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BERICHT/009: Kampnagel - Internationales Sommerfestival Hamburg 2009 (SB)


Theater Tanz Kunst Musik Theorie

Kampnagel stellt Programm für das Internationale Sommerfestival Hamburg 2009 vor


Kaufen lautet das diesjährige Schwerpunktthema des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel. Vom 13. bis zum 30. August zeigen teils weltweit bekannte Künstler auf Gebieten wie Tanz, Theater, Musik und Installation ihr spezifisches Können. Um Kaufen ging es selbstverständlich auch am 16. Juni bei der Pressekonferenz zur Präsentation des Festivals in der geräumigen Halle K6 mit Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard und dem Künstlerischen Leiter Matthias von Hartz.

Vorstellung der Programmpunkte

Vorstellung der Programmpunkte

Man habe nach einem Anschluß an den Themenschwerpunkt von 2008, den Klimawandel, gesucht, und sei auf Kaufen und Nachhaltigkeit gekommen, das sei noch vor der ersten großen Bankenpleite gewesen, berichtete von Hartz und schmunzelte:

"Dann kam die Krise, und das war eigentlich wunderbar. Weil das zweite, was in der Krise gesagt wurde, 'wenn ihr jetzt ein Auto kauft, wird's schon wieder'. Also wir sind jetzt bei zwei Themen bei der Frage gelandet: Können wir denn mit Kaufen die Welt retten?"

Das Thema Kaufen und Kunst bietet sich selbstverständlich hinsichtlich vieler Aspekte an, nicht zuletzt da Künstler wie auch die "Broker" von Kunst in der Regel ökonomischen Zwängen unterworfen sind. Sie wollen etwas verkaufen. Das gilt nicht erst seit Beginn der Finanz- und Wirtschaftskrise, verschärft sich aber seitdem. Davon bleibt auch Kampnagel nicht verschont, wie Matthias von Hartz mit einem Anflug von Bitternis berichtete, hatte sich doch die Zeit-Stiftung zu einem "professionell schwierigen Zeitpunkt" als Sponsor verabschiedet, so daß weitere Mittel eingeworben werden mußten. Die Lücken konnten, so versicherte er, gefüllt werden, das Festival sei sogar ein klein wenig umfangreicher als 2008 geworden. Es sei in diesem Jahr gelungen, ein Programm zusammenzustellen, auf das er stolz sei.

Eine Bühne für die Presse

Eine Bühne für die Presse

Stolz sein kann sicherlich Jochen Roller, der zum Auftakt des Sommerfestivals seine in den letzten sieben Jahren mehr als 100 mal gezeigte Tanzaufführung "No Money, no Love" in der Hamburger Handelskammer an den Meistbietenden verkaufen will. Mit dem Erlös soll ein junger Künstler unterstützt werden, der eine Performance für das nächste Jahr vorbereitet.

Für den Auftaktabend des Internationalen Sommerfestivals 2009, das mit Kampnagel als zentraler Drehscheibe an verschiedenen Orten innerhalb Hamburgs veranstaltet wird, wurde "das schönste Stück des letzten Jahres" gewählt, wie das Programmheft verrät: "La Mélancholie Des Dragons" von Philippe Quesne und seinem Vivarium Studio. Darin gelingt es den Künstlern, das Publikum mit überraschenden Effekten von Licht und Schatten sowie einem Spiel mit Dimensionen - riesige aufgeblasene Plastiksäcke, zwischen denen sich der Mensch klein vorkommt, erinnern an Säulenbeine eines Märchendrachen - in ihren Bann zu schlagen. Es wird eine Geschichte erzählt von einer Künstlergruppe, die mit ihrem Fahrzeug samt Anhänger und Aufbau, in dem sich ein nicht unerheblicher Teil der Darbietung abspielt, in einem Wald eine Autopanne hat und allerlei Dinge auf die Bühne zaubert.

