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BÜHNE/005: "bühne" der TU Dresden - Wer schweigend zusieht, will es so - oder? (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 1 vom 18. Januar 2011

Wer schweigend zusieht, will es so - oder?
Die "bühne" der TUD mausert sich zum Studiotheater mit allem Drum und Dran

Von Tomas Petzold


Einigermaßen tragisch war es schon, nicht nur das Stück, das auf dem Spielplan stand, sondern auch die Begleitumstände. Als "die bühne" am 15. Oktober mit der Premiere "Johanna" eröffnete, war dies nur mit einer Sondergenehmigung möglich. Denn die Bau- und Renovierungsarbeiten im Weber-Bau der TU waren entgegen den Zusagen noch nicht so weit fortgeschritten, dass sie eine regelrechte Eröffnung erlaubten. Erst einen Monat später wurde der Spielbetrieb aufgenommen, aber noch muss man das Foyer des sehr schön hergerichteten Victor-Klemperer-Saals nutzen, auf dessen Hinterbühne das Studententheater seit Jahrzehnten ein Provisorium als Bleibe hatte. Nach dem Einziehen einer Trennwand ist daraus nun eine richtige, variabel bespielbare Studiobühne mit allem Drum und Dran geworden. Garderoben, Sanitär- und Gastroräume befinden sich eine Etage tiefer, und wenn auch hier alles fertig ist, wird man im Treppenhaus auch wieder die alten Theaterplakate bewundern können, und damit auch die Courage, mit der das Studententheater bereits in einer vergangenen Epoche brisante Themen aufgriff.

Wenn die heutige künstlerische Leiterin Carola Barbara Unser von FDJ-Erbe spricht, trifft das auch in dem Sinn zu, dass die heutige Bühne sich als Theater der TU Dresden und zugleich als Off-Theater versteht. Künstlerisch völlig unabhängig, erfährt der Verein doch eine ganz wesentliche institutionelle Unterstützung durch die Uni, die nicht nur die künstlerische Leitung bezahlt, sondern auch den Raum unentgeltlich zur Verfügung stellt. Weitere Unterstützung gibt es vom Studentenwerk, doch die Produktionskosten müssen dennoch im Wesentlichen von den Abendeinnahmen gedeckt werden. Da braucht man bei 60 Plätzen möglichst viele ausverkaufte Vorstellungen, Publikum auch aus der Stadt - und den passenden, auch abwechslungsreichen Spielplan, um an die 100 Aufführungen im Jahr bestreiten zu können. Mit "Kasimir und Karoline" oder "zeit zu leben, zeit zu sterben" ist man durchaus am Puls der Zeit und bei Themen, die junge Leute besonders bewegen.

Und nun also "Johanna", die Geschichte eines Mädchens, das nur 19 Jahre alt werden durfte und dennoch, lange vor den großen Revolutionen, beinahe die Welt verändert hätte.

Die Inszenierung von Jan Schrewe hat weniger mit Schillers Idealisierungen der Jungfrau von Orleans zu tun, nichts mit Heiligenverehrung. Es geht um den geistigen Hintergrund, die Haltungen und Positionen, die sich im Prozess gegen Jeanne d'Arc unheilvoll verbündeten. Um das Aufrichten des Stachels der Rebellion angesichts kalter Bürokratie und sophistischer Rechthaberei, die noch dazu fremden Machtansprüchen dienen. Der Text der Dramaturgin Hannah Stoffer greift auf die Prozessakten zurück, lässt aber mittelalterliche Argumentationen, Denkweisen und Vorstellungen in einer beängstigenden Nähe zur Rhetorik der Politik und der Rechtsinstanzen von heute erscheinen. Unter der Voraussetzung, dass sich die Spielregeln grundsätzlich nicht verändert haben, wird Schritt für Schritt hinterfragt, ob ein vernünftiger und humanerer Ausgang der Geschichte möglich gewesen wäre. "Das habe ich so nicht gewollt" und "Ich habe nachgedacht" sind die Floskeln, mit denen sich die Mit- und Gegenspieler ihr Engagement schön- und ihr Versagen kleinreden, und so wird die Interpretation gleichzeitig zum Spiel im Spiel mit den Zuschauern.

