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BÜHNE/012: Bühne frei für Clowninnen! (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 134, 4/15

Bühne frei für Clowninnen!

Die Kunst der Clownerie und ihr subversives Potential

von Daniela Patz


Lange war die Kunst der Clownerie eine reine Männerdomäne. Inzwischen gibt es viele Clownfrauen, die weltweit Erfolge feiern und Tausende zum Lachen bringen. Lustig! Aber nicht nur. Clowninnen können weit mehr. Daniela Patz befragte sechs international tätige Künstlerinnen zu Clownerie, Widerstand und Persönlichem. Ein Einblick in eine humorvolle Branche, die sich die Welt manchmal macht - widdewidde, wie sie ihr gefällt.


Die erste bekannte Clownin wurde 1932 als Annie Fratellini in Algerien geboren. Fast 90 Jahre später begeistern immer mehr Clownfrauen ein ständig wachsendes Publikum. Die Künstlerinnen sind erfolgreich, international aktiv und weltweit vernetzt. Nicht zuletzt dank des österreichischen Festivals clownin, das seit 2006 Frauen aus aller Welt nach Wien holt. "Die Clowninnen verkehren die verkehrte Welt, sie bezaubern mit viel Witz auf ihre ganz eigene und eigensinnige Weise", so die beiden Kuratorinnen Gaby Pflügl und Pamela Schartner.

Das Festival für Erwachsene zeigt Stücke, die Geschichten erzählen. Auf der Bühne dürfen die Clownfrauen Kritik am System und an Missständen unserer Gesellschaft üben. Sie spielen mit Klischees, bringen uns zum Nachdenken und ermutigen uns, unsere Komfortzonen zu verlassen. Die Kunst der Clownerie, die der "physical comedy" zugeordnet wird, kann also weit mehr als rote Nase, Akrobatik und Kindergeburtstag.


Vorhang auf für sechs spannende, internationale Künstlerinnen, die dazu beitragen, dass die Welt eine bessere, lustigere und kritischere wird.

Albina Matuzko, geboren in der Ukraine, wo sie lange als das "lustige ukrainische Mädchen" galt, lebt mittlerweile auf der kleinen karibischen Insel St. Martin. Dort unterrichtet Albina die Kunst der Clownerie, denn leben kann sie von Auftritten auf der kleinen Insel nicht. Die Clownfrau selbst lacht liebend gerne über ihren Hund, in dem "ein wahrer Clown steckt". Zum Clownin-Sein braucht es für sie vor allem Authentizität und die Gabe, Probleme als Geschenke zu sehen, die frau aus- und anpackt. Auf der Bühne ist sie Klusha: poetisch, philosophisch, lustig und herausfordernd. Im Alltag wäre sie immer wieder gerne Klusha, die mit ihrer roten Nase über Probleme lachen und diese lösen kann. Obwohl sie in ihrer Jugend in der ehemaligen Sowjetunion Menschen zum Lachen brachte, wurde sie lange nicht als "richtige Clownin" akzeptiert, da sie anfangs "nur" eine klassische Theaterausbildung absolviert hatte. Derzeit versucht sie ein kleines Theater auf St. Martin zu gründen.

Claudia Cantone arbeitete 17 Jahre lang als Polizistin in Rom, bevor sie sich ihren Traum erfüllte und den Schritt auf die Bühne wagte. Dort ist sie die Kämpferin, die sie sein musste, um so erfolgreich zu werden. Ihre Ausbildung und Auseinandersetzung mit dem Clownin-Sein sieht sie als nie abgeschlossen: "Es ist eine endlose Reise mit vielen Überraschungen. Manchmal anstrengend, aber immer schön." Für sie ermöglichen Clownfrauen, eine andere Welt zu fühlen und denkbar zu machen. Sie sind Humor, Freiheit, Menschlichkeit und Revolution. Ihre Arbeit - von der sie mittlerweile leben kann - sieht Claudia als politisch, denn "lachen ist politisch, weil es die Menschen frei macht". Claudia, die sich in ihrem aktuellen Stück mit dem Tagebuch von Anne Frank an einen schwierigen Stoff wagt, liebt die Interaktion und Improvisation mit dem Publikum. Wenn sie nicht gerade die Schönheit der kleinen Dinge sucht, widmet sie sich ihrer zweiten großen Leidenschaft, der Malerei - in Rom und auch anderswo.

