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BERICHT/050: William Forsythe - ein Choreograf auf clowneskem Forschungsweg (SB)


Sider - Wer wagt es zu folgen?

von Britta Barthel



Man sagt über ihn, daß er schon durch die Straßen von Manhattan joggte, als die meisten Menschen noch nicht einmal wussten, wie joggen geschrieben wird, geschweige denn, daß es zum Straßenbild gehörte, laufende Menschen an sich vorbei rauschen zu sehen. William Forsythe tat das aus einer Instinkthandlung heraus, zum Abreagieren, für sich selbst, einfach so.
Am 26.02.2014 nun konnte das Hamburger Tanzpublikum die Premiere des neuen Stückes dieses Ausnahmekünstlers und seiner Company sehen.
Der Anblick ist kühl. Fahles Licht erhellt die Bühne, einige mannsgroße Rechtecke aus Pappe liegen dort in Zufall aufgestellt. Die Tänzer, welche in Folge kommen, spiegeln in etwas schmerzhafter Weise eine künstlerisch verwahrloste Szene aus einem 80-iger Jahre B-Movie. Es wird sich aber herausstellen, daß dies nicht umsonst so ist.

Die Tänzer Ander Zabala, Esther Balfe, Brigel Gjoka und David Kern in Aktion - Foto: Dominik Mentzos

... dass seine Tänzer ein unverwechselbares Talent haben ...
Foto: Dominik Mentzos

Die Bewegungsqualitäten, welche der Choreograph aus seiner Company herausholt, sind wie immer erstaunlich. Oder vielleicht auch nicht ganz. Arbeitet er doch schon seit Jahren mit Akribie an dieser sehr eigenen Handschrift aus 'stolperndem Fall in die Grazie'. Will heißen, dass seine Tänzer ein unverwechselbares Talent haben, in fast clownesker Manier in den Bewegungsansatz hineinzustolpern, um dann atemberaubende Formen, Flüsse und Schwünge zu bilden und am Ende wieder elegant herauszufallen.
So reiht sich die Bewegungsgeschichte aneinander, entwickeln die Tänzer ein Geschehen, in welchem die anfangs nur herumliegenden Pappen eine nun geradezu vitale Rolle spielen. Mal dienen sie als Schutzschild, mal als Kommunikationsanker, zeitweilig auch als Decke oder Bewegungsantrieb. Anfangs spielt all dies in die Stille hinein. Einzig ein vermeintlich Verrückter in Rosa brabbelt für sich. Das Publikum fragt sich, ob es schlecht hört. Er ist nicht zu verstehen. Aber nein, er brabbelt tatsächlich. Wohl wirr?

Die Tänzer David Kern, Brigel Gjoka und Ander Zabal in Aktion - Foto: Dominik Mentzos

... in fast clownesker Manier in den Bewegungsansatz hineinzustolpern ...
Foto: Dominik Mentzos

Dann kommen die Klänge. Es ist ein Grundbeat, nicht mehr. Mal ist er lauter, aggressiver; mal leiser, fast unauffällig. Thom Willems gibt sich hier mit seiner Komposition wieder einmal die Ehre. Es entspinnt sich ein Auf und Ab an Energien in Bewegung, Pappe, Lichteinflüssen. Nicht stark, nicht pompös. Es ist ein wenig, als würde man einen Marktplatz über einen Tag hinweg von oben beobachten.
Diejenigen, die mit Forsythes Arbeit vertraut sind, treffen alte Bekannte in diesem Werk wieder. So finden sich mit Sicherheit nicht ohne Grund zusätzlich zu den ohnehin schon leicht absurden Kostümen mit Masken und Batik-Leggins Pierrotkragen - auch Narrenkragen genannt - an den Tänzern wieder, welche die zuweilen sehr psychiatrische Stimmung aus brabbelnden Menschen und Pappe in angemessener Weise unterstreichen.
Als die 75-minütige Vorstellung sich dem Ende neigt, bäumt sich das Geschehen noch einige Male auf und flaut wieder ab. Sie hat passend zum Gesamtwerk kein eindeutiges Ende. Aber ein klares, denn das Licht geht aus.
Dann geht es wieder an. Es gibt Applaus. Es entsteht jedoch der vielleicht nur vage Eindruck: Das Publikum ist 'not amused'. Viele klatschen gar nicht, einige haben schon in der Vorstellung den Saal verlassen.

Die Tänzer Ander Zabala, Brigel Gjoka und Fabrice Mazlia in Aktion. Eingeblendet in die Szene ist der Spruch: 'He is to her as they are to him' - Foto: Dominik Mentzos

... um dann atemberaubende Formen, Flüsse und Schwünge zu bilden ...
Foto: Dominik Mentzos

Eines jedenfalls ist bei dem gefeierten Choreographen William Forsythe immer eindeutig: Er ist ein Forscher. Womit wir wieder beim Anfang und dem joggenden Mann in New York wären. Dies ist ein Mensch, der sich nicht groß umschaut, was andere denken. Nicht etwa weil es ihn nicht interessiert, sondern weil er zu beschäftigt ist, auf seinem Weg, auf seiner Forschungsreise.
Einige, können folgen, andere nicht. Einige wollen folgen, andere nicht. Er wird weitergehen.
Es ist also an euch.
Die Autorin dieser Kritik jedenfalls ist begeistert.

Tanzplattform Deutschland 2014 auf Kampnagel
The Forsythe Company
Sider
Choreografie: William Forsythe
Musik: Thom Willems
Lichtobjekt: Spencer Finch
Beleuchtung: Ulf Naumann, Tanja Rühl
Kostüme: Dorothee Merg
Dramaturgie- und Produktionsassistenz:
Billy Bultheel, Dr. Freya Vass-Rhee, Elizabeth Waterhouse


28. Februar 2014