaela Schwarzer und Mathias Lippelt auf der Bühne (v. lks.) - Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

Altes und neues Rezept: Singen und Tanzen als Krisenbewältigung
Foto: © 2014 by Thomas Eisenkrätzer

Einmal mehr ist es den Kieler Komödianten gelungen, ihr Publikum zu überraschen und aufs beste zu unterhalten. Und was wollte man mehr in Zeiten wie diesen, in denen einem vor lauter Krieg und Krise das Lachen im Hals stecken bleibt? "Wir werden vom Schicksal getrieben und das Ende ist immer Verzicht, und wir glauben und hoffen und denken, daß einmal ein Wunder geschieht", heißt es an diesem Abend mit Zarah Leander. Noch Fragen?


Lola Blond ist zu sehen im Oktober jeden Freitag und Sonnabend um 20 Uhr, im November und bis zum 20. Dezember jeden Donnerstag, Freitag und Sonnabend um 20 Uhr und noch einmal Silvester im KulturForum um 18 Uhr und um 21 Uhr.

13. Oktober 2014