Neslihan Arol wurde in Istanbul geboren und ging vor rund einem Jahr nach Berlin, um ihre Dissertation über Humor und Feminismus zu schreiben. Auf der Bühne ist Neslihan, die sich gerade eine Wohnung mit vier anderen teilt, Süper. "Ich, als Mensch, lerne sehr viel von meiner Clownfrau Süper", so Neslihan. Derzeit arbeitet sie an ihrem Solostück "Ideal Kadin/Die perfekte Frau", das sich mit den Möglichkeiten der Clownerie in Hinblick auf Dekonstruktion des männlichen Blicks und stereotyper Vorstellungen beschäftigt. Das Besondere an ihrer Arbeit ist, dass sie sich sowohl theoretisch als auch als Künstlerin auf der Bühne mit Humor, Feminismus und Möglichkeiten des Widerstands beschäftigt. "Humor ist auch immer mit sozialer Macht und Dominanz verbunden und bietet daher Möglichkeiten der Subversion." Das Politische und Widerständige der Clownfigur ist für sie Hauptmotivation und Antrieb ihrer künstlerischen Arbeit und Forschung.

Annette Grömminger ist, neben Auftritten in Wien und anderswo, mit "Clowns ohne Grenzen" [1] oft dort unterwegs, wo es gerade wenig zu lachen gibt. Annette gelingt es mit den "Clowns ohne Grenzen", auch in schwierigen und widrigen Lebensumständen ein Lachen und etwas Lebensfreude zu schenken. Die weltweiten Workshops und Auftritte nutzt die Organisation dazu, Frauen und Mädchen zu ermutigen, ihre Rechte einzufordern. Das Team in Österreich besteht mittlerweile aus acht Personen. Ihre Auftritte finanzieren sich die Künstler_innen aus eigener Tasche und Spenden. Annette verbindet ihre künstlerischen und aktivistischen Ansprüche: "Denn solange es noch so viele Orte auf dieser Erde gibt, an denen Menschen traumatisiert von sinnlosen Kriegen, Gewalt und unfassbaren Erlebnissen ihr Dasein fristen, solange brauchen wir jede_n Einzelne_n, der bereit ist, mit ein bisschen Lebenszeit und Einsatz diese Situation zu verändern." Was sie am meisten an ihrer Arbeit auf der Bühne liebt? "Das "Eins-Sein" mit allem im Hier und Jetzt. Die Möglichkeit Menschenseelen zu berühren." Derzeit arbeitet sie an der Duo-Show "Concerto Vienne" mit Guillem Sobrepera und an Projekten für "Clowns ohne Grenzen."

Stacey Sacks' Körper wurde zwar in Simbabwe geboren, aber selbst bezeichnet sie sich als "Erdbewohnerin". Zum Lachen bringen die Clownfrau neben Absurditäten und Blödsinn auch Ziegen auf YouTube. Dass ihre Clownfiguren auf den ersten Blick nicht immer lustig anmuten, ist eines ihrer Markenzeichen. Stacey will mit ihren Figuren "etwas über die Welt sagen, in der wir leben. Über Machtverhältnisse, Privilegien und Kolonialismus." Einige ihrer Figuren haben ausgestopfte Bäuche, Zahnlücken, schräge Perücken oder einen Bart. In "I shit diamonds" findet sie als Diktator einen sehr persönlichen Weg, auf Missstände in ihrem "Heimatland" aufmerksam zu machen. Ihre Stücke fordern heraus und hinterfragen den Status quo. Sie öffnen Räume, um Menschen zu mobilisieren und zu Aktivismus aufzurufen. 2011 absolvierte sie in Stockholm die Meisterklasse "A Year of Physical Comedy" und war anschließend mit den "Clowns ohne Grenzen" in Ruanda und Burma unterwegs. Inspiration holt sie sich von Bäumen, Beobachtungen im Supermarkt, Insekten und Politiker_innen. Stacey arbeite in Stockholm an ihrem PhD und beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit Humor langfristig Politik verändern kann.

Das in St. Petersburg lebende Clowninnen-Trio Klavy absolvierte die weltberühmte russische Clownschule Licedi. Von ihren gemeinsamen internationalen Tourneen nehmen die drei Künstlerinnen immer "besonders Lustiges" mit. Zuletzt waren das "echt, echt lustige" Brillen. Für das Trio braucht es eine gewisse Art an Verrücktheit, um Clownfrau zu sein. Ihre Auftritte sehen Klavy als Möglichkeit, mit dem Publikum zu sprechen, dieses zu berühren. "Dafür brauchen wir keine Worte, und dennoch wird jede und jeder uns verstehen" - die Clownfrau spricht eben eine universelle Sprache.


Anmerkung:

[1] "Clowns ohne Grenzen", 1993 in Spanien gegründet, ist eine internationale Organisation. Seit Oktober 2014 gibt es auch eine österreichische Gruppe (clownsohnegrenzen.at)

Zur Autorin: Daniela Patz, Kultur- und Sozialanthropologin, arbeitet derzeit im Kultur- und Dokumentarfilmbereich in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 134, 4/2015, S. 7-9
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für
Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2016

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