Aus dieser Grundhaltung einer intellektuellen Analyse zu atmosphärischer Dichte und lebendigem Spiel zu finden, fällt allerdings nicht ganz leicht, und so überrascht beinahe die Vehemenz, mit der sich die Akteure in handgreifliche und lautstarke Auseinandersetzungen stürzen, um dann bei Bedarf durch ausgestellte Blasierheit, Arroganz oder Desinteresse jeweils die Contenance wiederherzustellen. Die Schlussfolgerung wird allerdings wieder recht abstrakt: Zwar sind wir heute in der Lage, Vorurteile abzulegen und das uns umgebende System zu durchschauen, aber wir können oder wollen gerade deswegen nichts daran ändern, weil wir auch die Gefahren und die Verluste an Bequemlichkeit abschätzen können. Oder weil die Gesellschaft schlicht noch immer nach männlichem Prinzip, nach Recht und Gesetz statt im Sinne der Gerechtigkeit gestaltet wird.

Ein paar geraffte Vorhänge teilen wie Säulen die breite Bühne, auf der die handelnden Figuren ständig präsent sind. Magister Beaupère und Bischof Couchon (Andreas Matthus/Martin Sommer), die sich um die rechte Prozessführung streiten, Graf Warwick (Mario Pannach), der ihnen kompromisslos die Sicht und Interessen des englischen Hofs nahelegt, der von Johanna gekrönte französische König Karl VII. und seine darauf wohl eifersüchtige Gespielin Catherine (Hermann Loose/Anje Sablotny), die in wachsendem Überdruss miteinander beschäftigt sind, aber wenig geneigt, sich in politische Händel einzulassen, schließlich als einzig Harmloser in der ganzen Gesellschaft Mario Pannach, der als Mönch Matthias mit seinen braunen Locken tatsächlich daherkommt wie eine unschuldige mittelalterliche Schnitzfigur.

Ganz anders als viel später bei dem reifen Gelehrten Galileo Galilei sind es bei der jungen Johanna nicht die festen Gewissheiten, denen sie abschwört. Ihre Gesichte und Erscheinungen hat sie als Auftrag verstanden, doch das Ausbleiben der übersinnlichen Botschaften lässt sie an ihrer Sendung zweifeln. So schlagfertig und trotzig sie sich auch gibt, als Streiterin im Zeichen des hoch aufgerichteten, mit blauem Neonlicht leuchtenden Kreuzes kommt Anne Hierholzer als Johanna jedenfalls nicht daher. Entrücktheit und Weltferne lösen sich auf durch Ernüchterung und Schmerz. Eine neue Stärke erwächst ihr dafür im erwachenden Selbstbewusstsein, und fast scheint es, als könnte sie noch einmal alle Feinde in die Flucht schlagen.

Doch weil sie ihre vermeintlichen Freunde (die Franzosen und ihr König) im Stich lassen, ist sie ganz auf sich selbst gestellt. Ohne sich blindem Gottvertrauen zu überlassen, zieht sie das Ende auf dem Scheiterhaufen der lebenslangen Kerkerhaft vor. Was die an Unbequemlichkeiten zu bieten hat, wird handgreiflich allenfalls angedeutet. Selbst der Bruder Matthias, der sie nun wirklich nur geistlich betreuen will, steigert mit seiner scheuen Zuneigung noch ihre Bedrängnis. Aber seine Rebellion endet, ehe sie beginnt unter den Maßregelungen des aufmerksamen Cochon, der den Ball am Ende wieder an das Publikum zurückspielt: "Ihr habt schweigend zugesehen, also habt ihr alles genauso gewollt."

Vielleicht bleibt der Stachel ja wirklich eine Zeitlang stecken; das bühne-Publikum jedenfalls zeigt sich nachdenklich genug.


www.die-buehne.net

"JOHANNA"-TERMINE:

23. Januar (20 Uhr) projekttheater
23. Februar (20.15 Uhr) die bühne
09. März (20.15 Uhr) die bühne
11. März (20.15 Uhr) die bühne
12. März (20.15 Uhr) die bühne
16. März (20.15 Uhr) die bühne


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 22. Jg., Nr. 1 vom 18.01.2011, S. 12
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Februar 2011