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BERICHT/004: Erstes Schleswig-Holstein Festival der freien Theater in Kiel (SB)


Gezähmte Wilde
Not und Notwendigkeit freier Theater in Norddeutschland

Pressekonferenz zum ersten Schleswig-Holstein Festival der freien Theater in Kiel


Sie kennen sich, wissen voneinander, entstammen etwa derselben Generation von Theatergründern - und doch hat es ein Vierteljahrhundert gedauert, bis, auf Initiative des Chefkomödianten Markus Dentler, vier freie, professionelle Theater aus Schleswig- Holstein zum ersten Festival im Haus der "Komödianten" in Kiel und aus Anlaß deren 25jährigen Jubiläums zusammentreffen. Es wurden Theater eingeladen, so Dentler, die "schon lange freies Theater, diese Urform des Theaters machen, wildes Theater sind und die ein eigenes Haus haben." Gerd Müller, Vorsitzender der "Volksbühne Kiel" und Mitorganisator des Festivals, nennt sie "das Salz in der Suppe" jeder lebendigen Kulturlandschaft.

Vom 18. bis zum 21. März 2009 sind mit je einer eigenen Aufführung das "Theater Combinale" aus Lübeck, das "Polnische Theater Kiel", die "Theaterwerkstatt Pilkentafel" aus Flensburg und als Gastgeber das Kieler Theater "Die Komödianten" zu sehen.

Ulli Haussmann (von links) und Wolfgang Benninghoven - Theater Combinale Lübeck; Markus Dentler - Die Komödianten Kiel und Tadeusz Galia - Polnisches Theater Kiel

Ulli Haussmann (von links) und Wolfgang Benninghoven - Theater Combinale Lübeck; Markus Dentler - Die Komödianten Kiel und Tadeusz Galia - Polnisches Theater Kiel


Eine Frau und zwei Männer (Sigrid Dettlof, Wolfgang Benninghoven und Ulli Haussmann) stellen die Stammbesatzung und Theaterleitung des 1982 gegründeten "Theaters Combinale", das knapp 120 Zuschauern im eigenen Haus in Lübeck Platz bietet. Bei der Auswahl der Stücke käme es nicht nur darauf an, was in kleiner Besetzung machbar sei, es müsse auch immer etwas "Combinaliges" haben, von Menschen handeln "am falschen Ort im richtigen Leben, die nach Lösungen suchen und nur Fragen ernten". Vieles stammt aus eigener Feder oder ist eine Bearbeitung z.B. von Romanen und anderen Fremdtexten. Der eigene Verlag ":Ecco" hat sich der Herausgabe von Stücken speziell für kleine Besetzungen verschrieben. Die für alle Theater, zumal wenn sie so lange zusammen arbeiten, immer wieder aktuelle Frage: Was machen wir denn jetzt?, sei bei den "Combinalen" selbst einmal der Ausgangspunkt für ein Stück über die Probleme dreier 50jähriger gewesen. Mit den "Bücherpiraten" und "JobAct" nimmt auch die Jugendarbeit bei den Theaterleuten aus Lübeck einen wichtigen Platz ein.

Das "Polnische Theater Kiel" ist mit 46 Plätzen das kleinste unter den Geladenen. 1981 aus einer Gruppe polnischer Künstler entstanden, die der Zensur des über Polen verhängten Kriegsrechtes entkommen wollten, wurde das Theater von Tadeusz Galia, der als einziger aus der ersten Generation immer noch dabei ist, mit deutschen Künstlern weitergeführt. Geblieben ist der Anspruch, Unterhaltung auf hohem Niveau anzubieten, Themen auf die Bühne zu bringen, die sich mit den existentiellen Problemen der Menschen auseinandersetzen, Alter, Krankheit, Tod oder der Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Da wird dem Publikum schon etwas zugemutet und so manches Mal, so berichtet Galia, habe ein Abend zwei Vorstellungen gehabt: eine auf der Bühne und eine zweite anschließend als Diskussionsrunde mit den Zuschauern. Dieser Kontakt, diese Nähe zum Publikum, sei "wunderschön" und das, was lebendiges Theater ausmache.

Und es entschädigt für den ständigen wirtschaftlichen Balanceakt, mit dem jedes dieser kleinen Theater zu kämpfen hat. "Zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben", zitiert Galia, in dessen Theaterstätte neben der räumlichen die finanzielle Enge besonders krasse Formen annimmt: zwei Stücke würden gefördert, ein drittes wäre, wenn, aus eigenen Mitteln zu bewerkstelligen, die man nicht hat, im Sommer kann wegen der Hitze in den vorhandenen Räumlichkeiten nicht gespielt werden, ein Umbau von einem Abend zum anderen sei aus Platz- und Personalmangel gar nicht möglich und so sei man gezwungen, fünf Monate lang ein Stück und fünf weitere Monate ein anderes zu spielen. Was sagt man den Zuschauern, die nach zwei Monaten kommen und endlich etwas Neues erwarten?