Am selben Abend führt das Tanztheater des Italieners Emio Greco und des niederländischen Dramaturgen Pieter C. Scholten das Stück "Hell" nach Dantes "Göttlicher Komödie" auf. Die Tänzer leisten dabei einen Parforceritt von der Leichtigkeit, um nicht zu sagen Leichtfertigkeit, eines in der Popkultur angesiedelten Daseins geradewegs in Dantes verzehrende Hölle, kontrastreich unterbrochen durch langsame Sequenzen und musikalisch begleitet von Musical- und Pophits bis zu Beethovens Fünfter Symphonie. Die Hölle (Hell) sei jedoch ein "vergleichsweise charmanter Abend", versicherte von Hartz. Er habe das Purgatorio gesehen ... das sei "schlimmer als die Hölle".

Zu den angekündigten Höhepunkten zählt die weltweit bekannte Batsheva Dance Company aus Tel Aviv, die ein kraftvolles, von synchronen Abläufen beherrschtes Stück aufführen wird. Die Needcompany aus Brüssel wiederum tendiert mit ihrer Darbietung in Richtung griechische Tragödie. Das Stück "The Deer House" greift thematisch den Kosovo-Konflikt auf - da wundert es nicht, daß auf der Bühne "viel geweint" wird, so von Hartz' Ankündigung.

In einer europäischen Erstaufführung präsentiert Kampnagel die junge argentinische Regisseurin Lola Arias mit einem Theaterstück über sechs Personen, die unter der Militärdiktatur Argentiniens aufgewachsen sind und von ihren Erfahrungen berichten. Als deutsche Erstaufführung wird Mathilde Monniers Tanzstück "tempo 76" gezeigt. Monnier sei in Deutschland noch nicht so richtig bekannt, bedauert von Hartz, wohingegen sie in Frankreich zu den wichtigsten Künstlerinnen zähle. Zudem habe sie sich offen gegen Le Pen gewandt, gab der Künstlerische Leiter auf diese Weise auch seine politische Einstellung zu verstehen.

Julius Popp aus Leipzig läßt mit BIT.FALL aus dem Internet herausgefilterte, häufig vorkommende Worte aus Wassertropfen herabregnen. Eine musikalische Performance darf erstmals wieder von Jochen Distelmeyer erwartet werden, der nach der Auflösung der Gruppe Blumfeld eine Solokarriere anzustreben scheint. Christoph Schlingensief installiert auf einer mobilen Drehbühne den ANIMATOGRAPHEN, ein Gesamtkunstwerk, in dem sich die Gäste selbst inszenieren können. Man muß sich das wohl so vorstellen wie die gesittete Fortsetzung eines Abenteuerspielplatzes - für Erwachsene eben. Kunst zum Anfassen, Mitmachen und Erleben.

Für anfängliches Befremden mag die Performance von Massimo Furlan mit "22. Juni 1974, 21 Uhr 03" sorgen. Der Künstler stellt im Millerntor-Stadium das Fußballänderspiel BRD vs. DDR nach, wobei er die Rolle des DDR-Stürmers und einzigen Torschützen Jürgen Sparwasser annimmt. 90 Minuten Spielzeit - 90 Minuten (plus Pause) auch Furlans Ein-Personen-Stück. Die Zuschauer erhalten kleine Empfänger, in denen zeitgleich der originale Radiobericht abgespielt wird, wobei jeder wählen kann, ob er Kommentar Ost oder Kommentar West hören will. Umschalten jederzeit möglich.

Ist das Kunst? Diese die Kunstschaffenden seit Urzeiten begleitende Frage drängt sich unverzüglich auf, und sie kann im gleichen Atemzug beantwortet werden: Ja. Da schlüpft jemand in eine Rolle und stellt ein historisches Ereignis nach, das einst starke Emotionen bei den Beteiligten wie auch zig Millionen Zuschauern ausgelöst hat. Zugleich barg das Länderspiel einige politische Brisanz. Eine gänzlich andere Frage lautet, ob sich das jemand anschauen will oder, um das Schwerpunktthema des Sommerfestivals aufzugreifen, ob es jemand kaufen will. Man wird sehen. Matthias von Hartz hofft auf immerhin mehrere tausend Zuschauer, die Massimo bereits mit anderen Rollen in anderen Fußballstadien angelockt hat.

Auf die Nachfrage des SB-Redakteurs, inwiefern der Themenschwerpunkt "Kaufen" von den einzelnen Künstlern und Gruppen mitgetragen wird, erklärte von Hartz freimütig, daß es Sachen gibt, die eigens dafür produziert wurden, andere paßten "assoziativ" dazu, und der Großteil habe "einfach gar nichts" damit zu tun.

