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INTERNATIONAL/002: Libanon - TV-Star geht ins Gefängnis, Theaterspielen als Therapie (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2010

Libanon:
TV-Star Zeina Daccache geht ins Gefängnis - Theaterspielen als Therapie

Von Dalila Mahdawi


Beirut, 20. Oktober (IPS) - Einer jungen Künstlerin ist es gelungen, dem Roumieh-Gefängnis in Beirut, Libanons größtem und berüchtigtsten Männergefängnis, etwas von seiner düsteren Trostlosigkeit zu nehmen. Zeina Daccache, Star der TV-Show 'Basmet al-Watan', lässt hier einsitzende Mörder, Drogendealer, religiöse Extremisten und Spione Theater spielen. Das von ihr gegründete Zentrum für therapeutisches Theater (CATHARSIS) ist das erste seiner Art im Libanon.

"Häftlingen fällt es oft leichter, ihre Probleme im Theaterspiel, beim Singen und Tanzen zu verarbeiten als darüber zu sprechen", betonte Daccache im Gespräch mit IPS. "Auf der Bühne geben wir den Gefühlen und der Fantasie der Männer einen Freiraum, den die Realität hinter Gefängnismauern nicht zulässt."

Roumieh gilt als Brutstätte des Verbrechens. Es heißt, wer hier als Kleinkrimineller seine Strafe absitzt, verlässt das Gefängnis als angehender Schwerverbrecher. Für 1.500 Häftlinge gebaut, müssen sich in dem Hochsicherheitsgefängnis inzwischen 4.000 Männer die feuchtkalten Zellen teilen.

Die für ihr therapeutisches Theaterprojekt hinter Gittern erforderlichen Kenntnisse hatte die Schauspielerin Daccache in Italien im Gefängnis von Volterra erworben. Hier absolvierte sie ein Praktikum bei dem renommierten Experten Armando Punzo und wurde in ihrer Überzeugung gestärkt, dass Theaterspielen ein Leben verändern kann.

"Im Libanon ist Theater reiner Luxus", betonte sie und verwies auf die schwierige wirtschaftliche und politische Lage ihres Landes. "Dennoch lassen sich bei einem Kriminellen andere, konstruktivere Identitäten als die eines 'Verbrechers' entdecken und entwickeln."

Zweimal lehnten die Behörden Daccaches Theaterprojekt für Strafgefangene ab. Als sie schließlich alle bürokratischen Hürden genommen hatte, waren etliche hundert Häftlinge einverstanden, sich als Schauspieler zu versuchen. 45 waren schließlich dabei. In drei Gruppen studierte Daccache in Anlehnung an Sidney Lumets berühmten Film von 1957, '12 Angry Men' ('Die zwölf Geschworenen'), ein Stück ein, das sie '12 Angry Lebanese' nannte, obwohl auch Nigerianer, Ägypter, Syrer und Palästinenser zu ihrer Truppe gehörten.

Es geht darin um Vergebung, persönliche Entwicklung, Diskriminierung und Hoffnung. Daccache erweiterte das Original durch Text-, Tanz- und Songeinlagen der Gefangenen, die sich über eigene Erfahrungen und Gefühle äußern konnten. So berichtete ein Häftling, der sich Jibran nannte und wegen Vergewaltigung verurteilt worden war, er fürchte, nach der Verbüßung seiner Strafe diskriminiert zu werden und in einem Gefängnis ohne Mauern leben zu müssen.

Bei der Premiere hinter Gittern saßen Regierungsvertreter, hochrangige Militärs und Sicherheitsbeamte als Ehrengäste in der ersten Reihe.


Mit einem Dokumentarfilm Reformen in Gang bringen

Um die Öffentlichkeit ausführlich über ihr therapeutisches Theaterprojekt zu informieren, drehte Daccache ein Jahr später einen Film über ihre Arbeit hinter Gefängnismauern. '12 Angry Lebanese': The Documentation' wurde inzwischen auf internationalen Filmfestivals gezeigt und mit einer Reihe von Preisen ausgezeichnet. Auf dem internationalen Dokumentarfilmfestival 'Dox Box' in Syrien erhielt der Film den ersten Preis und weitere Auszeichnungen beim Internationalen Filmfestspiel von Dubai.

Die Schauspielerin und Regisseurin erklärte, ihr Dokumentarfilm sei ein Appell an die Regierung, mit der versprochenen und längst überfälligen Reform des Strafvollzugs im Libanon zu beginnen. "Das Publikum erlebt Häftlinge erstmals als menschliche Wesen. Der Film gibt ihm Gelegenheit zu einem Blick hinter die Mauern von Roumieh." In libanesischen Gefängnissen gebe es praktisch keine Rehabilitationsprogramme. Deshalb sehe sie im therapeutischen Theaterspiel eine Möglichkeit, Strafgefangene davor zu bewahren, rückfällig zu werden, betonte sie.

"Wir haben den Gefangenen auf der Bühne ein Stück Freiheit eingeräumt. Hier konnten sie ihre Gefühle ausdrücken und in ihrer Fantasie eine Welt ohne Gefängnismauern erleben", betonte Daccache.

Dass sie mit ihrer Arbeit erfolgreich war, bekräftigten Mitspieler wie Ziyad: Er sagte IPS: "Ich will nicht, dass mich Leute wie Zeina noch einmal im Gefängnis antreffen. Hätte man mir als junger Mensch das beigebracht, was ich hier beim Theaterspielen gelernt habe, dann wäre ich sicher nicht hier gelandet."

Auch Regierungsvertreter waren von dem Projekt beeindruckt. Inzwischen hat das Justizministerium damit begonnen, ein vor zehn Jahren verabschiedetes Gesetz umzusetzen, das Häftlingen bei guter Führung einen Teil ihrer Gefängnisstrafe erlässt.

Daccache, die inzwischen auch Gewaltopfern und anderen Menschen mit therapeutischem Theaterspiel helfen will, plant ihr Therapietheater in Roumieh mit einem anderen Stück fortzusetzen und ihr Projekt auch anderen libanesischen Gefängnissen anzubieten. "Anfangs habe ich nicht mit der Dauerhaftigkeit des Projektes gerechnet", sagte der junge Fernsehstar. "Wenn man aber sieht, dass es den Häftlingen tatsächlich hilft, kann man nicht einfach aufhören." (Ende/IPS/mp/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010