Aus Krankheitsgründen nicht vertreten auf der Pressekonferenz am 10. März war die "Pilkentafel". Diese 1983 gegründete Truppe, seit 1989 im eigenen Haus in Flensburg, versteht sich wegen ihrer großen Experimentier- und Improvisationsfreude als Theaterwerkstatt und ihre Arbeit eher als ein Ausprobieren mit offenem Ausgang. Und auch hier spielen Kinder- und Jugendarbeit eine zentrale und wichtige Rolle.

Für Markus Dentler vom Theater "Die Komödianten", 1984 als erstes professionelles Zimmertheater in Kiel gegründet, hat die Vielfältigkeit seines Spielangebots Priorität. "Wir versuchen, das Publikum in ein Wechselbad" zu katapultieren. Ein Programm wolle er bieten, das "nicht in eine Schublade paßt". Eine möglichst große Bandbreite und Variation von Ernsthaftem, Tragischem und Komischem solle die Menschen reizen, einfach zu kommen, um zu sehen, was es Neues gibt.

Auch hier besteht der Anspruch auf Unterhaltung mit Niveau, auch wenn, da waren sich die Anwesenden einig, die Zuschauer mit seichter Kost leichter anzulocken wären. Zwar sei ihr Stammpublikum, so die Theaterchefs, mit ihnen gealtert, das sei aber kein Selbstgänger. Sein Publikum müsse man sich immer wieder neu erobern - eine beständige Herausforderung.

Auf die alte neue Frage der Schattenblick-Redaktion nach der Veränderbarkeit der Gesellschaft durchs Theater, der sich die Theatermacher jedenfalls zu Zeiten des experimentellen und politischen Theaters verschrieben hatten, verwies Wolfgang Benninghoven von den "Combinalen" darauf, daß auch schon in den späten 60ern und 70ern, entgegen mancher Hoffnung oder Wunschvorstellung, nicht die Theater die Gesellschaft verändert, sondern eher umgekehrt die gesellschaftlichen Umbrüche die Theater beeinflußt hätten und von ihnen aufgegriffen wurden. Die Themen seien heute andere, die Probleme der Menschen individueller. Verändern könne man wohl nicht, aber aufmerksam machen und zur Auseinandersetzung und zum kritischen Nachdenken anregen. Markus Dentler sieht den Erfolg seiner Arbeit darin, sein Publikum zum Lachen oder Weinen zu bringen, Menschen zu sensibilisieren und ihnen dadurch einen anderen Umgang mit ihren Gefühlen zu eröffnen. "Die lieben dann auch anders", so sein Credo.

Theatermacher mit Bauchgefühl

Theatermacher mit Bauchgefühl


Im Zeitalter von Medienkultur und Vereinzelung sei Theater nach der Übereinkunft der Macher ein gesellschaftlicher Wert an sich. Allein wenn Menschen, statt "vor der Glotze zu zappen" oder die Zeit mit dem Computer zu verbringen, ins Theater gingen, um mit anderen zusammen ein Stück zu erleben, habe das bereits einen (verändernden) Einfluß auf die Gesellschaft.

Bei aller Schwierigkeit des wirtschaftlichen Überlebens sei die Freiheit, selbst bestimmen zu können, was man spielt, ein Privileg, meinte Ulli Haussmann von den "Combinalen". Diese Selbstbestimmheit - und das war bei allen Beteiligten zu spüren - macht einen großen Teil der Freude aus, mit dem die kleinen Theater zu Werke gehen und erklärt auch, warum sie seit 25 Jahren Stehvermögen beweisen.

Ein Festival wie das in Kiel könnte nach der Vorstellung Dentlers in Zukunft alle zwei Jahre an jeweils wechselndem Ort stattfinden. Das Publikum habe ein Anrecht darauf, die Theater, jedes für sich ein "Unikum", einmal kompakt zu erleben. So soll jetzt an vier aufeinanderfolgenden Abenden gezeigt werden, welche Vielfalt die Kleintheaterlandschaft im Norden Deutschlands zu bieten hat.


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Gegeben werden:

Mi., 18. März
Theater Combinale Lübeck
"Ich Romeo Du Julia"

Do., 19. März
Polnisches Theater Kiel
"Gimpel der Narr"

Fr., 20. März
Die Komödianten Kiel
"BAGGER"

Sa., 21. März
Theaterwerkstatt Pilkentafel Flensburg
"Die schöne Stunde"

Genaueres zum Spielplan finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Kunst -> Veranstaltungen
THEATER/16104: Kiel - Theater "Die Komödianten", Spielplan März 2009

oder im Internet unter www.komoediantentheater.de.

13. März 2009