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BERICHT/040: Die Komödianten "Völlig ausgebucht" - Premiere in Kiel (SB)


Vom Reiz der "Unmäßigen"



Mit den Kieler Komödianten verbindet sich der Charme einer Theatertradition aus einer Zeit, wo Schauspieler "wild" und keiner Dienstbarkeit unterworfen den Unbill strangulierender Verhältnisse und übervorteilender Interessen für jedermann sichtbar machten. Mit "Völlig ausgebucht" und unter der Regie von Christoph Munk brachte die Truppe am 20. September nun neuerlich eine Komödie zur Premiere, die der Gesellschaft den Spiegel vorhält.

Der Protagonist auf dem Theaterplakat - Foto: © 2012 by Schattenblick

Der Protagonist ...
Foto: © 2012 by Schattenblick

Inhaltlich reflektiert das Stück die Arbeitswelt vieler, wenn nicht der meisten Schauspieler, die unter den Bedingungen spärlicher Engagements mühsam ihre Existenz bestreiten. Brückenjobs und Aushilfstätigkeiten oft unter selbstausbeuterischen Bedingungen bestimmen den Alltag zwischen Castings und Geldverdienen - wie auch bei dem auf die große Rolle hoffenden Sami, der sich unter Einsatz aller seiner schauspielerischen Fähigkeiten "vorübergehend" um die telefonische Tischvergabe in einem angesagten VIP Restaurant kümmert. Ivan Dentler, der in dem Ein-Personen-Stück auch alle anderen Charaktere mit verkörpert, bekennt sich gleichermaßen zum Stück wie zur Schauspielkunst: "Wir müssen alles geben als Schauspieler".[1] Dabei tritt er so sicher auf wie einer, der in die Theaterwelt hineingeboren wurde und vermittelt 75 Minuten lang unverkrampfte Spielfreude. Zwischen 25 Rollen zu wechseln, fordert nachvollziehbar alle Konzentration und Flexibilität. Dentler charakterisiert die Personen am Telefon unter Einsatz unterschiedlicher Dialekte, variationsreicher Stimme und typisierender Gestik.

Ausgenutzt, überfordert und für jedes Missgeschick verantwortlich gemacht, liegen Sami schnell die Nerven blank - Grund genug, sich wie ein zerquetschtes Insekt zu fühlen. Die Zwangslage bringt der Job mit sich, denn man kann es unmöglich allen recht machen: weder den Gästen, die sich beileibe nicht vorstellen können, daß ihr Promi-Bonus für eine Tischreservierung nicht ausreichen könnte, noch dem Restaurant-Chef, der seinen Kunden in puncto Ansprüche an seine Mitarbeiter in nichts nachsteht, noch den Kollegen, die ihre ganz eigene Vorstellung von Zusammenarbeit haben.

Foto: © 2012 by Schattenblick

Ivan Dentler - Full in action
Foto: © 2012 by Schattenblick

Das Bühnenstück der amerikanischen TV-Serien-Autorin, Produzentin und Schauspielerin Becky Mode feiert unter dem Titel "Fully Committed" schon seit vielen Jahren Theatererfolge und bekennt sich inhaltlich freimütig zu einem auf Druck- und Leistung basierenden Lebensstil. Parallelen aus ihrem eigenen Leben sind dabei nicht zu verkennen.

Als Absolventin des American Repertory Theatre Conservatory diente Becky Mode - selbst jahrelang als Kellnerin und Garderobiere - dem gehobenen Volk in der gehobenen Gastronomie. Aus Frustration und Langeweile entspann sie mit ihrem kellnernden Schauspielerkollegen ein Pausen-Hobby: "Er imitierte aus Spaß die Kunden und wir erzählten uns unsere schlimmsten Erfahrungen." Bis dann die Idee für das One-Man-Theaterstück Fully Committed kam."[2]

Dieses Stück, sagt man Becky Mode nach, öffnete die Türen zum Erfolg, so daß sie der Gastronomie-Industrie endlich den Rücken kehren konnte, um ihre eigentliche Karriere zu starten.

Als US-Import lebt der Plot von aneinandergereihten Sketch-Szenen mit landläufigen Klischees: Schwule näseln, Mafia-Bosse poltern mit tiefer Stimme, Damen der gehobenen Gesellschaft neigen zur Hysterie, Privilegien kann einfordern, wer mit Geld schmeißt und schmiert, während andere diese Privilegien unter Stress bedienen müssen. Das bedeutet in sozial hierarchischer Lesart: Es gibt für jeden etwas zu gewinnen! Man tritt, wo man treten kann und nutzt dabei die Vorteile, um seine eigenen Geschäfte zu beleben - zu Lasten anderer, versteht sich. Das Ende des Stückes gibt dem Prinzip recht. Sami hat seine Lektion gelernt - und dreht den Spieß um.

Die präsentierten Promis mit unverkennbarer Nähe zur bundesdeutschen VIP-Szene sind nicht ganz neu; man kennt sie eher von gestern, weil sie nicht mehr im Brennpunkt der Öffentlichkeit stehen. Ihre Allüren sind aber nach wie vor so gewöhnlich wie langweilig. Wenn Wolfgang Joop's 'Wasti' einen Tisch reserviert, reicht natürlich ein einziges Telefonat nicht aus, denn da gibt es Wesentliches nachzuholen: Das omni-vegane Menü muß geordert werden ohne Fett, Fleisch, Salz, Soja, schlicht ohne alles - wovon wird er dann satt?

Foto: © 2012 by Schattenblick

Die Theatercrew mit Spaß bei der Sache
Foto: © 2012 by Schattenblick

Wenigstens ein kritischer Bezug zur aktuellen Politikszene darf im Zimmertheater der Komödianten natürlich auch diesmal nicht fehlen: Philipp Rösler soll nach Vorgabe des Hauses keine Tischreservierung bekommen!

Was findet der Zuschauer nun so reizvoll an der Unmäßigkeit der Protagonisten? Was fasziniert an dem Stück, was macht es erfolgreich?

So manchem reichen schon clowneske Übertreibungen, Andeutungen und Ahnungen, wie andere durchs Leben stolpern, um sich auf leichte Art zu amüsieren. Hinzu kommt der Reiz, seine Nase als beteiligt Unbeteiligter in Verhältnisse zu stecken, die man selbst niemals erreichen kann. Der voyeuristische Blick in die Welt der Reichen und Schönen bietet genügend virtuelle Varianten, die zwischen ungelebtem Traum und eingedoster Ölsardine einen Ersatz für die eigene Lebensrealität anbieten.

Das Publikum jedenfalls quittierte den Abend mit lang anhaltendem Beifall.


Fußnoten:
[1] aus: Theaterprogramm Die Komödianten: Interview mit Ivan Dentler, von Jana Lissek
[2] Fischerverlage.de - Theater und Medien

27. September 2012