Nachhaltigkeit kein Thema

Nachhaltigkeit kein Thema

Es scheint, als zeige sich hier ein grundlegendes Problem bei der Organisation mehrwöchiger Festivals: Fassen die Veranstalter das vorgegebene Thema zu eng oder versuchen, nur thematisch passende Präsentationen einzubinden, könnte sich das erdrückend auf das dargebotene Spektrum an Künstlerinnen und Künstlern auswirken, was womöglich mit geringeren Besuchszahlen quittiert würde. Umgekehrt besteht die gleiche Gefahr: Sollten sich die Veranstalter von jedweder thematischen Ausrichtung lösen, könnte es sein, daß beim Publikum das Gefühl eines geschlossenen Festivals garnicht erst entsteht und es aus diesem Grund die Angebote nicht wahrnimmt. Kurzum, der Schwerpunkt "Kaufen" und "Krise" kann hier als Teil eines Verkaufskonzepts gedeutet werden, das - vergleichbar mit dem Schwerpunkt "Klimawandel" im vergangenen Jahr - an aktuelle gesellschaftliche Entwicklungen aufsattelt. Zugleich war den Ausführungen von Matthias von Hartz zu entnehmen, daß er einen persönlichen Bezug zu den Schwerpunktthemen besitzt.

Gespannt sein darf man sicherlich auf das US-amerikanische Soziologen-Ehepaar Richard Sennettt und Saskia Sassen, die wohl die profiliertesten Vertreter unter der Festival-Rubrik "Kunst und Theorie" sein dürften und deren Vortrag, der sich um die Frage dreht, was nach dem Kapitalismus kommt, für Samstag, den 15. August, angekündigt wird. Als weitere "Theoretiker" stehen Ernst-Ulrich von Weizsäcker, ehemaliger Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, sowie Michael Braungart, Professor für Verfahrenstechnik, der eine abfallfreie Produktionsweise - cradle-to-cradle - propagiert, auf dem Programm.

Auch nicht abfallfrei

Auch nicht abfallfrei

Das Konzept aus dem vergangenen Jahr, Wissenschaftler an einen Speisetisch mit Gästen zu setzen, um auf dieser familiär vertrauten Begegnungsfläche der stofflich-materiellen Speise sozusagen auch einige geistige Nahrung in Form von kurzen Vorträgen zuzufügen, wurde in diesem Jahr fallen gelassen. Von der SB-Redakteurin auf den Grund angesprochen, antwortete der Künstlerische Leiter der Kampnagel-Fabrik, daß sich diese Form als nicht günstig, da überaus aufwendig erwiesen habe. Er habe mit jedem einzelnen Wissenschaftler ausführlich sprechen müssen, um abzuklopfen, ob das überhaupt funktionieren kann. Er habe gelernt, nicht jeder Wissenschaftler eigne sich.

Damit dürfte Reverend Billy sicherlich keine Probleme haben. Er wettert und singt im Stile eines christlichen Predigers gegen Kapitalismus und Konsum, sieht in der Krise des Kapitalismus dessen Überwindung heraufdämmern und hat seine Kirche in die Church of Life after Shopping umbenannt. Seine Stop-Shopping-Messe findet am Freitag, den 14. August, um 19.30 Uhr statt. Nach dem im Programmheft abgelichteten Bild könnte der Eindruck entstehen, Reverend Billy spiele die Karikatur eines Predigers, doch das ist die europäische, von verstaubten Amtskirchen geprägte Sicht. Zwar genießt Reverend Billy auch in den USA einen Exoten-Bonus, aber nicht als lautstarker Prediger, sondern als Bürgermeisterkandidat der Partei der Grünen in New York. Er wird mit immerhin sieben Prozent gehandelt.

Bei weitem nicht alle Programmpunkte können und sollen hier angesprochen werden. Das Kampnagel-Festival präsentiert sich als ein Markt, auf dem (fast) für jeden etwas dabei ist. Dementsprechend bezieht der thematische Schwerpunkt nur den geringeren Teil der Darbietungen ein. Der Festivalcharakter ergibt sich vorwiegend aus der relativen räumlichen und zeitlichen Nähe der Veranstaltungen.

17. Juni 2009